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Der Starman mit der Flugangst "Bowie - Retrospektive" zeigt ihn von allen Seiten

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David Bowie an Bord des Dampfers "Leonardo da Vinci", auf dem er 1976 für seine "Station to Station"-Tour von New York nach Europa reiste. Er hatte Flugangst und schätzte es, während einer Schiffsreise Zeit zum Lesen zu haben.

(Foto: Andrew Kent/Edel Books)

David Bowie war einer der vielseitigsten Künstler überhaupt - schon als Musiker. Hinzu kamen noch Film und Theater. Die "Retrospektive" mit vielen unveröffentlichten Fotos ist eine Reise durch sein Leben und 50 Jahre Popgeschichte: Erfolge, Pleiten, Drogenexzesse - Album für Album.

Als David Bowie im Januar 2016 starb, ging ein Schock durch die Musikwelt. Er war gerade zwei Tage vorher 69 geworden - kein Alter. Dass er an Leberkrebs litt, der etwa anderthalb Jahre vorher festgestellt worden war, hatte er der Öffentlichkeit verschwiegen. Sein Tod rief ein enormes Echo hervor - bei Fans, bei den Medien, weltweit. In Berlin, wo Bowie in den 1970ern ein paar Jahre gelebt hatte, wurde ihm zu Ehren kürzlich sogar eine Gedenktafel enthüllt - vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller höchstpersönlich.

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"Spacige Outfits wie dieses, Lichtjahre entfernt von der 'Jeans-Hölle des Rock'n'Roll' in den frühen 70ern, bildeten die Basis für Ziggys Mutation zum Rockstar."

(Foto: Sukita/Edel Books)

Acht Monate nach seinem Tod erschien nun die Neuauflage der "Bowie - Retrospektive" von Paolo Hewitt. Das Buch wurde überarbeitet und aktualisiert und umfasst jetzt sein vollständiges Werk, unter anderem kam das "Black Star"-Kapitel (so der Titel von Bowies 25. und letztem Studioalbum) neu dazu. Was erwartet den Bowie-Interessierten in dem Band? Vor allem: Bilder, Bilder, Bilder. Aus sechs Jahrzehnten, angefangen bei den 1960ern bis zu Aufnahmen kurz vor seinem Tod. Darunter sind neben bekannten Fotografien auch solche, die man bisher selten oder gar noch nie gesehen hat, denn das Buch enthält auch bisher unveröffentlichte.

"Von diesem Augenblick an war alles und jeder einfach Bowie"

Im Vorwort beschreibt der britische Autor Robert Elms den "schicksalhaften" Auftritt Bowies im Juli 1972 als Starman in der TV-Show Top of the Pops: "Mager und bleich, wahnsinnig attraktiv in seinen hautengen Klamotten, mit hoch auftoupierten, leuchtend orangefarbenen Haaren, die Akustikgitarre lässig auf den Rücken geschoben und einen Arm so um Mark Ronson geschlungen, dass allen Teenagern die Spucke wegblieb - von diesem Augenblick an war alles und jeder einfach Bowie."

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"Bowie - Retrospektive" ist bei Edel Books erschienen; Taschenbuch, 288 Seiten; 19,95 Euro.

(Foto: Edel Books)

Er beschreibt, wie öde die Musiklandschaft zu der Zeit war, wie "trist und kaputt England" - und dann fiel Bowie vom Himmel und wurde zum Vorbild und zur Stilikone vieler Jugendlicher. Es gab "Bowie-Boys" und auch "Bowie-Girls", "allerdings war schwer zu sagen, wer wer war in dieser neuen, androgynen Szene". Und in den "Bowie Nights" setzten sich "die eitelsten Kids zu Bowie-Nummern und Songs seiner Wegbereiter Roxy Music in Szene", so Elms. Nicht nur damals in den 70ern sei Bowies kultureller Einfluss immens gewesen - er sei es bis heute.

Nach dem ausführlichen Vorwort wird die Entwicklung David Bowies chronologisch aufgeführt und verfolgt: seine musikalischen Anfänge als Teenager, seine Bands, alle Alben, jede Zusammenarbeit und alle Kooperationen mit anderen, seine Theaterprojekte und Filme ... Wenn man es nicht schon längst wusste: es bietet sich ein deutliches Bild der enormen Vielseitigkeit und Kreativität Bowies, der immer Neues ausprobieren wollte, ja musste. Nicht immer mit einer vorher klaren Richtung oder einem Konzept: "Es ist wie beim Malen oder bei der Bildhauerei: Man ist sich nicht sicher, was man da gerade macht, aber wenn man fertig ist, erkennt man es", sagte Bowie 1995. Oft war er dabei seiner Zeit voraus und setzte Maßstäbe - in Musik, Mode, Stil. Aber nicht alles, was er anfasste, wurde zu Gold - auch Bowies Misserfolge findet man in der "Retrospektive".

Pro Album ein Kapitel

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Eine der Aufnahmen für das "Heroes"-Cover (1977) des japanischen Fotografen Masayoshi Sukita.

(Foto: Sukita/Edel Books)

Die einzelnen Kapitel widmen sich jeweils einem Bowie-Album, dessen Entstehungszeit und -umstände. Der Text wird ergänzt mit vielen Zitaten, Fotos, Plattencovern, Plakaten, Proben- und Privataufnahmen. Hierbei zeigt sich auch die enorme Bandbreite an Bowies Frisuren, es ist quasi alles dabei: gelockt, glatt, lang, kurz, rot, blond, weißblond, Mod, Punk, Hippie ... Ähnliches gilt auch für seinen Kleidungsstil - man sieht Bowie in ausgeleierten Cordhosen, femininen Hemdblusen, eleganten Anzügen, bunten Westen, schwarzem Existenzialisten-Rollkragenpullover, Marlene-Hosen und natürlich seinen spacigen und Glamrock-Outfits. Mal superhässlich, mal superattraktiv.

Einiges war seine eigene Idee, anderes überließ er Fachleuten wie dem Designer Kansai Yamamoto, der einen großen Teil der Ziggy-Kostüme entwarf. Der japanische Fotograf Masayoshi Sukita, den Bowie nach einem Konzert in London kennengelernt hatte und der vor allem als Modefotograf arbeitete, hatte Bowie 1973 mit Yamamoto bekannt gemacht.

Bolan, Pop und Reed

Viel Gewicht legt die Retrospektive auch auf die großen Rollen, die die Musiker Iggy Pop, Lou Reed und Marc Bolan in seinem Leben - zumindest zeitweise - gespielt hatten. Mit Marc Bolan, später Sänger der Glamrockband T. Rex, war Bowie seit Jugendtagen befreundet; beide wurden 1947 geboren, sie hatten beide ihre Mod- und später Hippie-Folk-Zeit, bevor sie elektrisch wurden; sie wurden beide zeitweise von Tony Visconti produziert. Beide änderten ihre Namen, verfielen dem Kokain, sie heirateten kurz nacheinander ... später wurden sie musikalische Konkurrenten, blieben einander aber bis zu Bolans Tod 1977 freundschaftlich verbunden.

Pop und Reed hatte Bowie getroffen, als er im Februar 1971 zum ersten Mal nach New York kam. Die Begegnung mit ihnen beeinflusste sein späteres Leben und seine Karriere gravierend. Alle drei zogen gemeinsam durch die New Yorker Clubs. Bowie war ein großer Fan von Reeds Band Velvet Underground; sein Song "Queen Bitch" ist eine Referenz an Reeds New York und eine Verneigung vor der Band. Später verhalf Bowie Reeds lahmender Karriere wieder zu neuem Schwung - er coverte Songs von ihm, holte ihn bei einem Konzert mit auf die Bühne und koproduzierte Reeds Album "Transformer". (Allerdings sprachen sie nach einer Prügelei 1979 jahrzehntelang nicht miteinander, bis 1997).

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Beim Autogrammeschreiben während der "Aladdin Sane"-Tour 1973.

(Foto: Geoff MacCormack/Edel Books)

Auch Iggy Pop unterstützte Bowie - etwa bei der Produktion von "Raw Power" von Iggy and the Stooges 1972. Er besuchte ihn 1974 regelmäßig in einer Drogenklinik. 1976 schließlich zogen beide nach Berlin (und wohnten in dem Haus, an dem oben erwähnte Gedenktafel angebracht wurde.) Bowie half Pop bei der Aufnahme von Songs für "The Idiot" und tourte sogar mit ihm - als Keyboarder. Und danach schrieben beide zusammen die Songs für Pops "Lust for Life".

Das Jahrzehnt des großen Umbruchs

Die Mittsiebziger waren für Bowie nicht nur die Zeit der künstlerischen Neuausrichtung, sondern auch des Drogenrauschs - nach "Diamond Dogs" (1974) wandte er sich vom Rock'n'Roll ab ("In der Hauptsache ging es darum, Rock'n'Roll ad absurdum zu führen, einfach allem, was ernst gemeint war, den Wind aus den Segeln zu nehmen. 'Diamond Dogs' sollte, soweit ich mich erinnere, den Rock'n'Roll von vorn bis hinten verballhornen," so Bowie 1991).

Mit "Young Americans" (1975) brachte er ein USA-inspiriertes Soul-Album heraus, dazwischen noch die Doppel-LP "David Live"- er sprang von Projekt zu Projekt. Nach dem gigantischen Erfolg von "Young Americans" zog sich Bowie in seine Villa in Los Angeles zurück und jede Menge Kokain. Er wurde immer dürrer, wie man auf Fotos und Filmaufnahmen aus der Zeit sieht. Zwischenzeitlich wog er keine 60 Kilogramm mehr.

"Zu der Zeit lebte ich in einer anderen Welt. Auf einem ganz anderen Stern. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was zwischen 1975 und 1977 in meinem Kopf vorging", sagte Bowie rückblickend 1993. Sein Berlin-Aufenthalt (1976-78) tat ihm diesbezüglich offenbar gut: "In Berlin habe ich nach Jahren zum ersten Mal wieder richtige Lebensfreude gefunden und mich befreit und gesünder gefühlt. Man muss bedenken, dass die Stadt achtmal so groß ist wie Paris und dass man sich darin viel einfacher 'verlieren' und auch wieder 'finden' kann", so Bowie 2001.

Zitate mit Unterhaltungswert

In den einzelnen Album-Kapiteln kann der Leser mitverfolgen, wie Plattencover und das Artwork dafür entstanden; die Ergebnisse von Fotosessions dafür sind zu sehen, beteiligte Künstler kommen zu Wort. Auch Bowie selbst wird immer wieder zitiert. Das hat einerseits großen Unterhaltungswert. Andererseits kann man so die Gedanken, die Idee hinter jedem neuen künstlerischen Schritt verfolgen und bekommt recht genaue Einblicke. Deutlich wird auch: Bowie war durchaus fähig zur Selbstkritik, war trotz seines immensen Ruhms nicht komplett abgehoben.

Zudem erfährt man in der Fülle der Informationen auch Details wie die von Bowies Flugangst - die brachte ihn dazu, öfter auch lange Strecken mit dem Zug oder Schiff zurückzulegen. Die so gewonnene Zeit schätzte Bowie sehr, da er dadurch mehr lesen konnte. Zu den Dreharbeiten von "Der Mann, der vom Himmel fiel" (1976) habe er 400 Bücher mitgenommen, erzählte Bowie 1999 in einem Interview. In vielen seiner Songs finden sich so auch Literaturverweise. Sein Konzeptalbum "Diamond Dogs" (1974) basiert auf George Orwells "1984" (zuerst hatte er sogar eine Musicalfassung des Buches geplant); auch "Strange People" von Frank Edwards, das Bowie sehr beeindruckt hatte, floss mit ein. Auf "Hunky Dory" (1971) wird Friedrich Nietzsche zitiert. So intellektuell und belesen gehen nicht viele Musiker ans Werk.

Die Bild-Biografie wird abgeschlossen mit einer detaillierten Diskografie - alle Studio- und Live-Alben sind aufgeführt, zudem ausgewählte Compilations und Soundtracks, an denen Bowie beteiligt war. Sie enthält Infos zu Besetzung, Covergestaltung, Titeln, Veröffentlichungsdatum, Chartplatzierungen und Besonderheiten. Eine spannende Reise durch Bowies kurvenreiches Leben und 50 Jahre Popgeschichte. Ein echter Bücherschatz für seine Fans.

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Quelle: ntv.de

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