"Nichts tut mehr weh" Die zwei, drei blauen Augen des Victor Schefé


Bei der "Spectre"- Premiere in Berlin vor 10 Jahren.
(Foto: imago images/VISTAPRESS)
Ein Buch für alle, die schon immer über den dämlichen Labeln "Jammer-Ossi" und "Besser-Wessi" standen, für die, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen, wie unser Land war, ist und sein wird. Erzählt von einem, der beide Seiten kennt: Victor Schefé.
Es ist, wie es ist. Ich habe ihn im Kopf, seit er in "James Bond 007 - Spectre" zu sehen war. Kurz nur. Aber so intensiv. Und so, dass ich ihn und seine blauen Augen nie wieder vergessen habe. Natürlich ist hier nicht die Rede von Daniel Craig, obwohl ich den auch cool fand damals. Und auch seine blauen Augen haben mich stark abgelenkt. Ich habe sogar von James Bond geträumt, direkt eine Nacht, bevor ich Daniel Craig interviewte. Ich fragte ihn 2015, ob er von James Bond träume, nach dem Dreh, und er guckte mich freundlich erstaunt an, wissend, dass der Dreh schon ein paar Monate her war und sagte: "No. Do you?" Ich errötete wie ein Teenager.
Anyway, ich drifte ab, wie immer, wenn ich über Männer schreibe, die ich toll finde. Jetzt soll es um Victor Schefé gehen. Den traf ich ein paar Jahre nach "Spectre", auf der Dachterrasse meiner coolen Nachbarn, die vorzüglich vernetzt sind. Wir kamen ins Gespräch, er hatte so einen spöttischen Blick, den ich gern knacken wollte. Musste ich gar nicht, denn Victor gehört zu den freundlichsten Menschen des Planeten. Und zu den coolsten. Sie merken, ich bin in den 80ern und 90ern aufgewachsen, denn anscheinend verfüge ich über keine weiteren Adjektive als "cool" und "toll".
Ironisch, spannend, atemlos
Also, Victor, der eigentlich zurückhaltend, höflich, etwas abwartend ist, keine Plaudertasche, plauderte mit mir fundiert, selbstironisch und spannend über dies und das bei untergehender Sonne auf der Dachterrasse. In den folgenden Jahren blieben wir lose in Kontakt.
Vor kurzem trafen wir uns, nicht, um über seine Filmkarriere zu sprechen. Oder die Musik, die er so liebt, dass es zu seinem Buch auch gleich eine Playlist gibt. Denn die Musik spielt eine große Rolle in seinem Erstlingswerk "Zwei, drei blaue Augen", und es ist genauso verschmitzt, wie der Titel klingt.
Wir finden beide, dass wir gut aussehen - "für unser Alter" - und müssen lachen. "Man sieht Leuten an, ob sie gut zu sich waren. Ob das Leben gut zu ihnen war", stellt Victor fest, "saufen, rauchen, Trallala hinterlässt seine Spuren. Wir haben es zu großen Teilen in der Hand. Aber ausprobieren sollte man alles mal", lacht er. Was fehlt ihm noch? "Ich wusste, dass das jetzt kommt. Also, Fallschirmspringen und so einen Quatsch mache ich nicht mehr. Ein Buch zu schreiben, war etwas, was ich jetzt einfach mal ausprobieren musste."
Raus aus der Enge
Es ist die Geschichte von Tassilo, ja, und von ihm, Victor, und der will raus aus der DDR. Raus aus der Enge der Rostocker Platte, hinein ins freie Leben West-Berlins. 1986 reist er dann aus, against all odds, trotz aller Ungewissheiten und trotz der Drohungen seiner Mutter. Und dann, drei Jahre später, fällt die Mauer. Mit dem Fall kommt eine Wahrheit ans Licht, die alles verändert.
Atemlos erzählt Schefé, vom Ankommen im Westen, den Begegnungen, den Reisen, seinem schlechten Gewissen, seiner Sehnsucht, seiner Traurigkeit. Seiner Neugier. Und wir reisen mit ihm, gern, schnell, ungeduldig. Aus Briefen, Tagebucheinträgen, Kindheitserinnerungen und Stasi-Akten hat er seinen Roman gebaut, und wir tauchen mit ihm in eine Welt, die ewig her zu sein scheint. Schefé bringt sie uns noch einmal nah. "Von diesen Stasi-Akten wusste niemand, und auch, dass ich jahrelang Tagebuch geschrieben habe, war niemandem bekannt. Wenn, dann nur kleine Versatzstücke."
Das, was Victor Schefé da hinter sich hat, das musste mal raus, das war ihm klar. "Ansonsten wäre ich jetzt noch nicht so bereit gewesen für 'Memoiren', denn ich habe, vor allem schauspielerisch, ja noch eine Menge vor mir." Um zu schreiben, musste er sich zurückziehen, Abstand nehmen, reflektieren und vor allem Berge an Dokumenten sichten. "Mir war selbst nicht bewusst, was da alles vorhanden ist." Entgegen seiner bisherigen Art, Privates privat zu halten, erfährt der Leser nun eine Menge über den Endfünfziger. "Ich habe mich immer geziert, stimmt, aber ich wusste auch, dass in meiner Lebensgeschichte so viel Geschichte im Kontext steht, dass man die erzählen sollte: Die DDR und Westdeutschland, die USA, die Welt, die Achtziger, die Ängste von Jugendlichen - die sich so decken mit dem, was heute passiert."
Der junge Tassilo/Victor will frei sein
Der Mensch, von dem Victor erzählt, Tassilo, das ist er. Dieser Mensch, der vielleicht am falschen Ort geboren wurde, der sich aufmacht, frei und unabhängig zu sein: Dieser Mensch ist so verdammt jung und verliebt in Musik und Männer, dieser Mensch will raus aus der Rostocker Platte und rein in die Freiheit West-Berlins. "Dieses Land, die DDR, hat mit Einschüchterung gearbeitet. Egal, ob rein oder raus, oder auch drinnen, immer Einschüchterung, immer größer tun, als man war. Ja, sie war stark, die SED, aber sie war nicht allmächtig, sie war nicht Gott, auch, wenn sie so getan hat."
1967 in der DDR geboren, ist er 1986 nach West-Berlin ausgereist. Start als Schauspieler an Berliner Off-Theatern, wenig später Hauptrollen am Schauspielhaus Wien. Danach in über achtzig Film- und TV-Produktionen von "Tatort" bis "Bewegte Männer", ab 2010 auch international, in "Bridge of Spies" unter der Regie von Steven Spielberg, im James-Bond-Film "Spectre" und in drei Staffeln "Borgia". Regisseur und Produzent von "B. i. N. – Berlin im November". Mitglied der Deutschen Filmakademie und Unterzeichner der Initiative #actout. "Zwei, drei blaue Augen" ist Schefés Romandebüt.
Als Victor Schefé vor Kurzem in Rostock war, seiner alten Heimat, da schreibt er auf Instagram Folgendes nach seinem Besuch: "War in dieser Woche zu einem Dreh fürs NDR-KulturJournal seit Langem wieder in meiner Geburtsstadt Rostock. An fast jeder Ecke hängen drei Pfund Erinnerungen – vertraute, verblichene, verdammte. Das Foto entstand am Brunnen der #Lebensfreude. Ich rauchte eine rote Marlboro, weil ich im Sommer 1985 genau dort, genau so eine bei einem Mädchen, das ein Westbuch las, erschnorrte. Die junge Frau kam aus New York und wir beschlossen schnell, forever Freunde zu werden. Unser diesjähriges 40. Jubiläum wollten wir eigentlich im Juli vor Ort zelebrieren, hatten aber beide keine Zeit. Nun wird sie mich am 12. November zu meiner Lesung in der @thalia_rostock Buchhandlung, nur einen Steinwurf vom Brunnen entfernt, begleiten. Die Reise hat begonnen. Nichts tut mehr weh. Der Rostocker Wind wehte wie immer stärker als anderswo, Menschen nickten uns freundlich zu, andere guckten finsterer als nötig. Ich freue mich auf all die alten und neuen Wegbegleiter*innen." Er wird weitere finden: Die, die sein Buch jetzt lesen, die, die wieder auf ihn zukommen werden.
Wie er, schwankend zwischen Verzweiflung und Euphorie, seinen Ausbruch aus dem Land seiner Kindheit plant, zwischen Liebe und Angst, aber auch, wie er, der junge Mann Victor seiner ideologisch verspannten Mutter begegnet, ist großartig zu lesen. Unvorstellbar für die meisten, aber sein Zuhause war nicht sicher: "Mutter sagt, sie wird alles dafür tun, dass mein Vorhaben nie aufgeht. Ihre Kriegserklärung ist klipp und klar – nicht nur als Mutter, auch als Genossin." Es gleicht einem Wunder, dass die Ausreise dieses gerade einmal neunzehn Jahre jungen Mannes gelungen ist.
Ein Buch wie ein Wake-up-call
Eine große Liebe von Victor Schefé ist New York, schon immer - was sagt er zu seinem ehemaligen Traumland USA im heutigen Zustand? "Was ich wirklich gruselig finde ist, dass Putin anscheinend das Vorbild für Trump ist. Immerhin wäre damit ja der Kalte Krieg wirklich beendet", bemerkt er ironisch. "Aber was mich so umhaut ist, dass Dinge, die gesellschaftlicher Konsens waren, wieder zur Debatte stehen. Dass queere Menschen um ihre Rechte bangen müssen. Und der Umgang mit Kunst und Pressefreiheit schockieren mich. Dass Bücher aus den Schulregalen verschwinden, dass Universitäten denunziert werden. Das hätten wir uns vor einiger Zeit nicht so vorstellen können."
Aber der Aufschrei bleibt aus, oder? "Bei den Büchern nicht, wir müssen aber davon ausgehen, dass ein Großteil der Bevölkerung der Ansicht ist, dass Geschichten über Drag-Prinzessinnen nicht in Kinderhände gehören. Und wenn das jetzt in den Staaten so ist, dann schwappt das leider irgendwann auch nach Europa. Aber ich habe mich nie versteckt, auch wenn ich im Moment etwas erschlagen bin. Ich würde uns allen gern einen Moment geben, um zu prozessieren, was da abgeht. In meiner Geschichte wird ja deutlich, dass es gut ist, wenn man für etwas kämpft, wo man sehen kann, dass es etwas gebracht hat."
Noch einmal Victor Schefé in einem jüngeren Instagram-Eintrag: "Heute hatten wir den 35. Frei-Feiertag. Möge der Westen die Ohren, Augen & Herzen öffnen für das KulturGUT des Ostens, möge der Osten nie vergessen, dass im jetzigen, relativ jungen Zusammendeutschland Künstler frei ihre Talente ausleben können und singen, sagen, schreiben, malen, filmen, tanzen, was sie wollen."
Es wäre nicht nur doof, diesen Roman nicht zu lesen. Er sollte in die Schulliteratur aufgenommen werden. Damit wir nicht vergessen. Damit wir verstehen, was wir haben und was wir niemals aufgeben sollten: unsere Freiheit. Waren wir in einem Dornröschen-Schlaf? "Ja, aber der war ja unsere Realität, es war friedlich und wir wollten, dass es ewig so weitergeht. Jetzt ist Wake-Up-Call, wir leben in Zeiten einer großen Zäsur. Aber die Jungen waren auf der Straße, sie haben mit Fridays For Future ein Zeichen gesetzt. Ich habe große Hoffnung, dass sie weitermachen, dass sie dranbleiben. Dass sie sich nicht, wenn sie zu einer Minderheit gehören sollten, an den Rand drängen lassen. Denn nicht jeder, der dir ins Gesicht lacht, meint es auch so."
Quelle: ntv.de