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Autor Hirschl über Kurz-Groteske "Manche Sachen sind zu deppert"

Manches, was Sebastian Kurz als österreichischer Kanzler tat, war für die Literatur unschreibbar klischeehaft.

Manches, was Sebastian Kurz als österreichischer Kanzler tat, war für die Literatur unschreibbar klischeehaft.

(Foto: imago images/Alex Halada)

Zugekokst, zynisch, zu allem bereit: In Elias Hirschls Roman "Salonfähig" eifert ein Karrierist im Slim-Fit-Anzug seinem politischen Idol nach und gerät dabei an den Rand des Wahnsinns - und darüber hinaus. Ähnlichkeiten mit den ganz realen Absurditäten im politischen Österreich sind völlig beabsichtigt und seit dem Korruptionsskandal um Altkanzler Sebastian Kurz gilt "Salonfähig" als Buch der Stunde. Im Interview mit ntv.de spricht Autor Elias Hirschl über den rätselhaften Erfolg der Philipp Amthors dieser Welt, über Politiker-Karrieren des geringsten Widerstands und den Punkt, an dem die Realität schlicht zu deppert wird, um noch in der Literatur zu funktionieren.

ntv.de: In Österreich hat die Realität Ihr Buch fast überholt. Was haben Sie gedacht, als Sie gehört haben, dass Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen frisierter und mit Steuergeld bezahlter Umfragen unter Korruptionsverdacht steht?

Elias Hirschl: Was mich überrascht hat, war, wie banal das Ganze ist. Wie diese Textnachrichten ausschauen ... ich stelle mir das immer komplexer vor, nicht dass die wortwörtlich schreiben: Druckt das oder ihr kriegt das Geld nicht. Oder dass sie sich wirklich in so einem elenden Schickimicki-Lokal am Donaukanal getroffen haben, nicht in einem Hinterzimmer. Also, wenn ich ein Buch über Korruption hätte schreiben wollen, hätte ich es anders angelegt.

Das Timing war jedenfalls sensationell, jetzt haben Sie plötzlich das Buch der Stunde geschrieben.

Elias Hirschl

Der Wiener Elias Hirschl, Jahrgang 1994, ist Autor, Musiker und Slam Poet. Vor "Salonfähig" veröffentlichte er unter anderem den Roman "Hundert schwarze Nähmaschinen" und die Textsammlung "Glückliche Schweine im freien Fall". 2018 war er Stipendiat am Literarischen Colloqium Berlin, 2020 erhielt er den Reinhard-Priessnitz-Preis für Literatur.

Ich find's lustig, dass Leute gemeint haben, ich hätte absichtlich über ein Aufregerthema geschrieben. Aber die erste Version war schon 2018 fertig. Damals habe ich mit dem Verlag darüber geredet, ob Kurz in zwei Jahren überhaupt noch aktuell ist. Man kann ja in Österreich nicht abschätzen, wie lange Regierungen im Amt bleiben.

"Salonfähig" wird als Schlüsselroman über die Ära Sebastian Kurz gepriesen. Ihre Hauptfigur aber steht nur in der dritten Reihe, ein einfaches Mitglied der Jugendorganisation "Junge Mitte", der die Post sortiert und sein Idol Julius Varga verehrt und kopiert. Was fanden Sie an dieser Figur so spannend?

Diese Figur ist gar kein lebensfähiger Mensch, der bringt nicht mal seinen Alltag gescheit hin, aber das System der Partei trägt ihn da durch, wenn er nur die Sachen befolgt.

Das ist genau der Eindruck, den die JVP [Jugendorganisation der ÖVP, 2009 bis 2017 geleitet von Sebastian Kurz, Anm.d.Red.] auf mich macht: Das sind Kinder von ÖVPlern, die eine Karriere des geringsten Widerstands einschlagen. Und wenn Papa an der Wall Street wäre, würden sie halt einen Job in der Finanzbranche machen. So machen die Politik. Sie bilden sich schon ein, dass sie einen aktivistischen Anspruch haben, in Wahrheit nehmen sie Politik nur als Karriere wahr. Das zieht eine Generation Politiker heran wie Gernot Blümel, der mal Kulturminister ist, dann Finanzminister, dann wieder was anderes, aber absolut kein Interesse an irgendetwas hat.

Die Entsprechung zu Sebastian Kurz, Julius Varga, bleibt eine Randfigur, zwar verehrt, aber irgendwie schwer greifbar. Interessiert Sebastian Kurz Sie eher nicht so sehr?

Doch, aber eher so, wie er aus Sicht dieser JVP-Leute gesehen wird, als eine gottgleiche, idealisierte Figur. Deswegen soll man von Varga nur ein bisserl was erhaschen - auch um die Idealvorstellung nicht kaputtzumachen. Mich interessiert Sebastian Kurz als Privatperson ja überhaupt nicht, er lässt da auch nix durchblicken, ein bisschen wie Angela Merkel, die ihr Privatleben auch eher abschottet, was per se überhaupt nicht schlimm ist. Ich fand dann nur die Idee lustig von einer Figur, die ausschließlich aus dieser Fassade der Politrhetorik besteht.

Alles, was der Ich-Erzähler über Politik, aber auch über Musik oder Restaurants sagt, klingt wie auswendig gelernte Lexikon-Einträge. Ein Vorbild für diesen Typ Windbeutel-Politiker war für Sie Philipp Amthor - warum?

Ich mag es, dem zuzuschauen, weil ich nicht verstehe, wie dieser Mensch so Karriere machen kann. Er wirkt komplett unnatürlich und unauthentisch in allem, was er sagt.

Warum haben diese Politiker trotzdem Erfolg?

Kann ich nicht sagen, ich bin kein Politikwissenschaftler. Vielleicht kommt er bei den Älteren gut an, die eigentlich eine Abneigung gegen junge Leute haben. Mit denen, die ihrem Habitus entsprechen, kommen sie klar - so adrett und gekämmt und im Anzug: Endlich mal ein junger Mann, der sein Leben im Griff hat.

Früher hieß es immer, Politiker müssen volksnah sein, einen Stammtisch dominieren können. Sebastian Kurz ist eigentlich das genaue Gegenteil eines Charismatikers, oder?

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Für mich macht es jedenfalls Sinn, dass der sich in der Partei nach oben geputscht hat. Wenn sich Kurz normal zur Wahl gestellt hätte, ist es schwer zu glauben, dass eine Mehrheit in der ÖVP gesagt hätte: Das ist der spannendste Typ.

Kurz hat die Wahl 2017 mit dem Slogan "Zeit für Neues" gewonnen, die politischen Untoten in Ihrem Buch hauen solche Plattitüden im Akkord raus. "Nehmen wir die Dinge in die Hand", heißt ein Slogan der "Jungen Mitte" …

Die Sprüche und Namen sind komplett generisch. Mir hat übrigens jemand erzählt, dass sich in der Schweiz gerade ein Jugendverband namens "Die Junge Mitte" gegründet hat. Da war das Buch schon im Lektorat. Es ist echt schwierig, noch fiktionale Parteinamen zu finden.

Inhaltlich sind Ihre Protagonisten völlig beliebig, moralisch komplett verwahrlost. Aus einem Besuch im Konzentrationslager Mauthausen machen sie ein Event inklusive Instagram-Video. Wie werden die so?

In dem Fall machen die das, weil sie alles als Marketing-Tool wahrnehmen. Sie fahren da nur hin, um sich ablichten zu lassen, um ihren Status als geschichtsbewusster Mensch zu beweisen. Eigentlich ist denen Mauthausen wurscht. Für mich war es einer der furchtbarsten Monologe, die ich je geschrieben habe, als der Erzähler den Zeitzeugen volltextet. Der hat ja nicht mal einen Namen, nur "der Zeitzeuge", das zeigt, wie relevant das für die ist.

Aus dem Vortrag des Zeitzeugen macht die "Junge Mitte" ein Trinkspiel, ein Schluck für jedes Mal, wenn das Wort "Holocaust" fällt. Wenn das Buch das "Porträt der Generation Slim Fit" sein soll, wie der Verlag schreibt - überdrehen Sie da nicht ein wenig?

Das habe nicht ich so geframed, das ist schon eher Marketing. Mit diesem Generationen-Ding hab ich eh meine Probleme. Wer soll die Generation sein, und wo? In Österreich, der Schweiz, Westeuropa, USA? Ich möchte das nicht an einer Generation festmachen, und die ÖVP nehme ich nur als ein Beispiel. Ich würde das auch auf andere Parteien übertragen, die ganz opportunistisch nur für Menschenrechte eintreten, wenn es gerade passt. Und zur Szene in Mauthausen gibt es ein reales Vorbild: Die ÖVP-nahe Studentenvereinigung "Aktionsgemeinschaft" hat in einer Chat-Gruppe tiefste Holocaust-Witze geteilt. Das war Rechtfertigung genug für dieses Kapitel. Sonst hätte ich mich das nicht getraut, weil es reiner Zynismus gewesen wäre. Aber so muss ich sagen: Es ist ja ein faktischer Zustand, von daher ist es okay, das in irgendeiner Form zu schildern.

Eigentlich könnte man auch aus "Salonfähig" ein Trinkspiel machen, ein Schnaps bei jeder Parallele zu einem realen Skandal, und man käme nicht weit. Das Punktesystem zum Beispiel, mit dem innerhalb der "Jungen Mitte" Sex mit Funktionären "belohnt" wird, gab es in der JVP wirklich.

Darüber hatte ich schonmal in einem eigenen Text geschrieben und ihn auf einer Lesebühne vorgestellt, da saß ein Mädchen aus der Schüler-Organisation der ÖVP im Publikum, die meinte: Endlich thematisiert das mal einer. Sonst wurde es überhaupt nicht als großer Skandal wahrgenommen, weil es einfach Usus war.

Sie haben vor einigen Wochen einen Text für die "Zeit" geschrieben, in dem Sie mehr oder weniger nur protokolliert haben, was in Österreich an Skandalen und Absurditäten zusammengekommen ist in den letzten Jahren. Ist es schwer, auf das reale Österreich noch einen draufzusetzen?

Darum ging es mir gar nicht. Die Erstfassung war ja 2018 fertig, 2019 kam Ibiza - und da habe ich mich zum Beispiel dagegen entschieden, es auch nur zu erwähnen. Das war zu spezifisch, zu spektakulär. Und manche Sachen gehen sich einfach literarisch nicht aus, weil sie zu deppert sind. Wenn Thomas Schmid [Vertrauter von Sebastian Kurz, Anm.d.Red.] sich beschwert, dass er ohne Diplomatenpass "wie der Pöbel" reisen müsse … das würde ich meine Figuren nicht sagen lassen, das fänd' ich zu billig.

Mit Elias Hirschl sprach Christian Bartlau

Quelle: ntv.de

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