"Nostalgia Siciliana" Tiefkühlpizza, Amore, "La Famiglia" und die ewige Sehnsucht


"Zwei kleine Italiener" sang Conny Froboess 1962 - hier gleich drei Italiener, gar nicht mal so klein, links Gianni Di Stefano.
(Foto: privat)
Pizza, Spaghetti, Amore und die Gewissheit, dass Italiener als Gast-Arbeiter weniger Gast als Arbeiter waren; das alte West-Berlin, die Mafia, ein Restaurant in Dahlem, der viel zu frühe Tod des Vaters und die ewige Sehnsucht nach Sizilien - all das beschreibt Patrizia Di Stefano so anschaulich, dass man meint, die Zitronen riechen und das Meer in der Ferne sehen zu können.
"Eine bittersüße Liebeserklärung an den italienischen Süden" heißt es in der Pressemitteilung. Und trifft es auf den Punkt. Patrizia Di Stefano hat ihr Erstlingswerk ihrer eigenen Familiengeschichte gewidmet. Mit liebevollem Blick und viel Geduld erarbeitet sie sich die kleinen Stückchen ihrer Vergangenheit, die ihr fehlten, seit ihr Vater gestorben ist, als sie 12 war. Das war 1978.
Seitdem gärt die Geschichte in ihr. Vor allem, seit sie selbst Mutter ist und ihre drei Jungs Fragen nach "Nonno" stellten, dem unbekannten Großvater. "Aber eigentlich war das Buch die ganze Zeit schon da, es war nur noch nicht zu Papier gebracht", erzählt sie beim Treffen in einem Berliner Sportverein. Am Anfang sollte es nur eine Dokumentation über die Erfindung der Tiefkühlpizza werden, denn es hatte sie schon lange geärgert, dass Ernst Freiberger, der ihrem Vater die Pizzafabrik 1976 abgekauft hatte, später behauptete, er hätte einen maroden Betrieb übernommen. "Damals hat mein Vater bereits 150.000 Tiefkühlpizzen im Monat produziert, Supermärkte und Dr. Oetker beliefert. Er hat sogar Pizza nach Italien exportiert. Und wer die Haltung der Italiener zu ihrem Nationalheiligtum kennt, weiß, was das für ein unglaubliches Gütezeugnis ist."

Wenn die Sehnsucht zu groß wird, kocht ihr Mann - aus dem Norden - Gerichte aus der Heimat für Patrizia Di Stefano.
(Foto: Aufbau Verlag)
Daher beschloss sie, die Geschichte in Romanform aufzuschreiben: "Eine Veröffentlichung war eigentlich gar nicht geplant. Ich hatte beim Verlag nach einer Lektorin gefragt und ehe ich mich versah, hatte ich eine Zusage zur Veröffentlichung", sagt sie lachend, noch immer ein wenig erstaunt über das ihr entgegengebrachte Vertrauen. Und wie erzählt sie die wahre Geschichte des Giovanni Di Stefano, Restaurantbesitzer des legendären "Il Gattopardo" im Berliner Schicki-Micki-Bezirk Dahlem? "Mit ein paar liebevollen Ergänzungen an den Stellen, an denen keiner mehr wusste, wie es wirklich war." Di Stefano ist Grafikerin, verhilft sonst anderen Buchtiteln durch die Gestaltung des Umschlags zu mehr Sichtbarkeit und somit auch zu mehr Erfolg. Dass ihr Roman "Nostalgia Siciliana" ein Erfolg wird, steht eigentlich außer Frage.
Sie schreibt warm, weich, man meint, die Luft auf Sizilien, der Heimat ihres Vaters, zu spüren. Man leckt sich die Finger, wenn sie das Essen beschreibt (Stuzzichini tradizionali!), und fliegt etwas schneller über die Seiten, wenn die Beschreibungen, wie die Hühner geköpft werden, zu intensiv werden. Ganz nebenbei lernen wir nicht nur italienische Lebensart, sondern auch die italienische Sprache besser kennen, denn der Text ist gespickt mit Redewendungen, die zum Glück fast immer selbsterklärend sind. Und wenn mal nicht, porca miseria, dann schaut man eben nach.
"Gast? Arbeiter!"
Patrizia Di Stefano erzählt die Geschichte von Tita - "meine Geschichte": Eine Berliner Grafikerin wird durch einen Anruf aus Sizilien direkt in die Vergangenheit gebeamt. Wie viel Patrizia ist denn in Tita? "Ich würde sagen 200 Prozent. Auch wenn die Rahmenhandlung an vielen Stellen fiktiv ist, ist es eine sehr persönliche Geschichte, die überall dort, wo Gefühle eine Rolle spielen, in die Tiefe geht. Ich brauchte etwas Abstand, um den Schreibprozess emotional unbeschadet zu überstehen, deswegen habe ich Tita 'vorgeschoben' und ihr ein paar wirklich nette Freunde an die Seite gestellt, die sie auf dieser schwierigen Reise begleiten."
Ihr Vater Giovanni, von allen Gianni genannt - verließ einst Sizilien, um als einer der ersten Gastarbeiter in Berlin sein Glück zu finden. Dass das nicht so einfach war wie der junge Mann, der seine Ausbildung zum Priester und seine ahnungslose Familie zurückließ, sich das anfangs vorgestellt hatte, kann man sich denken.
Als die Italiener Anfang der 1960er-Jahre als billige Arbeitskräfte nach Deutschland kamen, wurden sie sehr skeptisch empfangen. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, mit welchen Vorurteilen die ersten italienischen "Gastarbeiter" zu kämpfen hatten. "Das Vermischen der Zugereisten mit den Deutschen war unerwünscht. Dem Italiener an sich sagte man nach, faul und unehrlich zu sein und den deutschen Frauen nachzustellen," so Patrizia Di Stefano. In vielen Läden hatten Italienerinnen und vor allem Italiener keinen Zutritt: "Sie hatten eigene Wohnheime, eigene Gaststätten, sogar eigene Fußballvereine." Umso schöner liest es sich, wie Gianni seine deutsche Frau, Patrizias Mutter, kennenlernte, und ihre Eltern ihm vorurteilsfrei und offen entgegentraten.
Pizza, Promis und Probleme

Gianni, rechts, in seinem Restaurant "Il Gattopardo" ("Der Leopard") Anfang der Siebzigerjahre.
(Foto: privat)
1960 landete Gianni schließlich zuerst in Köln, machte sich aber bereits 1961 nach Berlin auf, wo er als Kellner im Hilton und im Restaurant des Flughafens Tempelhof arbeitete. Er lernte Titas/ Patrizias Mutter kennen und eröffnete bald eines der ersten italienischen Restaurants der Stadt. Im "Il Gattopardo" am Breitenbachplatz gab es authentische italienische Küche und viel zu gucken, denn die Promis und die Berliner Schickeria trafen sich dort. Die Autorin dieser Zeilen - gleicher Jahrgang wie die Autorin des Buches - wohnte damals dort um die Ecke und erinnert sich daran, dass, wenn ihre Eltern im "Gattopardo" essen gingen, ihre Mutter sich immer ein wenig schicker machte als sonst - man hätte schließlich Herbert von Karajan oder Harald Juhnke treffen können.
Wen man dort auf alle Fälle traf: den Wirt. Er blieb bis in die späte Nacht, er rauchte, er trank, er aß zu ungünstigen Zeiten, er schlief zu wenig. Er fuhr oft nach Bergamo, "die Geschäfte", sagte er. Er wurde krank. Der Laden, der für seine Gäste Urlaub und Leichtigkeit ausstrahlte, bedeutete für Gianni schon lange eine Belastung und einen Teufelskreis, aus dem es kaum einen Ausweg gab: "Es sind die Einkäufe", klagt Gianni im Buch gegenüber seinem Freund Selvaggio. Und das Personal, das sich großzügig an der Kasse bediente. Aber vor allem "die Preise. Für das Mehl. Die Weine. Vor allem für die Dosentomaten. Sie verkaufen dir die Ware zu Fantasiepreisen, sehen dir dann beim verzweifelten Kampf ums Überleben zu (und das, obwohl das "Gattopardo" jeden Abend ausgebucht war und auch der Mittagstisch gut lief, Anm.d.Red.) und bieten dir zu guter Letzt einen Kredit zu Wucherkonditionen an." Ein Teufelskreis, dessen Gewinner Gianni nicht werden konnte, trotz Expansion, neuer Restaurants, Verpachtungen - und der Erfindung der Tiefkühlpizza. "Mein Papà war wirklich alles, aber er war einfach zu nett, um ein raffinierter Geschäftsmann zu sein", erinnert sich Patrizia Di Stefano melancholisch.

"Ich wünsche meinem Buch einen guten Weg, mit all den Menschen, die darin wohnen."
(Foto: Aufbau Verlag)
Gianni starb, weil er "zuckerkrank" war, wie man damals sagte. Diabetes. Er lebte mit der Zählung seiner "Broteinheiten", musste aber auf Brot, Nudeln und jegliche Art von Teig verzichten. Eine Qual für den lebenslustigen Sizilianer. War das noch lebenswert? "Der Tod meines Vaters kam so überraschend für mich, dass ich seitdem - immer wenn gerade alles gut läuft - Angst habe, es könnte etwas Furchtbares passieren", so Patrizia Di Stefano. "Mit zwölf macht man sich über Krankheiten wie Diabetes oder ungesunde Lebensführung noch keine Gedanken. Im Gegenteil, Rauchen gehörte in den Siebzigern ja fast zum guten Ton, und den Schrecken von Diabetes habe ich erst später begriffen. Ich bin ebenfalls Diabetikerin, aber im Gegensatz zu damals ist die Krankheit heute mit etwas Disziplin gut in den Griff zu bekommen."
Die Sehnsucht hört niemals auf
Gianni hätte kürzertreten sollen. Das war aber nicht drin, das "Kürzertreten" wurde immer wieder verschoben. Di Stefano starb, nicht einmal vierzig Jahre alt, in Berlin. "Wahrscheinlich fehlt uns allen das Gleiche nach dem Verlust eines Elternteils oder auch eines Partners: die Nähe. Dieses Gefühl, jemanden zu haben, der dir immer zur Seite steht. Die Sehnsucht danach hört niemals auf, ob mit sieben oder mit siebzig Jahren", erzählt Di Stefano ntv.de.
"Ich erinnere mich daran, wie traurig mein kleiner Bruder war, weil unser Vater gestorben ist, bevor er mit ihm in "Star Wars" gehen konnte, wie er es ihm versprochen hatte. Ich war traurig, weil er nun keine große Hochzeit auf Sizilien mehr mit mir feiern konnte, wie er es immer gesagt hatte." Es seien vor allem die Kleinigkeiten, die fehlen, wenn jemand so früh und unerwartet geht. "Meine Mutter hat sich in die Arbeit gestürzt und alles, was mit Sizilien zu tun hat, verdrängt."
Noch heute, als erwachsene Frau, wird Giannis Tochter in Restaurants von ihr kaum bekannten Menschen ergriffen ans Herz gedrückt, mit den Worten: "Ich kannte deinen Papa." Die Zahl der italienischen Gastronomie-Urgesteine der ersten Stunde wird immer kleiner. Aber auch auf Sizilien trifft die Autorin jedes Jahr Freunde und Verwandte, "gefühlt die halbe Insel", lacht sie.

Patrizias Cousinen konnten sich nicht vorstellen, dass jemandem wie ihr etwas an dem alten Steinhaus liegen könnte: zu weit weg vom Meer (15 Minuten) und von den Bergen (10 Minuten)! Sie verkauften es. "Es bricht mir heute noch das Herz, wenn ich daran denke", so Di Stefano. Auf dem Foto: Das Anwesen Magnì, die Großeltern, das zahme Schwarzschwein Agata und Patrizia.
(Foto: privat)
"Und was macht man dann? Man isst und trinkt und redet von vergangenen Zeiten und von den Lebenden und den Toten. Mittlerweile habe ich manche Geschichten aus der Kindheit meines Vaters schon so oft gehört, dass ich irrtümlich denke, ich wäre selbst dabei gewesen." Onkel Salvatore hat ihr kurz vor seinem Tod noch ein paar Zettel mit handschriftlichen Notizen in die Hand gedrückt, mit der Bitte, den Papa, also seinen jüngeren Bruder, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Seine Tochter, die eine stete Sehnsucht nach der Heimat ihres Vaters verspürte, hat ihm mit ihrem Buch - auch dank Salvatores Zetteln - ein Denkmal gesetzt, auf das er sicher stolz wäre.
Grüß' alle von mir!
Hat sie sich nun frei geschrieben? Gibt es eine Art Vorher-Nachher-Feeling? "Was wirklich schlimm war - allerdings schon als ich die letzten Seiten geschrieben habe - war die Tatsache, dass ich all die Menschen aus meiner Kindheit und auch das Landgut Magnì ein weiteres Mal verlieren würde. Beim Schreiben waren sie alle wieder um mich herum. Wir haben zusammen gelacht und geweint, gekocht und geflucht, und die Geschichte noch einmal miteinander erlebt. Und dann war auf einmal Schluss", so die Autorin nachdenklich. "Das war traurig, ich hatte echt Entzugserscheinungen. Wenn mir jemand erzählt, dass er gerade mein Buch liest, fühle ich mich immer versucht, ihm ein 'Grüß' alle schön von mir!' mit auf den Weg zu geben."
"Und was das Vorher-Nachher-Feeling angeht, das ist ein bisschen so wie bei einer Schwangerschaft: Ganze neun Monate habe ich im Stillen am Manuskript gearbeitet, und nun, nach einem guten Jahr, ist es 'draußen' und man kann diesem Etwas endlich mal ins Gesicht sehen. Das Beste aber ist: Ein Roman kommt nicht in die Pubertät!"
Wer möchte, findet hier ein Kochbuch mit einigen deutsch-sizilianischen Rezepten der Familie Di Stefano sowie eine Nostalgia-Playlist
Quelle: ntv.de