Als der "Kalte Krieg" heiß wurde Stanley Kubricks "Dr. Strangelove" wird 50
29.01.2014, 15:26 Uhr
Schauspieler George C. Scott in Air-Force-Uniform bei den Aufnahmen zu "Dr. Strangelove".
(Foto: AP)
Als Stanley Kubrick 1964 seine Satire "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" vorstellte, war vielen Zuschauern und Kritikern im ersten Moment nicht klar, wobei sie Zeuge werden sollten. Der Meister-Regisseur hatte die schwarze Komödie und die Art, Filme zu machen, neu definiert.
Sieht man den Film "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love th e Bomb" (so der Original-Titel) zum ersten Mal, wirkt bereits der Vorspann verstörend. Eine B-52 der US-Air-Force wird aus der Luft betankt und es bedrängt einen das Gefühl, eine Sexszene zu beobachten. Die Phallus-Symbolik dieser Szene ist von grotesker Schönheit und zeigt, wie Kubrick es verstand, komplizierte Zusammenhänge auf das Wesentliche zu reduzieren.
Anfang der 1960er Jahre war das Thema Atomkrieg in aller Munde. Das nukleare Wettrüsten der Supermächte USA und der damaligen Sowjetunion war in vollem Gange. Die Kubakrise im Oktober 1962 hatte die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Inmitten dieser Stimmung aus Furcht und Grauen vor dem Ende der Welt, hatte das US-amerikanische Regie-Genie Stanley Kubrick eine Idee: Warum das Thema nicht komödiantisch verpacken und als bitterböse Satire auf die Leinwand bringen?

Sue Lyon verkörperte in der ersten Nabokov-Verfilmung Stanley Kubricks im Jahr 1962 das Nymphchen "Lolita", dem Jams Mason als Humbert Humbert verfällt.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Kubrick war nach seinem Film "Lolita" (1962) auf der Suche nach neuem Filmstoff. Angesichts der damaligen politischen Weltlage befasste er sich intensiv mit dem Thema der atomaren Bedrohung. Bei seiner Recherche fiel ihm der Roman "Red Alert" des britischen Schriftstellers Peter George in die Hände, den dieser unter dem Pseudonym Peter Bryant 1958 publiziert hatte. Kubricks nächstes Filmprojekt war gefunden.
Anfangs noch als ernstes Drama nach der Originalvorlage geplant, favorisierte Kubrick bald eine satirische, fast lustige Herangehensweise an das Material. Kollegen rieten ihm davon ab, aber der Regisseur konnte diese Idee einfach nicht mehr verwerfen. Für ihn war dem Wahnsinn, der zu einem nuklearen Holocaust führen würde, nur mit einer Satire beizukommen. Um die Menschen und die Mechanismen, die bei einem solchen Szenario hervortreten würden, angemessen zu beschreiben, musste deren Albernheit und Idiotie aufgezeigt werden. Der namensgebende Charakter des "Dr. Seltsam" wurde eigens für den Film entwickelt. Im Satiriker und Drehbuchautor Terry Southern fand Kubrick den idealen Kumpanen. Southern fügte dem Script den bittersüßen Humor und die bis ins bizarre treibende Überzeichnung der Charaktere hinzu. Die B-52-"Stratosphärenfestungen" konnten ihren Vernichtungs-Ritt starten.
"Sie können doch im Kriegsministerium nicht Krieg spielen!"
In dem britischen Schauspieler und Komiker Peter Sellers fand Kubrick das Kernstück seines Darsteller-Ensembles (beide kannten sich schon aus Kubricks vorheriger Produktion). Sellers war ein Meister seines Fachs, und wie man es von ihm schon aus anderen Filmen gewohnt war, spielte er in "Dr. Seltsam" ("Dr. Strangelove") drei verschiedene Rollen. Zum einen wäre da der aufrechte britische Austauschoffizier Captain Mandrake, der mit seiner etwas unbeholfenen Art dem Brigadegeneral Jack D. Ripper (gespielt von Sterling Hayden und Auslöser der Probleme mit nuklearer Natur) vollkommen ausgeliefert ist ("Sie bedrohen einen Waffenbruder mit der Waffe?"). Zum anderen ist da US-Präsident Muffley, der einzige Mann am Tisch des sogenannten "War Room" (ein geheimer Ort im Pentagon, in der deutschen Fassung Kriegsministerium genannt), der nicht sofort in den Krieg ziehen und die Welt in ein atomares Feuer zerren möchte. Zumindest nicht, ohne vorher die Möglichkeiten eines unterirdischen Bunkers mit zehn ihm persönlich zur Verfügung stehenden Frauen erwogen zu haben. Der Weltuntergang muss ja schließlich anständig organisiert werden. Und zu guter Letzt ist da noch Sellers Darstellung des Doktor Seltsam ("Dr. Strangelove") einem Nazi-Wissenschaftler, der in den Zeiten des Kalten Krieges für die Amerikaner arbeitet und ihnen raketentechnisch und weltuntergangsmäßig mit Rat und Tat zur Seite steht.
Der nukleare Endsieg
Peter Sellers war ein Genie des facettenreichen Schauspiels und ein enormes Improvisationstalent. Der Perfektionist Kubrick ließ den Briten nicht nur gewähren, er spornte ihn zu Höchstleistungen an. Viele der besten Szenen von "Dr. Seltsam" kamen auf diese Weise zustande ("... leider ist an meinem Bein gerade eben die Schnur zerrissen ...Dimitri, Dimitri … bitte lassen Sie mich aussprechen, Dimitri"). Im Schlussakt, wenn Sellers als "Dr. Seltsam" dem Drang nach seiner Vergangenheit nachgibt und die Grenzen zwischen seinem alten Arbeitgeber und dem US-Präsidenten verschwimmen, bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Sellers Darstellung des deutschen Wissenschafts-Genies ist blutgefrierende Komödie. Wenn der im Rollstuhl sitzende Doktor am Ende mit den Worten "Mein Führer, ich kann wieder laufen" aufspringt, ist der nukleare Endsieg in greifbarer Nähe.
US-Schauspieler George C. Scott, in seiner Rolle des General "Buck" Turgidson, stellt den nach Weltkrieg geifernden Gegenpol zu Sellers Präsidenten-Part dar ("... ich will nicht sagen, dass wir dabei keine Haare lassen müssen, aber das sage ich, nicht mehr als runde 25 Millionen Tote, im Höchstfall").
Scott, ein Ex-Marine, der als sehr eigensinnig und aufbrausend galt, wurde von Mastermind Kubrick durch ein simples Schachbrett am Set gezähmt. Da sich der erfolgreiche Mime auch für einen guten Schachspieler hielt und in Kubrick einen ihm überlegenden Gegner fand, war der nötige Respekt auf Anhieb gewährleistet.
Die Fäden aller Akteure liefen bei Kubrick zusammen, der es verstand, sie über ihre künstlerischen Grenzen hinaus in den Over-Acting-Wahn zu treiben und im wahrsten Sinne des Wortes zu mobilisieren.
"Kleiner atomarer Nahkampf mit den Russen"
Als Brigadegeneral Jack D. Ripper mit prägnantem militärischem Sachverstand (da er seine männliche Essenz nicht an die Damenwelt verschwendet) erkennt, dass die Militärs der Sowjetunion das Trinkwasser der USA "fluoridiert" haben und selbst vor Fruchtsäften und Speiseeis ("selbst Speiseeis, das muss man sich mal vorstellen") nicht zurückschrecken, ist die Sache klar. Die kommunistische Weltverschwörung hat die Schwelle der freien Welt bereits überschritten. "Plan R" wird aktiviert, eine Bomber-Staffel Richtung Mütterchen Russland geschickt und somit das unvorstellbare Szenario des cineastischen Meilensteins "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" in Gang gebracht.
Als Major T. J. "King" Kong (Captain einer der B-52s, wunderbar dargestellt von Slim Pickens als Südstaaten-Cowboy der Lüfte) vermeintlich erkennt, dass der Ernstfall eingetreten ist und er Helm gegen Cowboy-Hut tauschend "Kleiner atomarer Nahkampf mit den Russen" vor sich hin schwadroniert, ist man lachend der Schockstarre nah.
"Der Krieg ist zu wichtig, um ihn den Politikern zu überlassen"
Kubrick inszenierte seine filmische Anklage gegen den damaligen Zeitgeist und das atomare Wettrüsten dermaßen überspitzt und irrwitzig, dass der Humor gelegentlich das Gesehene verdrängt. Denn "Dr. Seltsam" ist auch vom Design (allen voran der "War Room" und das Innenleben von Kongs Bomber) seiner Kameraarbeit und der Tricktechnik auf extrem hohem Niveau.
Als Parabel auf das Militär, der Technik als Waffe und den Führern der Welt, ist Kubricks Meisterwerk heute aktueller denn je. Auch wenn die atomare Bedrohung nicht mehr so allgegenwärtig erscheint, so ist der Wahnsinn, der uns als Menschheit immer nach neuen Feindbildern suchen lässt, leider immer noch ein Motor dafür, mörderische Technologien aufeinander loszulassen.
Als der frühere Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan Anfang der 1980er US-Präsident wurde, soll er seinen Stabschef aufgefordert haben, ihm doch bitte bei Gelegenheit mal den "War Room" im Pentagon zu zeigen. Der Untergebene erwiderte, solch einen Raum gebe es im Hauptsitz des Verteidigungsministeriums nicht. Reagan wirkte verdutzt und soll gesagt haben: "Aber diesen Raum hab ich doch damals in 'Dr. Strangelove' gesehen".
"Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" feiert am 29. Januar 2014 sein 50. Jubiläum.
Quelle: ntv.de