"Habe lang den Mund gehalten" Anna Ermakova erhebt die Stimme
09.08.2024, 14:09 Uhr Artikel anhören
Als Anna Ermakova 2023 an "Let's Dance" teilnimmt, wird sie schlagartig zu Everybody's Darling. Nun versucht sie sich auch als Sängerin - mit einem kompletten Album namens "Behind Blue Eyes". Stoff genug für ein ausführliches ntv.de Interview, in dem nur ein Thema tabu ist: ihr Vater Boris Becker.
ntv.de: Anfang des Jahres machtest du mit deiner Coverversion des The-Who-Songs "Behind Blue Eyes" als Musikerin auf dich aufmerksam. War da eigentlich schon klar, dass du sogar ein ganzes Album aufnehmen würdest?
Anna Ermakova: Das war auf jeden Fall immer das Ziel und der Plan. Als ich die Single veröffentlichte, habe ich bereits über ein Album nachgedacht. Dass das Lied so gut angekommen ist, hat mir aber natürlich noch einmal Selbstvertrauen gegeben und mich darin bestärkt, mit der Musik weiterzumachen und das Album zu verwirklichen.
Du verleihst den Songs deine Stimme, aber wer ist eigentlich das Team dahinter?
Das sind natürlich viele Leute, darunter all die professionellen Musiker. An den Songs gearbeitet habe ich jedoch vor allem mit meinem Produzenten Christian Geller. Erst einmal ging es darum, meinen eigenen Sound zu finden. Wie sollte er klingen und wie wollte ich, dass er klingt? Es ist ja doch alles ziemlich schnell gegangen mit der Musik in diesem Jahr. Für so ein großes Unterfangen wie ein Album war es wichtig, hier Klarheit zu finden.
Christian Geller produziert unter anderem auch Florian Silbereisen. Du wiederum singst mit Silbereisen auf deinem Album das Duett "Something Stupid". Wie ist es dazu gekommen?
Alles fing an, als ich im Januar mit "Behind Blue Eyes" in einer seiner Shows auftrat. Das war eine Riesenehre für mich. Dort haben wir uns kennengelernt und sind ins Gespräch gekommen. Im Februar war ich dann in seiner "Schlagerüberraschungsshow" zu Gast. Nachdem ich "Son of a Preacher Man" gesungen hatte, überraschte ich ihn mit "Something Stupid" als Duett, wobei er nur die Worte "I love you" singen brauchte. Wir waren so glücklich über die positiven Reaktionen darauf, dass wir beschlossen, ins Studio zu gehen, es als richtiges Duett aufzunehmen und eine Single daraus zu machen. Auch das war eine Riesenehre für mich - mit jemandem wie ihn zusammenzuarbeiten, der seit 20 Jahren ein so erfolgreicher Künstler ist.
Die Songs auf dem Album, das ebenfalls "Behind Blue Eyes" betitelt ist, haben eine große musikalische Bandbreite. Das reicht von den Doors bis zu Depeche Mode, von Dusty Springfield bis Lana Del Rey. Wie wurden sie ausgewählt?
Alle von mir persönlich. Ich habe sehr viele Einflüsse und bin mit sehr vielen verschiedenen Arten und Genres von Musik aufgewachsen. Ich wollte sie verstehen, mich ihnen öffnen und sie miteinander verbinden. Genau darum ging es auch bei dieser Suche nach meinem eigenen Sound.
Die meisten der Songs wurden geschrieben und aufgenommen, als du noch nicht einmal geboren warst. Wie bist du mit ihnen in Berührung gekommen?
Vor allem durch Filme. Deshalb trägt das Album auch den Untertitel "The Movie Album". Viele der Songs habe ich in meiner Kindheit in verschiedenen Filmen gehört, die einen Eindruck bei mir hinterlassen haben. Aber ich habe viel Musik auch durch mein Zuhause und Freunde kennengelernt. Meine Mutter zum Beispiel hat mir immer The Doors oder auch Depeche Mode vorgespielt, als ich noch sehr klein war. Lana Del Rey dagegen habe ich ganz allein entdeckt. (lacht) Da kommt schon eine ziemlich verrückte Mischung heraus, die keinen richtigen Sinn ergibt. Aber gerade deshalb mag ich es. Ich finde darin Schönheit und es ist irgendwie ehrlich.
Es klingt ja bereits an: Auf dem Album befinden sich ausschließlich Coverversionen - weil du dich nicht getraut hast, auch eigene Stücke aufzunehmen oder weil es nicht in das Konzept mit den Filmen gepasst hätte?
Ein Stück weit beides. Ich habe tatsächlich parallel zu den Aufnahmen für das Album auch mit dem Schreiben angefangen. Aber an der Stelle, an der ich gerade bin, hätte es für mich nicht gepasst, das zu veröffentlichen. Ich möchte meine eigenen Sachen noch ein bisschen mehr entwickeln und mich mit Blick auf die Musik selbst finden. Ich denke, es ist eine Art Evolution und ich bin sehr dankbar für diese Zeit der Selbstreflexion.
Du hast nicht nur viel Musik in deinem Leben gehört, es klingt auch, als seist du ein ziemlicher Film-Nerd ...
(lacht) Ja, das stimmt. Ein bisschen schon.
Auch hier ist die Bandbreite der Filme und Serien, auf die du dich auf deinem Album beziehst, enorm - von "Pulp Fiction" bis "Bridget Jones", von "Moulin Rouge" bis "American Psycho". Guckst du dir so ziemlich alles an?
Als ich ein Teenager war und die meisten dieser Filme gesehen habe, war das auf jeden Fall so. Damals habe ich diese Welt der Kreativität, in der Menschen zu ganz unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Meisterwerke erschaffen haben, entdeckt und aufgesaugt. Es war wie eine kleine Blase, in die ich flüchten konnte. Gerade ältere Filme eröffnen einem eine Art idyllischen Raum in einer anderen Zeit, in den man flüchten kann, der einem aber auch hilft, zu verarbeiten, wer man ist. Ich finde es toll, Neues zu entdecken und auszuprobieren und zugleich zu reflektieren.
Das heißt, wenn dich jemand zu einem Horrorfilm einlädt, bist du auch dabei …
Horrorfilme sind jetzt nicht unbedingt mein Favorit. Aber auch sie habe ich als Teenager geguckt. Da lief eigentlich jeder Tag so ab: nach Hause kommen von der Schule, Hausaufgaben, Filme gucken. Da sind jede Menge Filme zusammengekommen. Es gibt so viel zu lernen und zu entdecken - das hört nie auf. Deshalb kann und will ich mich nicht nur für eine Sache oder ein Genre entscheiden. Egal, ob es nun um Musik oder Film geht oder darum, was ich in meinem Leben mache.
Von "Let's Dance" über deinen Jury-Job beim "Supertalent" bis jetzt zum Singen …
Genau. Würde man alles nur auf eine Nische beschränken, wäre man praktisch wie in einer Schublade gefangen. Das habe ich nie gemocht. Ich hatte nie das Gefühl, irgendwo hinzugehören. Ich denke, das erklärt ein Stück weit diese bunte Mischung aus allem.
Du beziehst auch viele der Texte der Songs, die du coverst, auf dein Leben. Als etwa die Single "Behind Blue Eyes" herauskam, hast du Parallelen zu deiner nicht ganz einfachen Kindheit gezogen. Über das Lied "Iris" von den Goo Goo Dolls hast du erklärt: "Ich kann mich damit gut identifizieren, weil auch ich mich oft sehr missverstanden gefühlt und mir gewünscht habe, für das akzeptiert zu werden, was ich bin." Ist die Musik auch eine Art Therapie für dich?
Natürlich. Ich denke, alle kreativen Aktivitäten sind eine Art Selbsttherapie, weil sie einen dazu zwingen, in sich selbst zu schauen. Das dann mit anderen zu teilen, ist nicht immer einfach, vor allem, wenn man so sehr in der Öffentlichkeit aufgewachsen ist wie ich. Das ist, worum es in "Iris" geht: Du willst nicht immer gesehen, aber akzeptiert werden und deinen Weg finden. Natürlich ging es bei den Songs, die ich ausgewählt habe, auch darum, dass mich ihre Texte ansprechen. Sie haben in mir etwas ausgelöst, ich verbinde einen glücklichen Moment oder andere Erinnerungen mit ihnen. So arbeitet man sich auch noch einmal durch seine eigenen Verletzungen, den eigenen Schmerz und die eigenen Erfahrungen. Ja, es ist wie eine Therapie.
Du sagst, du möchtest nicht gern auf eine Nische beschränkt sein. Neben dem Singen und den TV-Shows hast du mit deinen 24 Jahren auch schon gemodelt und dein Studium der Kunstgeschichte abgeschlossen. Hast du keinen konkreten Jobwunsch?
Nicht wirklich. Als ich klein war, wollte ich immer Gesang, Tanz, Schauspielerei und Kunst machen. Es fühlt sich wie eine Art Energie in mir an, die ich durch die verschiedenen kreativen Formen teilen und ausdrücken möchte. Dank meiner Mutter und meiner Oma bin ich an so viele verschiedene Dinge herangeführt worden, dass es mir schwerfällt, mich zu beschränken: Gesang, Klavier, Geige, Harfe, Schauspiel, Ballett, Musiktheater oder sogar Fechten. Nachdem ich mich zuvor, etwa bei "Let's Dance", mehr mit meinem Körper verbunden und ausgedrückt habe, tue ich das bei der Musik jetzt mit meiner Stimme. Das ist wirklich heilsam, denn ich habe so lange nichts gesagt und den Mund gehalten. Es entwickelt sich also ständig weiter. Im Moment bin ich nur sehr dankbar und glücklich, dort zu sein, wo ich bin.
Wie blickst du auf deine Zeit bei "Let's Dance" nach etwas mehr als einem Jahr zurück?
Tatsächlich kann ich das erst jetzt so richtig sacken lassen. Inzwischen kann ich sagen, dass ich stolz darauf bin, was ich dort erreicht habe. Damals war ich dagegen einfach nur glücklich, das tun zu können, was ich liebe. Auch mich mit dem Leben in Deutschland, dem Deutschlernen und diesem Teil von mir selbst zu verbinden, war unglaublich. Hinzu kam die Unterstützung von so vielen Menschen, die sagten, dass sie falsche Vorstellungen von mir und Vorurteile gegen mich gehabt hätten. Wenn ich jetzt zurückblicke, denke ich nur: Wow, was für eine verrückte Erfahrung! Zugleich ist es schön, so ein nettes Team und so eine Gemeinschaft gefunden zu haben. Ich bin glücklich, ein Teil davon zu sein.
Du warst ja wirklich von einem Moment auf den anderen auf einmal Everybody's Darling in Deutschland - als hätte sich ein ganzes Land spontan in dich verliebt. Wie hat sich das angefühlt?
Unbeschreiblich, denn ganz ehrlich: Ich hatte das nicht erwartet. Ich bin die Sache damals auch nicht mit einem festen Siegeswillen angegangen, sondern nur mit dem Vorsatz, mein Bestes zu geben und einfach ich selbst zu sein. Die Unterstützung, die ich dann bekam, war überwältigend. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Zugleich war es toll, zu sehen, dass ich einen so positiven Einfluss auf so viele Menschen haben konnte. Das hat mich auch dazu inspiriert und mir das Selbstvertrauen gegeben, mit dem Singen und anderen kreativen Aktivitäten weiterzumachen. Zu erleben, dass ich nach all den Jahren der Vorurteile über mich akzeptiert werde, ist noch immer überwältigend für mich. Das öffnet die Tür zu allem anderen.
Die Zeit verfliegt - und so gab es mit Gabriel Kelly im Frühjahr schon wieder einen neuen "Let's Dance"-Gewinner. Hast du die diesjährige Staffel verfolgt?
Ja, das habe ich. Ich habe auch in der "Kennenlernshow" getanzt. Dort konnte ich alle wiedersehen und die neuen Kandidaten treffen. Das war schön! Es war eine wirklich interessante Staffel in diesem Jahr - so stark, dass niemand so recht wusste, wie sie ausgehen würde. Gabriel hat einen echt tollen Job gemacht. Er hat mit seinem Herz und all seinen Gefühlen getanzt. Aber zum Beispiel auch Jana (die Zweitplatzierte Jana Wosnitza, Anm. d. Red.) war eine wirklich starke Anwärterin, die sich erstaunlich entwickelt hat.

(Foto: picture alliance / ABBfoto)
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Du hast den deutschen Teil von dir angesprochen. Zugleich hast du auch nigerianische und russische Wurzeln. Und du bist in London aufgewachsen. Wo fühlst du dich zu Hause?
Ich sage immer: Das Zuhause ist, wo das Herz ist und ich fühle mich in der Natur zu Hause. Aber natürlich ist formal in erster Linie London mein Zuhause. Gleichzeitig fühle ich mich aber nicht britisch. Diesen Unterschied habe ich immer irgendwie gespürt. Oft fragen mich Leute, die mich nicht kennen: "Wo kommst du her?" Das zeigt ja auch, dass sie denken, dass ich nicht von dort komme, wo sie herkommen. Ich bin also keine von ihnen. Was wiederum Deutschland angeht, ist es für mich allein wegen der Sprache schwer. Ich versuche aber weiterhin, Deutsch zu lernen und mit all meinen Fehlern zu sprechen. (lacht)
Du machst das aber echt gut …
Danke! Ich tue mein Bestes. Genau diese Unterstützung, Gastfreundschaft, Integration und Akzeptanz, die einem dieses "Du bist eine von uns"-Gefühl vermittelt, macht den Unterschied. Und das, obwohl ich noch nicht mal die Sprache richtig spreche und erst mal nur für drei Monate bei "Let's Dance" gewesen bin. Aber inzwischen habe ich natürlich für die Arbeit, Aufnahmen, Auftritte und Events noch viel weitere Zeit in Deutschland verbracht. Es ist schön, das zu haben und keine Selbstverständlichkeit. Letztlich ist es auch das, was ich mit allem, was ich tue, ausdrücken möchte: Es gibt hier Platz für jeden.
Den Erfolg und die Aufmerksamkeit der Menschen zu haben, ist auf der einen Seite schön. Auf der anderen Seite hat das Leben im Rampenlicht aber auch seine Schattenseiten. Die Menschen verfolgen jeden Schritt, den du tust und fragen sich: "Was hat sie da nur angehabt?" Oder: "Ist das etwa ihr neuer Freund?" Fällt es dir leicht, damit umzugehen?
Ob es mir leichtfällt? (lacht) Absolut nicht! Ja, plötzlich gibt es diesen Druck, dass jeder jede Kleinigkeit über dich wissen will. Das ist gerade für jemanden wie mich beängstigend. Ich lege Wert auf Privatsphäre und glaube nicht, dass jeder absolut alles über wen auch immer wissen muss. Aber natürlich bin ich wegen des Familiendramas und allem darum herum auch bereits damit aufgewachsen. Deshalb ist es für mich dann wahrscheinlich doch ein bisschen einfacher als für jemanden, der es gar nicht gewohnt ist. Die meiste Zeit kann ich es abstreifen und mir sagen: "Es ist egal, was die Leute denken. Sei einfach du selbst. Nicht jeder wird dich mögen. Aber das ist okay." Aber natürlich habe auch ich gute und schlechte Tage, …
… an denen es mal leichter und mal schwerer fällt …
Genau. Ich denke, es ist nur menschlich, dass das Leben in Wellen kommt. Und es ist gut, mit seinen Emotionen in Kontakt zu sein. Nur wenn du die Tiefen fühlst, dann fühlst du auch die Höhen. Ich weiß, dass ich über das tolle vergangene Jahr und all diese Möglichkeiten jetzt sehr glücklich sein kann. Natürlich können all die persönlichen Fragen einen manchmal überwältigen, aber ich akzeptiere, dass alles im Leben eine Balance aus positiven und negativen Aspekten ist: Yin und Yang. Ich entscheide mich dafür, mich auf das Positive zu konzentrieren. Ich bin wirklich unglaublich dankbar für die Möglichkeiten, die ich erhalten habe - und die Unterstützung und das Lächeln der Menschen sorgen am Ende des Tages dafür, dass sich das alles lohnt.
Stellt sich noch die Frage, wo es für dich in Zukunft hingehen soll. Du wirst deine Songs sicher auch live präsentieren. Aber vielleicht lockt dich ja auch noch die eine oder andere TV-Show. Ich befürchte allerdings, bei "Let's Dance" wird so schnell kein Jury-Platz frei …
(lacht) Mein Motto lautet: Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Das gefällt mir. Im Moment ist es der Gesang und ich freue mich zum Beispiel darauf, noch mehr akustisch zu singen. Aber auch auf die großen Shows mit ihren Background-Tänzern oder die Duett-Auftritte mit Flo freue ich mich riesig. Abgesehen davon arbeite ich im Hintergrund auch immer an Dingen, über die ich aber nichts ausplaudern will, solange sie nicht spruchreif sind. Das Leben ist so kurz, ich möchte einfach das Beste daraus machen und jede Gelegenheit erkunden, die mit meinem Herzen und meiner Mission, Licht, Positivität und Akzeptanz zu verbreiten, übereinstimmt.
Mit Anna Ermakova sprach Volker Probst. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
Quelle: ntv.de