Interview mit Till Brönner"Jetzt ist der Moment, in dem Künstler Haltung zeigen sollten"
Sabine Oelmann
Till Brönner hat große Teile seiner Kindheit in Italien verbracht. Nicht im Urlaub - er ist dort aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte - und hat - Freunde dort. Sein jüngstes Album "Italia" widmet er deshalb dem Sehnsuchtsort aller Fans von Meran bis Bari und erzählt ntv.de im Gespräch, was "katholisch" für ihn bedeutet.
ntv.de: Man bekommt doch nie genug von Italien, oder?
Till Brönner: Nie. Die Italiener haben vielleicht das nachvollziehbarste Gefühl, nirgendwo anders hinreisen oder essen zu müssen. Das ist faszinierend - und überall gleich, ob im Norden oder Süden. Sie haben viele Herausforderungen, bleiben aber, umgangssprachlich gesagt, katholisch.
Katholisch?
Ja, das hilft ihnen (lacht). Diese Haltung hat Jahrtausende gebraucht, um zu entstehen - und sie ändert sich nicht so schnell. Wenn ich mit italienischen Musikern arbeite, sagen sie immer: "Claro, das kriegen wir hin." Und gleich danach: "Aber was gibt's zu essen?"
Irgendwie faszinierend, dass dieses Klischee immer noch funktioniert ...
Absolut. Essen ist in Italien fast heilig. Und das, obwohl die Lage im Land derzeit alles andere als einfach ist.
Wohnungs- und Jobnot, Rechtsruck, verlassene Dörfer - und trotzdem lieben wir Italien. Ist das in unserer DNA?
Vielleicht. Die Italiener bewahren trotz aller Schwierigkeiten Würde und Selbstachtung. Sie pflegen sich, bleiben stilvoll - selbst, wenn sie aus einem verbeulten Fiat steigen. Und sie sind uns in vielem voraus.
In welcher Hinsicht?
Goethe, Thomas Mann, Heinrich Heine, viele haben sich intensiv mit Italien beschäftigt. Das wissen die Italiener sehr genau. Und bleiben deswegen entspannt. (lacht)
Warum jetzt Italien, warum nicht schon früher? Und kannst du noch Italienisch?
Ein bisschen. Als Kind konnte ich es besser, aber nach zwei Wochen bin ich wieder drin. Ich hätte noch ein paar Jahre dort gebraucht, um die Sprache wirklich zu verinnerlichen. Aber die Zeit, die ich dort hatte, war prägend - genau in der Phase, in der man beginnt, seine Sinne zu schärfen. Ein großes Glück.
Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Wie wichtig Familie ist - gerade in schwierigen Zeiten. Diese Wärme, die Kindern entgegengebracht wird, diese Selbstverständlichkeit des Willkommenseins. Das hat mich geprägt. Ich versuche, mir diese Gelassenheit auch in meinem Deutschsein zu bewahren.
Uns wird ja eine gewisse Miesepetrigkeit nachgesagt ...
Die Zeiten sind schwierig. Umso wichtiger ist es, sich eine andere Sichtweise zu bewahren oder anzueigen.
Dabei könnte dein neues Album hilfreich sein, es macht ein bisschen glücklicher.
Das freut mich. Wir haben uns Zeit genommen - zwei große Etappen, viele Entscheidungen. Immer mit der Frage: Hat das wirklich etwas mit mir zu tun? Denn das Persönliche ist immer auch das Universellste. Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, erreicht man andere automatisch.
Sehen die Künstler auf deinem Album das genauso?
Es sind alles Menschen, zu denen ich eine persönliche Verbindung habe - alte Freunde oder neue Weggefährten, mit denen ich etwas teile.
Man spürt das Familiäre. Wie bist du an die Auswahl rangegangen?
Wir haben eine riesige Liste diskutiert und uns gefragt: Warum gerade dieser Song? Kann man einem bekannten Stück etwas Neues hinzufügen? Wenn nicht, haben wir es gelassen. Am Ende entstand eine Mischung, die sowohl die deutsche Sicht auf Italien als auch den Respekt vor der italienischen Kultur widerspiegelt. Ich hätte das Album durchaus "Mein Italien" nennen können.
Aber deine samtig-weichen Trompetenklänge geben den Klassikern das Besondere. Was sollten wir über Nicola Conte wissen?
Nicola ist eigentlich DJ, aber mit großem Jazz-Verständnis. Er kennt die Musik-Geschichte, weiß, was Bestand hat, und hat ein feines Gespür für Balance. Er erinnert mich daran, wann etwas schon perfekt war und wann man lieber eine andere Nummer wählt (lacht). Mit ihm zu arbeiten war ein Geschenk. Er ist Italiener - und damit genau der Richtige für dieses Projekt. Insgesamt hat das Album neun Monate gedauert.
Also eine gelungene Schwangerschaft.
Genau. Und eine notwendige Zeit, um zu reifen. Authentizität braucht Raum. Wir haben in Rom und Bari aufgenommen - mit italienischen Musikern. Alles auf diesem Album ist handgemacht.
Das Musikgeschäft hat sich verändert, Budgets sind knapp. Trotzdem bleibt dein Anspruch hoch.
Ja, und genau deshalb ist dieses Album antizyklisch. Eigentlich kann man so etwas heute kaum noch machen. Aber ich wollte das, wofür ich stehe, nicht aufgeben.
Das ganze Package muss stimmen ...
Absolut. Musik, Fotos, Geschichte - alles soll dieses "Wir"-Gefühl transportieren. Kunst hat die Aufgabe, daran zu erinnern, dass wir denkende Wesen sind. Fehlbar, aber fähig, daraus zu lernen. Das ist die Schnittstelle zum Bessermachen.
Du bist nicht nur Musiker, sondern auch Fotograf. Siehst du dich als Mahner oder Hoffnungsträger?
Beides (lacht). Kunst hat heute vielleicht eine größere Verantwortung denn je. Jetzt ist der Moment, in dem Künstler Haltung zeigen sollten.
Die geben sie teilweise, in meinen Augen, tatsächlich nicht laut genug preis.
Mag sein. Aber Kunst kann Menschen zum Nachdenken bringen - durch Bilder, Musik, Fragen. Es geht um Ethik, Freiheit, Grenzen. Wenn Frieden wieder möglich ist, wird Kunst helfen, Brücken zu bauen. Leslie Mandoki sagt: "Music is the greatest unifier" - und er hat recht. Musik ist eine Sprache, die jeder versteht. Sie hält uns davon ab, Waffen in die Hand zu nehmen.
Du denkst an die Covid-Zeit?
Ja. Da wurde Kunst plötzlich zur "Freizeitwirtschaft". Das war ein Schlüsselmoment - und kein guter.
Wie wird Deutschland in Italien wahrgenommen?
Mit Respekt, aber auch mit Verwunderung. Man sieht, dass wir gerade schwächeln. Italiener sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich viel mit uns zu befassen - aber sie wissen, dass der Tedesco immer wieder überrascht (lacht). Wir stehen an einem Scheideweg. Ein Land ohne Bodenschätze, das sich ständig selbst lobt, aber vergisst, seine Kräfte zu erhalten. Wir müssen lernen, zuerst uns selbst zu stabilisieren, bevor wir anderen helfen. So sagt es vor dem Start auch die freundliche Stimme im Flugzeug, wenn wir ehrlich sind. Wir müssen stark bleiben, um auch zukünftig helfen zu können. Zur Wahrheit gehört: Es geht gerade nicht bergauf. Und das spürt man.
Wir stehen an einem Scheideweg ...
Ja, und wir müssen uns entscheiden. Wir brauchen Menschen, die Respekt verdienen, keine Ideologen. Ideologie sagt uns, was wir nicht tun sollen. Viel spannender ist die Frage, was wir tun können - und das ist die humanere.
Mit Till Brönner sprach Sabine Oelmann
Die "Italia"-Tour startet passend im Frühjahr 2026: Ab dem 31. März 2026 spielt Till Brönner live, er startet im Dortmunder Konzerthaus. Es geht weiter in zwölf weiteren Städten, darunter Hamburg, Berlin, Frankfurt, München, Köln und Baden-Baden. Weitere Konzerte und die beliebten "Silent Night" Abende finden Sie hier.

