Musik

"Wir waren keine Witzfiguren" R.E.M. - tot, aber lebendig

Ja, es ist wirklich schon 25 Jahre her: R.E.M. um 1991.

Ja, es ist wirklich schon 25 Jahre her: R.E.M. um 1991.

(Foto: Frank Ockenfells)

Vor 25 Jahren erschien das Album "Out Of Time", das R.E.M. zu internationalen Superstars machte. Doch Sänger Michael Stipe und Bassist Mike Mills schwelgen im n-tv.de Interview nicht nur in Nostalgie. Sie gehen auch mit Donald Trump ins Gericht.

n-tv.de: Ich würde gerne mit einem Thema beginnen, das nichts mit Musik zu tun hat …

Michael Stipe: Lass mich raten!

Was geht euch durch den Kopf, nachdem Donald Trump nun euer neuer Präsident wird?

Ein bisschen hat sich Michael Stipe verändert.

Ein bisschen hat sich Michael Stipe verändert.

(Foto: REUTERS)

Stipe: Ich denke, unsere politische Haltung ist allgemein bekannt. Als progressive und politisch denkende Menschen sind wir verzweifelt und entsetzt. Und als Amerikaner, New Yorker und Weltbürger bin ich bestürzt. Ich wünschte natürlich, es wäre nicht so gekommen. Aber es geht ja nicht nur um Amerika. Es gibt auf der ganzen Welt ähnliche Vorzeichen - Deutschland eingeschlossen. Wir sehen überall diese sogenannten "Führer", die mit den Ängsten und niedrigsten Vorurteilen der Menschen spielen, um den Boden für eine rückwärtsgewandte Politik zu bereiten, die fremdenfeindlich, rassistisch und destruktiv ist.

Wie sollte man mit der Situation nun umgehen?

Stipe: Ich schließe mich Bernie Sanders an, den ich in den Vorwahlen der Demokraten unterstützt habe. Er hat gesagt: Sollte sich diese Administration wirklich, wie sie es behauptet hat, für die Arbeiterklasse in Amerika einsetzen, hat sie unsere volle Unterstützung. Aber sobald es darum gehen sollte, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Intoleranz gegen wen auch immer durchzusetzen, werden wir sie auf jede mögliche Art und Weise daran hindern.

In Amerika gehen viele Menschen gegen Trump auf die Straße. Sie haben wirklich Angst vor ihm …

Stipe: Aus gutem Grund.

Mike Mills: Wir können jetzt einfach nur noch den Schaden begrenzen und versuchen, in der Opposition so geeint wie möglich zu sein, um seine schlimmsten Vorhaben zu verhindern. Und bei den Wahlen 2018 gelingt es uns hoffentlich, Menschen in Verantwortung zu wählen, die einen Unterschied machen (2018 wird in den USA ein Drittel der Senatoren und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt, Anm. d. Red.).

Das erste Mal, dass ich mit euch als R.E.M. in Berührung gekommen bin, war 1987 mit eurem Song "It's The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)". Die Textzeile scheint ja nun auch ganz gut zu passen …

Auch Mike Mills ist seit R.E.M.-Tagen etwas ergraut.

Auch Mike Mills ist seit R.E.M.-Tagen etwas ergraut.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Mills: Nun ja, es ist nicht das Ende der Welt. Die Gesellschaft existiert weiterhin. Und die Gesellschaft hatte schon mit schlimmeren Leuten als Donald Trump zu tun. Wir werden das überwinden. Wird er Schaden anrichten? Ja, zweifellos. Aber ich glaube, es gibt mehr gute als schlechte Menschen. Und ich glaube, viele haben ihn aus anderen Gründen gewählt als der Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus, für den er steht. Sie werden das schon bald bereuen.

Stipe: Dies war eine Wahl gegen das Establishment. Die Leute waren sauer. Und das aus einem guten Grund.

Mills: Die Mittelklasse wurde von beiden Parteien ignoriert. Bernie Sanders hatte mit allem Recht, was er gesagt hat. Ich hoffe sehr, dass er weiter eine Stimme der Vernunft im Senat bleibt.

Eigentlich sind wir aber nicht hier, um über Trump zu sprechen, sondern über euer Album "Out Of Time", das nun zu seinem 25. Jubiläum in einer Sonderausgabe neu aufgelegt wird. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Mills: Mittlerweile ist es bei Plattenfirmen eine Art Tradition, erfolgreiche Alben nach 25 Jahren neu aufzulegen. Die Technik hat sich in der Zeit so verändert, dass eine neu gemasterte Version auch wirklich besser klingt als das Original. Man kann zum Beispiel Sachen nach vorne bringen, die man zuvor nicht hören konnte. Zudem nutzt man die Gelegenheit, den Leuten einen tieferen Einblick in die Band zu gewähren. Das passiert auf jeden Fall bei den Demos. Sie lassen einen nachvollziehen, wie wir im Studio denken und wie eine gute Platte entsteht. Dann gibt es noch die Aufnahmen von den Shows. Wir sind mit "Out Of Time" zwar nicht auf Tour gegangen, haben aber trotzdem einige coole Shows zu dieser Platte gemacht. Und schließlich geht es darum, unsere Musik auch jüngeren Generationen näherzubringen, die vielleicht noch nie von uns gehört haben.

"Out Of Time" war das Album, das euch endgültig auf der ganzen Welt zum Durchbruch verhalf. Ihr habt drei Grammys dafür erhalten und es legte die Basis für euren Status als Superstars. So ein Erfolg hat ja nicht nur positive Seiten. Habt ihr eher gute oder schlechte Erinnerungen an diese Zeit?

Mills: Wir hatten das Glück, nicht allzu viele negative Erfahrungen zu sammeln. Wir sind in unseren Erfolg hineingewachsen. Jede Platte, die wir bis zu dieser gemacht hatten, verkaufte sich besser als die zuvor. Das ermöglichte es uns, als Menschen wie als Band mitzuwachsen und uns der Konsequenzen der Popularität nach und nach bewusst zu werden und sie zu akzeptieren. Wäre dieses Album unser zweites Album gewesen, wäre es wahrscheinlich anders verlaufen. Aber wir waren zu dieser Zeit alle ziemlich stabil und fähig, damit umzugehen.

Dennoch hast du in einem Interview mal gesagt, das Album und der Song "Losing My Religion" darauf, der weltweit zum Hit wurde, hätten euer Leben verändert …

Mills: Ja, das stimmt schon, weil wir dadurch auch außerhalb der USA sehr bekannt wurden. Jetzt reisten wir in andere Länder und die Leute riefen: "Ah, da sind R.E.M.!" Aber in Amerika hat es nicht so viel für uns verändert, außer vielleicht dass jetzt auch Großmütter unsere Platten kauften, um sie ihren Enkeln zu schenken.

Stipe: Und ich wurde auf einmal überall erkannt. Das war für mich die große Änderung. Ich bin die Straßen in New York entlang gegangen und konnte spüren, wie die Menschen mich als Michael Stipe von der Band R.E.M. erkannten. Nicht nur ein paar, sondern so ziemlich jeder.

Hat dir das gefallen?

Stipe: Natürlich.

"Losing My Religion" war die erfolgreichste Single auf dem Album. Ich erinnere mich jedoch fast noch besser an "Shiny Happy People". Es heißt, du hättet dich für den Song entschuldigt. Ist er dir heute peinlich?

Stipe: Nein, so ist es auch wieder nicht. Das ist ein fröhlicher, verrückter und lustiger Song, den wir für Kinder gemacht haben. Für mich verdeutlicht er, dass wir auf "Out Of Time" versucht haben, alles zu sein - außer R.E.M. Wir wussten, was wir konnten. Wir hätten uns entscheiden können, für den Rest unserer Karriere den einen R.E.M.-Song immer und immer wieder zu schreiben und damit erfolgreich zu sein. Aber wir wollten unser Spektrum erweitern und uns nicht einengen lassen. Auf "Out Of Time" befindet sich ein Song wie "Shiny Happy People" ebenso wie "Country Feedback". Eigentlich ist das verrückt, funktioniert aber trotzdem.

Trotzdem ward ihr irgendwie immer eine Band, auf die sich alle einigen konnten. Ich glaube, ich kenne wirklich niemanden, der sagen würde: "R.E.M. war Schrott." Wie erklärt ihr euch das?

Stipe: Zunächst einmal ist es schön, das zu hören, Danke. Aber ich weiß nicht, ob das allgemein zutrifft, wenn man die vielen verschiedenen Musikrichtungen und die vielen verschiedenen Arten, sie zu präsentieren, bedenkt. Denkt man an 1990 oder 1991 zurück, waren viele zu dieser Zeit von elektronischer Musik fasziniert und hatten keinerlei Interesse an Popmusik mit Gesang. Für sie klang R.E.M. vielleicht auch ziemlich gestrig. Ich kann nur sagen: Uns war das, was wir gemacht haben, immer sehr ernst und uns lag viel daran, uns, unsere Musik und unser Genre so weit wie möglich nach vorne zu bringen - ohne uns dabei zu verkaufen und zu Witzfiguren zu werden. Und das haben wir ganz gut geschafft.

Mills: Das Gute an R.E.M. war, dass wir vier Musiker waren, die alle zur Musik beitrugen. Wir hatten alle einen unterschiedlichen Geschmack, aber jeder einen guten Geschmack. Von keinem von uns wäre Schrott eingebracht worden - wir hatten sozusagen einen eingebauten Schrott-Schutz. (lacht) Einer von uns hätte immer gesagt "Hey, das funktioniert nicht", auch wenn ein anderer es für brillant gehalten hätte.

Ihr habt als R.E.M. zwar musikalisch auch einiges ausprobiert, seid euch im Kern aber dennoch immer treu geblieben. Eine Band wie Radiohead, die ich auch mal eurem Genre zurechnen würde, hat dagegen irgendwann angefangen, sich selbst zu dekonstruieren. Habt ihr für R.E.M. je über so einen Schritt nachgedacht?

Stipe: Nein, wir haben eher das Maximum im Auge, während Radiohead eher Minimalisten sind.

Damals waren sie noch zu viert, ab 1997 nur noch zu dritt. 2011 lösten sich R.E.M. auf.

Damals waren sie noch zu viert, ab 1997 nur noch zu dritt. 2011 lösten sich R.E.M. auf.

(Foto: Frank Ockenfells)

Mills: Nun ja, "Out Of Time" war schon in gewisser Weise auch eine Dekonstruktion. Wir wollten uns nicht wiederholen und sicherstellen, dass nichts auf dieser Platte klingt wie etwas, das wir schon gemacht hatten. Aber wir hatten nicht das Bedürfnis nach so einem radikalen Schritt einer kompletten Dekonstruktion, weil wir uns immer noch nach vorne bewegten und interessante Musik machten. Die Karriereverläufe von Radiohead und uns waren unterschiedlich. Das meine ich jetzt nicht in Bezug auf den kommerziellen Erfolg, sondern mit Blick auf die Herangehensweise.

Womit ihr viele Leute sehr überrascht habt, war die Auflösung von R.E.M. 2011. Was hat euch dazu bewogen?

Mills: Das hatte verschiedene Gründe. In erster Linie hatten wir das Gefühl, alles erreicht zu haben, was wir erreichen wollten. Das Musikgeschäft änderte sich auf eine Art, der wir uns nicht unbedingt zugehörig fühlten. Und wir waren uns einig, dass wir als Freunde auseinandergehen und uns anderen Dingen widmen wollten.

Stipe: Wir hatten mit der Sache abgeschlossen - das war uns allen klar. Wir haben diesem Projekt 32 Jahre unseres Lebens gewidmet. Das ist eine lange Zeit. Und wir wollten im Leben weitergehen. Aber wir haben jede Sekunde in diesen 32 Jahren das Projekt R.E.M. wirklich gelebt. Wir wollten selbst darüber entscheiden, wann der Zeitpunkt ist, um es würdig zu beenden. Das war keine einfache Entscheidung, aber eine, bei der wir uns alle einig waren.

Mike hat in einem Interview davon berichtet, wie er bei einem Konzert von U2 war und sich die Frage stellte, ob er noch einmal mit ihnen tauschen wollte …

Mills: Ja, während der ersten beiden Songs stand ich da: "Mann, das ist schon großartig. Irgendwie vermisse ich es …" Aber nach dem zweiten Song dachte ich mir: "Nein, doch nicht." (lacht) Stattdessen dachte ich: "Die Jungs müssen das jetzt die nächsten sechs Monate machen und ich gehe morgen schwimmen." Ich bin damit echt glücklich.

Und vermisst du die Bühne, Michael?

Stipe: Natürlich. Immer, wenn ich ein Konzert von U2 oder wie erst neulich von Radiohead oder von PJ Harvey sehe oder neue Musik höre, die mich packt, möchte ich wieder auf die Bühne.

Die Neuauflage von "Out Of Time" zum 25-jährigen Jubiläum ist ab sofort erhältlich.

Die Neuauflage von "Out Of Time" zum 25-jährigen Jubiläum ist ab sofort erhältlich.

(Foto: Concord Music Group)

Vor Kurzem habe ich ein Interview mit Linda Ramone, der Witwe von Johnny Ramone geführt. Sie sprach immer von der Rente, in die ihr Mann nach der Auflösung der Ramones gegangen sei. Er war damals 48. Ihr seid jetzt in euren 50ern. Fühlt ihr euch wie Rentner?

Mills: Nein, ich bin extrem beschäftigt. Das ist schon absurd. Ich habe drei oder vier Musik-Projekte. Wie ein Rentner fühle ich mich echt nicht. Wir haben nur ein Kapitel geschlossen und sind zum nächsten weitergegangen.

Stipe: Ich arbeite gerade an einem Kunstbuch und habe derzeit eine Ausstellung in New York. Nächsten Monat bin ich für eine Kunst-Performance in Stockholm. Außerdem habe ich gerade erst das neue Album von Fischerspooner produziert und mitgeschrieben. Ich habe auch wirklich zu tun und arbeite mit vielen verschiedenen Medien.

Habt ihr je darüber nachgedacht, in größerem Stil Songs für andere Künstler zu schreiben?

Stipe: Die Idee finde ich toll. Aber ich glaube, wenn ein Song richtig gut wäre, würde ich ihn dann doch lieber selbst singen. (lacht) Aber ich finde es immer toll, wenn ich Coverversionen von R.E.M.-Songs höre. Eine andere Stimme oder andere Instrumentierung zu hören, ist wirklich spannend. Und es ist großartig, wenn sich jemand entscheidet, deinen Song zu singen, ihm ein neues Antlitz zu verleihen und einer neuen Generation zu präsentieren.

Vielleicht liege ich komplett falsch, aber ich habe das Gespür, dass ihr keine Band seid, von der wir nochmal ein Comeback erleben werden ...

Mills: Du hast ein gutes Gespür.

Ich habe also recht.

Stipe: Du hast recht. Das wird definitiv nicht passieren. Danke für dieses Gespür. Die meisten Leute versuchen nämlich, uns vom Gegenteil zu überzeugen.

Mit Michael Stipe und Mike Mills sprach Volker Probst

Die Jubiläumsedition von "Out Of Time" bei Amazon bestellen oder bei iTunes downloaden

Quelle: ntv.de

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