Abgründe im "Polizeiruf" Kein "Hoffnungsschimmer" für Rostock
19.10.2025, 22:20 Uhr Artikel anhören
Die junge Frau aus "Tu es!" kurz vor ihrem Suizid.
(Foto: NDR/Boris Laewen)
"Tu es!" taucht tief in die Abgründe der digitalen Welt ein und konfrontiert die Rostocker Kommissarinnen König und Böwe mit einem Fall, der beunruhigend nah an der Realität ist: die Anstiftung zum Suizid über Internetforen.
Frühmorgens um 6 Uhr bummelt eine Straßenbahn durch die Straßen Rostocks, sie ist fast komplett leer. Nur zwei Fahrgäste sitzen sich in mehreren Metern Entfernung gegenüber: Eine Frau im Business-Kostüm und ein junger Mann mit stechendem Blick. Wenige Minuten später sind beide tot: Beim Aussteigen hat der Mann zuerst seine Mitreisende erstochen und sich anschließend mit dem gleichen Messer selbst gerichtet.
Im neuen Rostocker "Polizeiruf 110" ist das bereits die zweite Bluttat in kurzer Zeit, die anscheinend völlig ohne Anlass verübt wird. Allerdings nur auf den ersten Blick, denn natürlich gibt es ein Motiv - und das ist in "Tu es!" ein kleiner, dunkler Spiegel zu unserer digitalen Gegenwart. Denn der Film orientiert sich an realen Ereignissen: Es geht um verletzliche junge Menschen in emotionalen Ausnahmezuständen, die online Hilfe suchen und sich dabei in vermeintlich sicheren Foren bis zum Äußersten manipulieren lassen.
Als Vorlage diente Drehbuchautor Florian Oeller der Fall Brunhold S.: Der mittlerweile wegen Mordes, versuchten Mordes und Sich-Bereiterklärens zum Mord (und ja, das ist tatsächlich der juristische Fachausdruck) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte S. hatte gezielt psychisch labile Frauen in einem Internetforum namens "Hoffnungsschimmer" kontaktiert und sie zum Suizid gedrängt, um seinen sexuellen Sadismus zu befriedigen. Der Verurteilte gab sich dabei zunächst als Helfer aus, baute Vertrauen auf und lockte die Frauen dann in private Chats, wo er sie manipulierte. Im "Polizeiruf" heißt das Forum "Hoffnung", und auch sonst ist der Film beunruhigend nahe an der Realität.
Zeuge eines Generationenkonflikts
Tatsächlich wurde erst im Juni dieses Jahre ein Hamburger wegen Mordverdachts in einem ähnlichen Fall festgenommen. Der 20-Jährige soll der Kopf einer Onlinegruppe gewesen sein, die Kinder im Internet sexuell missbrauchte und in einem Fall einen 13-jährigen US-Amerikaner über das Internet in den Suizid getrieben haben soll. Auch hier suchte der Täter gezielt verzweifelte Kinder in Onlineforen, machte sie emotional abhängig und zwang sie zu Selbstverletzung bis hin zum Suizid. Die Taten wurden in Zusammenarbeit mit dem FBI aufgedeckt.

Möwe (Lina Beckmann, l.) und König (Anneke Kim Sarnau, r.) folgen in Rostock einer blutigen Spur.
(Foto: NDR/Boris Laewen)
Bei seinen Recherchen fiel Autor Oeller beim Mitlesen in einschlägigen Foren auf, dass er stummer Zeuge eines Generationen-Konflikts wurde: "Wir Älteren haben den Jüngeren bereits während der Corona-Krise große Opfer abverlangt. Wir lassen sie jetzt in ihren Nöten im Stich und erwarten nun, dass sie mit und für uns in einem Team spielen, wenn es darum geht, die aktuellen und nächsten globalen Krisen zu bewältigen."
Das brachte den Autor auf die Idee, eine weitere Ebene in sein Drehbuch einzubauen und sie geschickt miteinander zu verweben: Er beobachte immer wieder, "dass unsere Gesellschaft täglich mit Problemen konfrontiert ist, für die es weder einfache Lösungen noch Präzedenzfälle gibt. Diese Hilflosigkeit begann, auch mein Privatleben zu beeinflussen", schildert der Autor. Und hat eine mögliche Lösung vor Augen: "Es läge in meinen Augen in unserer Verantwortung, dieser jungen Generation besser zuzuhören und professionelle Hilfsangebote für Jugendliche in seelischer Not deutlich auszubauen."
Quelle: ntv.de