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Infektionstrend in Deutschland So sehen die aktuellen Daten zur Corona-Lage aus

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Belastungsprobe für Politik und Gesellschaft: Was hat Deutschland aus der Coronavirus-Pandemie gelernt?

Belastungsprobe für Politik und Gesellschaft: Was hat Deutschland aus der Coronavirus-Pandemie gelernt?

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Herbst ist da, die erste große saisonale Erkältungswelle rollt durch Deutschland. Wie gut sind Schulen, Arbeitswelt und das Gesundheitssystem auf schwelende Infektionsrisiken vorbereitet? Die Datenlage ist dünn, die verfügbaren Kennzahlen zeigen deutliche Bewegungen an.

Masken? Schnelltests? Abstand halten? Dreieinhalb Jahre nach Beginn des weltweiten Sars-CoV-2-Ausbruchs drängen die Schlagworte der Coronavirus-Pandemie zurück ins öffentliche Bewusstsein zurück. Mit dem Abbau der Corona-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2023 rückten die Infektionsrisiken zunächst in den Hintergrund. Das Virus ist über den Sommer aber nicht verschwunden. Im Herbst 2023 zieht die Zahl der Erkrankungen deutlich an.

Der Erreger der Multi-Systemerkrankung Covid-19 zirkuliert weiter in der Bevölkerung, es kommt allen verfügbaren Indikatoren zufolge wieder vermehrt zu Corona-Ansteckungen. Weltweit stehen mehrere neue Varianten unter Beobachtung. Mit Blick auf das anbrechende Winterhalbjahr wächst auch in Deutschland die Sorge vor einer größeren Infektionswelle. Die Zahl der erfassten Atemwegserkrankungen steigt an, die Kliniken melden zudem wieder mehr schwerere Covid-Fälle, wie aktuelle Daten zeigen.

Wie viele Menschen sind derzeit hierzulande mit Sars-CoV-2 infiziert, wie viele Personen sind an Covid erkrankt? Antworten auf diese Fragen lassen sich seit dem Wegfall der Testpflicht nur noch indirekt ermitteln. Die Zahl der Ansteckungsfälle wird in Deutschland seit dem Frühjahr 2023 nicht mehr flächendeckend erfasst. Im Meldesystem des Robert-Koch-Instituts (RKI) tauchen seit dem Ausstieg aus den Bürgertests nur noch jene Fälle auf, die den Gesundheitsbehörden überhaupt bekannt werden - etwa durch systematische Meldungen aus Kliniken und Arztpraxen. Die große Masse der Infektionen bleibt mutmaßlich unerkannt. Die Daten aus den Kliniken deuten an, dass es derzeit wieder häufiger Häufung an schweren Covid-Infektionen kommt.

Zur Einschätzung der aktuellen Infektionslage muss sich die deutsche Pandemie-Abwehr auf ein Bündel an weiteren, sehr viel weicheren Indikatoren stützen. Eine brauchbare Methode, die allgemeine Krankheitslast in Deutschland zu erfassen, bietet etwa das Projekt GrippeWeb. Anhand freiwilliger Meldungen aus der Öffentlichkeit errechnet das RKI hier wöchentlich die sogenannte ARE-Rate, also den geschätzten Anteil der Bevölkerung mit einer akuten Atemwegserkrankung (Akute Respiratorische Erkrankung, ARE). Die ntv.de Infografik zur ARE-Rate zeigt den Verlauf der Infektionswellen in 2023 im Vergleich zu den Vorjahren, wobei die Erkrankungsrate in Prozent angegeben wird. Aktuell bewegt sich diese Kennzahl mit rund 8500 ARE-Fällen je 100.000 Einwohnern deutlich über dem saisonalen Niveau der Vorjahre.

Auf den Seiten des RKI und im ARE-Wochenbericht wird die Häufigkeit akuter Atemwegsinfektionen in der Bevölkerung seit Anfang September 2023 als Inzidenz pro 100.000 Einwohner angegeben. Das RKI begründet den Schritt mit einer "besseren Vergleichbarkeit der Daten". Die Umrechnung ist denkbar einfach: "Eine ARE-Inzidenz von 3000 ARE-Fällen pro 100.000 Einwohnern entspricht einer ARE-Rate von 3,0 Prozent", erklärt das RKI.

Anhand der ARE-Rate und der Inzidenz können Experten den Beginn und den Verlauf von Infektionswellen erkennen und in ihrem Ausmaß einschätzen. Größere Bewegungen sind in der vereinfachten Visualisierung selbst für Laien erkennbar. Inwiefern aktuelle Ausschläge auf das Coronavirus zurückgehen, lässt sich aus diesen Angaben alleine allerdings nicht ableiten. Auslöser einer ARE-Erkrankung können verschiedene Erreger sein, vom vergleichsweise harmlosen Infekt mit Schnupfenviren (Rhinoviren) über herkömmliche Erkältungen bis hin zur echten Influenza, RSV oder Sars-CoV-2.

Das RKI versucht diese Wissenslücke durch Stichprobenerhebungen zu schließen. Für die "virologische Surveillance" der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) werden wöchentlich einzelne Rachenabstriche aus ganz Deutschland analysiert und im Labor nach verschiedenen Erregern durchsucht. Im Ergebnis erscheint ein einigermaßen belastbares Bild: Die Entwicklung der aktuellen Viruslast in Deutschland wird mit den Anteilen der einzelnen Erreger-Kategorien erkennbar.

Die Stichprobe, auf der die Daten beruhen, ist allerdings vergleichsweise klein, die Aussagekraft beschränkt. Bundesweit wurden zuletzt im Schnitt nur etwa 150 Proben pro Woche analysiert. Die breite Streuung der eingesandten Proben erlaubt in der Zeitreihe dennoch Rückschlüsse auf die Entwicklung in der Bevölkerung. In der Regel ist die Ausbreitung bestimmter Viren wie etwa Influenza, RSV oder auch Corona in diesen Datensätzen gut zu erkennen, ebenso wie der Beginn oder das Abebben etwaiger Ansteckungswellen. Aktuell nimmt der Anteil der entdeckten Corona-Infektionen in dieser Stichprobe wieder zu.

Arztbesuche und Abwasseruntersuchungen

Zusätzliche Daten zur Einschätzung der Pandemielage steuern die niedergelassenen Ärzte bei: Bis zu 350 Arztpraxen beteiligen sich nach Angaben des RKI jede Woche am bundesweiten Corona-Monitoring. Aus der Gesamtzahl der ärztlich attestierten Covid-19-Infektionen wird ebenfalls ein Inzidenzwert errechnet, der bundesweite Trends erkennbar macht. Auf regionale Auswertungen verzichtet das RKI wie bei den meisten neuen Indikatoren jedoch - unter anderem, weil die verfügbaren Fallzahlen für eine Aufschlüsselung nach Bundesländern viel zu klein sind.

Auch bei der sich noch im Aufbau befindlichen Abwasser-Surveillance hält sich das RKI mit Detailinformationen bedeckt. Stand September beteiligten sich rund 40 Stationen an dem Meldesystem. Doch wie sie sich auf das Bundesgebiet verteilen, ist nicht öffentlich bekannt. Gemeldet wird lediglich die Zahl und der Anteil der Standorte, die gegenüber der Vorwoche jeweils eine erhöhte, gesunkene oder gleich hohe Viruslast im Abwasser festgestellt haben.

Da das Verfahren zur Bestimmung der Viruslast im Abwasser recht aufwändig ist, sind die neuesten Meldungen in der Regel unvollständig und werden in den nachfolgenden Tagen und Wochen rückwirkend korrigiert. Erst wenn die Gesamtzahl der Standortmeldungen die 40 erreicht hat, lässt sich ein Trend ablesen. Für eine zeitnahe Einschätzung der Infektionslage scheint das Projekt, das vielversprechende Ansätze verfolgt, derzeit noch ungeeignet.

Die Lage in den Krankenhäusern

Eine nach wie vor zuverlässige Datenquelle bietet dagegen das Divi-Intensivregister. Die dort verwendeten Daten stammen direkt aus den deutschen Krankenhäusern und ermöglichen eine zeitnahe, flächendeckende Übersicht zum Infektionsgeschehen in Deutschland. Die dort erhobenen Fallzahlen liefern die Grundlage für den besten, derzeit verfügbaren Indikator zur Corona-Lage.

Covid-Infektionen fallen im Krankenhausalltag schnell auf: In den Kliniken werden Patienten im Verdachtsfall routinemäßig auf Sars-CoV-2 getestet, da infizierte Patienten eine gesonderte Behandlung erfordern. Das Erfassungsnetz ist damit vergleichsweise eng. Laborbestätigte Fälle werden routinemäßig ans Gesundheitsamt und auch an das Intensivregister der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) gemeldet, das somit eine der wenigen noch brauchbaren Kennzahlen zur Einschätzung der Pandemie-Lage zur Verfügung stellen kann.

Aus den Divi-Daten lassen sich mit etwas zeitlichem Verzug auch Hinweise zum regionalen Infektionsgeschehen in den Bundesländern ableiten. Sollte die Zahl der Infektionen in der Bevölkerung zunehmen, bleibt das in den Krankenhäusern nicht unbemerkt - die Divi-Daten schlagen aus. Ende Oktober 2023 bewegen sich die Fallzahlen der Covid-Intensivpatienten insbesondere in den bevölkerungsreichen Bundesländern deutlich nach oben.

Die behandelnden Mediziner stehen in Sachen Corona mit den Pflegekräften weiter an vorderster Front. Die Entwicklung auf den Intensivstationen erlaubt zudem Rückschlüsse auf mögliche Veränderungen im Krankheitsbild. Sollte eine der neuen Corona-Varianten tatsächlich ansteckender sein oder schwerere Krankheitsverläufe auslösen, würde sich dies mit geringem Verzug auch in den Divi-Daten zeigen.

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Abgesehen davon wirkt die amtliche Corona-Datenlage dünn: Die täglichen Situationsberichte hat das RKI Ende März 2023 eingestellt. Der vorerst letzte RKI-Wochenbericht zur Corona-Lage erschien am 8. Juni 2023. Im "Pandemie-Radar" von Bundesgesundheitsministerium und RKI werden vorerst weiter aktuelle Zahlen veröffentlicht, darunter auch Angaben zu den inzwischen eher unbedeutenden PCR-Testungen und dem daraus abgeleiteten amtsbekannten Fallaufkommen. Aufgrund fehlender Testpflichten und -möglichkeiten bewegt sich diese Kennzahl jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau - unabhängig von etwaigen Erkrankungswellen.

Die Ministerien und Gesundheitsbehörden der Länder haben ihre Veröffentlichungen zur Pandemie-Lage insgesamt deutlich heruntergefahren. Die Corona-Warnapp des Bundes wurde Anfang Juni 2023 in den "Ruhemodus" versetzt. Das "Impfdashboard" mit den Daten zum Immunisierungsstand der Bevölkerung liegt seit April auf Eis - dabei stehen mittlerweile neue, angepasste Impfstoffe zur Verfügung. Kurz: Deutschland muss sich im Winterhalbjahr 2023/24 bei der Einschätzung der Corona-Lage auf recht weiche Indikatoren und ein grobes Datenbild verlassen.

Quelle: ntv.de, mmo/lst/cwo/

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