Mehr Patienten - und Zuversicht? Das ist die Omikron-Lage in London
23.12.2021, 16:01 Uhr
Seit mehreren Wochen wütet Omikron in London. Die Fallzahlen in der britischen Hauptstadt steigen seitdem rasant, die Zahl der Krankenhauseinweisungen ebenfalls. Doch die Daten enthalten auch Indizien, die den offenen Kurs von Premier Johnson stützen.
Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Krise hat Großbritannien am Mittwoch mehr als 100.000 Neuinfektionen an einem Tag gezählt. Trotzdem zögert die britische Regierung damit, neue Maßnahmen einzuführen. Sie hofft Berichten zufolge darauf, dass sich bestätigt, was Studien aus London, Schottland, Dänemark und Südafrika andeuten: Dass eine Infektion mit der Omikron-Variante von Sars-Cov-2 weniger häufig zu Krankenhauseinweisungen führt als eine Ansteckung mit der Delta-Variante im vergangenen Winter.
Dementsprechend setzt Premierminister Boris Johnson auf Eigenverantwortung der Menschen. In einem Gastbeitrag in der Boulevardzeitung "Sun" schreibt er, dass Omikron sich "weiter schneller ausbereitet, als alles was wir bisher gesehen haben". Trotzdem ruft er die britische Bevölkerung am Tag vor dem Heiligen Abend lediglich zu erhöhter Vorsicht und zum Boostern auf - obwohl der britische Expertenrat Sage ohne schärfere Maßnahmen vor bis zu 3000 Krankenhauseinweisungen täglich und einer Überlastung des Gesundheitssystems warnt.
Hospitalisierungsrate? Eindeutig
Bisher scheint dieses riskante Spiel von Johnson nicht aufzugehen. Ende November haben Forscher in Botswana und Südafrika die Omikron-Variante des Coronavirus identifiziert und nachgewiesen. Im britischen Corona-Hotspot London steigt seitdem auch die Zahl der Infektionen und Hospitalisierungen sprunghaft an. Gut möglich, dass Omikron zu diesem Zeitpunkt seine Reise um die Welt längst begonnen hatte.
Anfang November wurden in der britischen Hauptstadt im Schnitt noch ziemlich genau 3000 Fälle pro Tag erfasst. Die Daten der britischen Regierung sind noch nicht vollständig, aber schon jetzt nähert sich der Sieben-Tage-Schnitt einem Wert von 20.000 Ansteckungen täglich - die nachgewiesen wurden. Aufgrund der hohen Infektionsrate von Omikron - kombiniert mit in vielen Fällen vergleichsweise milden, erkältungsähnlichen Symptomen - ist es wahrscheinlich, dass viele Ansteckungen gar nicht erkannt werden.
Dennoch spricht die Hospitalisierungsrate eine deutliche Sprache. Mit einem Zeitverzug von etwa zwei Wochen gegenüber den Infektionsfällen steigt auch diese seit Ende November deutlich an. Lag der Sieben-Tage-Schnitt am 23. November noch bei etwa 90 Krankenhauseinweisungen pro Tag, sind am 20. Dezember, dem bisher letzten Meldetag, allein in London 301 Menschen mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus gelandet. Tendenz steigend.
Erstaunlicherweise ist von diesem Trend in den landesweiten Daten nichts zu sehen, im Gegenteil. Wurden am 15. Dezember in England, Schottland, Wales und Nordirland noch 923 Patienten mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert, waren es drei Tage später nur noch 813.
Rahmenbedingungen sprechen gegen London
Für diese gegenläufige Entwicklung kann es mehrere Erklärungen geben. In Großbritannien ist die Datenlage zwar besser als in Deutschland, doch auch dort weisen die Behörden auf einen Meldeverzug von bis zu fünf Tagen hin. Gut möglich also, dass viele Patienten bereits im Krankenhaus behandelt, von den Statistiken aber noch nicht erfasst werden. Außerdem kann sich eine hochansteckende Virusvariante wie Omikron in Metropolen wie London mit vielen Einwohner und somit auch mehr Kontaktmöglichkeiten deutlich leichter verbreiten als in dünn besiedelten Regionen.
Zusätzlich liegt die Impfquote in London deutlich unter dem Landeschnitt. Während in den meisten englischen Regionen inzwischen mehr als 80 Prozent der über Zwölfjährigen mindestens eine Dosis erhalten haben, liegt die Quote in der Hauptstadt nur bei 68 Prozent. Allerdings wird das Booster-Programm unter den geimpften Menschen in London ähnlich gut angenommen wie im Rest des Landes.
Weniger schwere Verläufe
Trotzdem lassen sich aus den Daten auch einige Indizien ablesen, die den Kurs von Johnson stützen. Zwar ist die Zahl der Krankenhauseinweisungen in London nach Angaben der Stadt binnen einer Woche sprunghaft von 1372 am 15. Dezember um knapp 700 auf 2036 am 22. Dezember angestiegen. Die Zahl der Patienten, die mechanisch beatmet werden müssen und somit als schwerer Verlauf gelten, ist dagegen weitgehend stabil geblieben: Der Wert erhöhte sich von 195 am 15. Dezember lediglich um drei auf 198 am 22. Dezember.
Auch andere Klinikdaten aus London geben leisen Anlass zur Zuversicht. So liegt die Zahl der Patienten, die 28 Tage nach ihrem positiven Corona-Test sterben, trotz der steigenden Hospitalsierungen seit Anfang September auf gleichbleibendem Niveau. Gleichzeitig hat sich die Aufenthaltsdauer der Omikron-Patienten den neusten Untersuchungen zufolge im Vergleich zu Delta-Infizierten verkürzt. Eine Entwicklung, die sich mit anekdotischen Beobachtungen aus dem südafrikanischen Omikron-Hotspot Pretoria deckt.
Bei den Hospitalisierungen rückt zudem ein neues Phänomen in den Mittelpunkt: Sowohl in Pretoria als auch in London wurde am Anfang der Omikron-Welle eine Zunahme an "Zufallspatienten" beobachtet. Diese waren nicht primär wegen einer Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus gekommen, ihre Infektion wurde erst nach Ankunft bei einem Pflichttest festgestellt und hat für ihre Behandlung keine Rolle gespielt.
Ob sich diese Entwicklung bestätigt, wird sich im Laufe des Tages zeigen, dann veröffentlichen die britischen Gesundheitsbehörden ihren neuesten Wochenbericht, in dem die primäre Diagnose der Patienten aufgeschlüsselt wird. Aber selbst wenn sich diese Beobachtung bestätigen sollte, wären die Patienten immer noch im Krankenhaus und würden Betten und Aufmerksamkeit des Personals erfordern.
Quelle: ntv.de, mit dpa