
Viele positive Corona-Tests gehen mittlerweile auf die Omikron-Variante zurück.
(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)
Die Omikron-Variante des Coronavirus bricht wie eine Sturzflut über die Welt herein. In mehreren Ländern explodieren die Fallzahlen, doch erste Untersuchungen geben trotzdem ganz leichten Anlass zur Hoffnung: Die Verläufe sind mild, Todesfälle sind noch gar nicht bekannt.
In Südafrika verbreitet sich die Omikron-Variante des Coronavirus exponentiell. In Dänemark und Großbritannien verdoppeln sich die Fallzahlen alle zwei Tage. Und in Norwegen haben sich anscheinend etwa 70 von 120 Teilnehmern einer Weihnachtsfeier infiziert und etwa 50 Menschen, die davor oder danach in demselben Restaurant in Oslo essen waren. "Versteht ihr eigentlich, dass das nichts weniger als ein Desaster ist?", fragt eine Medizinerin auf Twitter.
Trotzdem zeigt sich der oberste Corona-Berater von US-Präsident Joe Biden, Anthony Fauci, optimistisch zur neuen Variante. "Es ist nahezu sicher, dass sie nicht schlimmer ist als Delta", sagte Fauci der Nachrichtenagentur AFP. Es gebe einige Hinweise darauf, dass Omikron sogar weniger schwerwiegend sein könnte. Schon am Wochenende hatte er gesagt, die ersten Omikron-Signale seien "etwas ermutigend". Bisher sehe es nicht so aus, als würde die Variante eine besonders schwere Covid-19-Erkrankung hervorrufen; es sei aber noch zu früh, um das abschließend sagen zu können.
Weltweit noch kein Todesfall
Die leichte Entwarnung von Fauci hat vor allem einen Grund, nämlich die Lage in Südafrika. Dort hat sich die Zahl der Infektionsfälle durch Omikron in der vergangenen Woche nach Angaben von Präsident Cyril Ramaphosa zwar verfünffacht. Doch die Zahl der Krankenhauseinweisungen ist im Vergleich dazu sehr niedrig geblieben. Es ist ein Indiz dafür, dass Omikron ansteckender als die bekannte Delta-Variante sein könnte, die meisten Infektionen aber sehr mild verlaufen.
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Zum Beispiel in Europa. Laut dem ECDC, dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, wurden bis zum 6. Dezember 212 Infektionen mit der neuen Omikron-Variante nachgewiesen. Alle Fälle seien entweder mild oder sogar asymptomatisch verlaufen, also ohne Symptome einer Erkrankung, heißt es in dem Bericht. Es habe bisher keine Todesfälle gegeben.
Das gilt auch für die Weihnachtsfeier in Oslo, bisher musste nach Angaben der norwegischen Gesundheitsbehörden kein betroffener Gast ins Krankenhaus eingewiesen werden. Auch der Weltgesundheitsorganisation WHO ist bisher weltweit kein Todesfall nach einer Omikron-Infektion bekannt.
Eine "großartige Neuigkeit"?
Das sei Spekulation, aber tatsächlich eine der molekularbiologisch erwartbaren Möglichkeiten, sagt Klaus Stöhr über die bisherige Milde von Omikron. Der Virologe und Epidemiologe hat früher das Influenza-Programm der Weltgesundheitsorganisation WHO geleitet und dabei jahrelang die Varianten-Bildung von anderen Viren beobachtet. Genau das sei dort auch geschehen, sagt er im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Es sind sogenannte Immune-Escape-Varianten entstanden, die an der Immunabwehr vorbeikommen, dann aber als Null-Varianten auftreten. Das heißt, sie dominieren andere Varianten raus, hinterlassen aber bei den gesundheitlichen Auswirkungen keine sichtbaren Veränderungen."
Der Virologe kann daher nachvollziehen, warum amerikanische Mediziner schon vergangene Woche im "Atlantic" über eine potenziell "großartige Neuigkeit" spekuliert haben. Denn sollte sich bestätigen, worauf mehrere Indizien hindeuten, könnte Omikron die Delta-Variante durch eine höhere Infektiösität aus dem Pandemie-Geschehen verdrängen, aber durch eine geringere Virulenz, wie es in der Fachsprache heißt, gleichzeitig zu weniger schweren Krankheitsverläufen führen.
Das sei eine Richtung der Evolution, erklärt Stöhr. "Die Anpassung an den Wirt bedeutet für das Virus ja, eine Balance zu finden zwischen zwei Extremen: Das Virus will dem Wirt so schlimm wie möglich schaden, aber um sich selbst zu replizieren, muss der Wirt bestehen bleiben. Dieses Equilibrium heißt für die meisten Erreger eigentlich, den Wirt so weit wie möglich zufriedenzulassen. Das erhöht die Chance, eine weitere empfängliche Person zu finden."
Sars-Cov-2 ist schlauer als Yersinia pestis
Welche Konsequenzen eine zu hohe Virulenz hat, belegt zum Beispiel die Pest. Die wird durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst und hat im Mittelalter nach dem Sprung von den Ratten auf die Menschen in einigen Regionen der Erde zwei Drittel der Bevölkerung getötet. Dramatisch hohe Todeszahlen, die aber auch für den Erreger schlecht sind, denn wenn alle tot sind, kann er niemanden mehr infizieren.
Sars-CoV-2 stellt sich offensichtlich schlauer an - so, wie es mehrere andere Coronaviren auch machen, zum Beispiel die Erkältungsviren. Eine Gemeinsamkeit, die sich anscheinend im genetischen Code von Omikron bestätigt: US-Forscher haben darin eine Mutation entdeckt, die aus einem Erkältungsvirus bekannt ist und in den bisherigen Corona-Varianten nicht vorkam.
Kleine Stichproben, nicht repräsentative Daten
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich bei Omikron um eine Art "Sweetspot"-Variante handelt, die aus Sicht des Menschen für den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie wahrscheinlich das ideale Szenario wäre. Eine Mutation, die sehr viele Menschen infiziert, aber im Vergleich mit Delta nur sehr wenigen wirklich schwer schadet.
Das ist nach jetzigem Stand aber nur Spekulation. Klaus Stöhr, Anthony Fauci, die ECDC und der südafrikanische Präsident Ramaphosa weisen alle auf das gleiche Problem hin: Für eine abschließende Einordnung sind die Fallzahlen von Omikron aktuell immer noch zu niedrig, die Daten nicht repräsentativ, Schlussfolgerungen aufgrund der kleinen Stichprobe schwierig.
Es kann durchaus sein, dass es nach einer Infektion mit Omikron einfach länger dauert als bei Delta, bis Covid-19 ausbricht und es zur Einweisung ins Krankenhaus kommt. Um das zu verhindern, bleibt die Impfung der beste Schutz. Das gilt insbesondere auch für Genesene. Nach ersten Erkenntnissen sind sie durch ihre frühere Infektion vor der neuen Variante nur halb so gut geschützt wie vor Delta.
Halbvoll oder halbleer?
Aber selbst wenn sich Omikron als "Sweetspot" herausstellt, gäbe es ein weiteres Problem: Explodieren die Infektionszahlen, sind wenige schwere Omikron-Verläufe im Verhältnis zu Delta immer noch sehr viele schwere Verläufe in absoluten Zahlen. Auf die Krankenhäuser käme daher trotzdem eine Covid-Welle zu.
"Wer das Glas halb voll sieht, sagt: Mein Gott, das ist die Abkürzung zum Ende der Pandemie. Es werden sich ganz viele Menschen ganz schnell infizieren, die natürliche Immunität bekommen, wir sind schneller durch", erklärt Klaus Stöhr die positive Betrachtungsweise eines "Sweetspot"-Szenarios. "Aber wer das Glas halb leer sieht, und das muss man definitiv berücksichtigen, sagt: Es werden sich sehr, sehr viele Menschen in kürzester Zeit im Galopp infizieren. Wie sich das auf medizinische Einrichtungen auswirkt, bleibt zu sehen."
"Bei vorherigen Wellen anders gewesen"
Ein erstes Zwischenfazit aus Südafrika macht allerdings auch in dieser Hinsicht Hoffnung. Dort treten die meisten Infektionen in Pretoria auf, dem südafrikanischen Omikron-Hotspot. In einem Klinikkomplex im Zentrum der Stadt wurden nach Angaben des südafrikanischen Rats für Medizinische Forschung am 2. Dezember insgesamt 42 Menschen mit einer Omikron-Infektion behandelt. Von diesen 42 Patienten hätten 29, also 70 Prozent, keinen Sauerstoff benötigt, um atmen zu können; nur einer habe auf der Intensivstation gelegen, schreiben die Mediziner in ihrem Bericht. "Das ist bei vorherigen Wellen anders gewesen", heißt es. Dort habe nur ein Bruchteil der Patienten KEINEN Sauerstoff benötigt.
Auch andere Erkenntnisse zeichnen ein verändertes Bild von Sars-CoV-2. Zum Beispiel handelt es sich bei den meisten Omikron-Patienten um sogenannte "Zufallspatienten": Sie sind nicht wegen ihrer Corona-Infektion ins Krankenhaus gekommen, sondern aufgrund von anderen Problemen.
Die Autoren des Berichts weisen darauf hin, dass diese Beobachtungen nur die ersten beiden Wochen der Omikron-Welle in Südafrika darstellen und lediglich "anekdotisch" sind, also auf Einzelfällen beruhen. Sie erwähnen aber auch, dass dem Klinikpersonal die Veränderungen im Vergleich zu den ersten drei Corona-Wellen ebenfalls aufgefallen sind. Hoffen wir, dass sich die Anekdoten bewahrheiten.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de