
In London liegen viele Corona-Patienten im Krankenhaus.
(Foto: picture alliance / AA)
Der nächste Lockdown rollt auf Deutschland zu. Wie lange die neuen Corona-Maßnahmen anhalten werden, hängt auch davon ab, wie schwer eine Infektion mit der neuen Omikron-Variante verläuft. Erste Daten liegen vor, sind aber nicht eindeutig und Schlussfolgerungen kompliziert.
Wie schwer ist nach einer Omikron-Infektion der Krankheitsverlauf? Von dieser Frage hängt maßgeblich ab, wie lange die neuen Beschränkungen, die Bund und Länder am Dienstag beschlossen haben, andauern werden. Die ersten Daten und Hinweise liegen seit der Entdeckung der Variante am 25. November vor, aber eindeutig sind die leider nicht. Am Sonntagabend hat Christian Drosten sein Urteil abgegeben. "Sieht mir nicht nach einer milderen Erkrankung aus", sagte der Berliner Virologe. Seine Grundlage? Eine Auswertung der Osloer Weihnachtsfeier, bei der sich Ende November und Anfang Dezember nachweislich 66 der 117 Anwesenden mit Omikron infiziert hatten und 15 weitere wahrscheinlich.
Viele Leserinnen und Leser reagierten auf Twitter verwundert auf das Urteil von Drosten, denn als Symptome wurden bei den infizierten Norwegern zwei bis vier Tage Husten, eine laufende oder verstopfte Nase, Müdigkeit, Halsschmerzen und Kopfschmerzen festgestellt. Gut die Hälfte hatte auch noch zwei Tage Fieber. Niemand musste ins Krankenhaus.
Was wäre dann ein milder Verlauf gewesen? "Weniger Husten, weniger Fieber", antwortet der Berliner Virologe auf eine entsprechende Frage.
"Das sind keine schweren Verläufe"
- Stufe 0: Nicht infiziert
- Stufe 1 (ambulante Behandlung): keine Einschränkung der Tagesaktivitäten
- Stufe 2 (ambulante Behandlung): Einschränkung der Tagesaktivitäten
- Stufe 3 (milder Verlauf): Hospitalisierung ohne Sauerstoffzufuhr
- Stufe 4 (milder Verlauf): Hospitalisierung mit Sauerstoffzufuhr
- Stufe 5 (schwerer Verlauf): Hospitalisierung mit High-Flow-Sauerstofftherapie
- Stufe 6 (schwerer Verlauf): Hospitalisierung mit mechanischer Beatmung per Intubation
- Stufe 7 (schwerer Verlauf): Hospitalisierung mit mechanischer Beatmung und externe Organunterstützung wie Ecmo-Therapie
- Stufe 8: Tod
"Vielleicht wäre es sinnvoll, sich auf eine feste Definition für milde Erkrankung zu einigen", schlägt ein Nutzer vor. "Viele scheinen darunter 'keine stationäre Aufnahme' zu verstehen", schreibt er. Wenn damit aber "kein Fieber, kein Husten" gemeint sei, werde es schnell unübersichtlich.
Aber eigentlich liegt diese Definition längst vor. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet bei Covid-19 mit einer achtstufigen Skala. Die beginnt bei Stufe 0 mit "Nicht infiziert" und endet auf Stufe 8 mit dem Tod. Als "mild" gilt ein Verlauf demnach sogar noch dann, wenn er ins Krankenhaus führt. Stufe 3 beispielsweise steht für "Hospitalisiert ohne Sauerstoff". Auf Stufe 4 wird bereits die Atmung mit einer Sauerstoffmaske aus Plastik unterstützt oder mit einer nasalen Atemhilfe.
Ein schwerer Verlauf ist laut WHO erst dann erreicht, wenn es zu einer High-Flow-Sauerstofftherapie kommt. Bei der werden mehrere Liter Sauerstoff pro Minute in die Lungen gepumpt - also nichts von dem, was in Norwegen passiert ist, sagt Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Die Leute sind alle ambulatorisch behandelt worden, keiner ist ins Krankenhaus gekommen", erklärt der frühere Leiter des WHO-Influenzaprogramms. "Das sind alles Dinge, die der Hausarzt behandeln kann. Das sind keine schweren Verläufe. Ich weiß nicht, woher das kommt."
Symptome einer Erkältung
Auch beim Robert-Koch-Institut klingen die Erkältungssymptome aus Oslo nach einem "moderaten" oder "leichten" Verlauf einer Covid-19-Erkrankung. Ein schwerer Corona-Fall liegt laut RKI erst dann vor, wenn das Lungengewebe "akut oder chronisch entzündet" ist.
Die Weihnachtsfeier in Oslo scheint in Symptom-Hinsicht auch keine Ausnahme, sondern die neue Regel gewesen zu sein. Wissenschaftler des Londoner King's College haben Daten der britischen Corona-App "Zoe" ausgewertet und dabei festgestellt, dass Omikron bei den allermeisten Menschen hauptsächlich Erkältungssymptome verursacht. Sie haben eine laufende Nase, Kopfschmerzen, sind müde, haben Halsschmerzen oder müssen niesen. Auch Nachtschweiß scheint neuerdings ein Corona-Hinweis zu sein. Ähnliches hatten bereits Mediziner aus Südafrika berichtet.
Klassische Symptome früherer Varianten wie Fieber oder der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn scheinen dagegen nur noch selten oder gar nicht mehr aufzutreten.
Inkubationszeit verkürzt sich
Dass die Symptome milder sind, bedeutet allerdings nicht automatisch, dass auch die Verläufe mild enden. Es ist möglich, dass eine Omikron-Infektion mild beginnt und erst mit der Zeit an Schwere zulegt. Allerdings sind die meisten Infektionen in Oslo schon drei Tage nach der Weihnachtsfeier festgestellt worden. Die Inkubationszeit bis zum Ausbruch von Covid-19 scheint sich also von Delta zu Omikron verkürzt zu haben. Mutmaßlich müssten die Betroffenen bei einem schweren Verlauf also auch früher, nicht später ins Krankenhaus.
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Möglich ist auch, dass die Menschen in Oslo nur Glück hatten, dass sie mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren vergleichsweise jung und fast ausnahmslos doppelt geimpft waren. Trotzdem lag die Hälfte von ihnen mit Fieber flach. Was passiert dann erst in der Risikogruppe ab 60 Jahren, in der viele noch nicht geboostert sind?
"Die Schlussfolgerung liegt nahe", sagt Virologe Stöhr. Inwieweit das aber tatsächlich der Fall sei, müsse man abwarten. "Ansonsten können wir nur auf Grundlage dieser kleinen Datenbasis spekulieren."
Doppelwelle in Großbritannien
Indizien liefern mehrere Untersuchungen. Wissenschaftler der Universität Hongkong und der Universität Cambridge haben Hinweise darauf gefunden, warum Omikron weniger schwere Verläufe verursachten könnte als Delta. Da es sich aber nur um Laboruntersuchungen handelt, ist es für eine abschließende Beurteilung zu früh.
Forscher am Imperial College in London fanden dagegen keine Hinweise darauf, dass Omikron weniger gefährlich ist als Delta. Sie haben die Daten mehrerer Tausend Omikron-Fälle aus Großbritannien ausgewertet und mutmaßen, dass für die milden Verläufe die Corona-Impfung oder eine natürliche Immunität nach einer vorherigen Infektion verantwortlich sein könnte. Aber wieder weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass es zu früh für eine abschließende Einschätzung ist, weil noch nicht genügend Daten aus den Krankenhäusern vorliegen.
Unter anderem in London füllen die sich allerdings wieder, die Zahl der Einweisungen ist in den letzten Tagen deutlich gestiegen. Doch auch das muss kein Beweis dafür sein, dass Omikron schwere Verläufe verursacht. Denn neben Omikron grassiert in Großbritannien nach wie vor auch die Delta-Variante. Die wird zwar aktuell aus dem Infektionsgeschehen verdrängt, ist aber seit Anfang Juli praktisch durchgehend für hohe Infektionszahlen und Hospitalisierungen verantwortlich.
Zahl der "Zufallspatienten" nimmt zu
Deutlich entspannter scheint die Lage dagegen im südafrikanischen Omikron-Hotspot zu sein, wo keine Delta-Welle grassiert. In der Provinz Gauteng haben die Infektionszahlen der Omikron-Welle schon am 9. Dezember ihren Höhepunkt erreicht. Die Fallzahlen waren in ihrer Spitze ungefähr auf dem Stand der Delta-Welle aus dem vergangenen Sommer, die Zahl der Krankenhauseinweisungen war bis dahin aber nur halb so hoch.
Bei den Hospitalisierungen rückt außerdem ein neues Phänomen in den Mittelpunkt: Bei zwei einzelnen Stichproben in einem Klinikkomplex in der südafrikanischen Verwaltungshauptstadt Pretoria und in London waren gut zwei Drittel aller Omikron-Patienten "Zufallspatienten": Sie sind aus einem anderen Grund ins Krankenhaus gekommen oder gegangen. Die Infektion wurde erst nach ihrer Ankunft bei einem Pflichttest festgestellt und hat für ihre Behandlung keine Rolle gespielt. Sollten solche Corona-Patienten in den Statistiken auftauchen? Wie beim "milden" Verlauf gehen die Meinungen wahrscheinlich auseinander.
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Quelle: ntv.de