Brustbeinschäden bei Legehennen "Es sind alle Herden betroffen"
07.03.2022, 08:52 Uhr (aktualisiert)
Das Brustbein schließt den Körper der Legehennen zum Bauch hin ab. Leider weist es vor allem in Haltesystemen mit viel Platz häufig Brüche und Risse auf.
(Foto: picture alliance / Countrypixel)
Im Dezember veröffentlichen dänische Forscher eine beunruhigende Studie zur Geflügelwirtschaft. Fast 85 Prozent aller Legehennen weisen Brustbeinbrüche auf, lautet das Ergebnis ihrer Untersuchung. Als Ursache führen sie unter anderem zu große Eier an, die von innen auf den Körper der kleinen Hennen drücken. Und dass die Haltungsform keinen Unterschied macht. Tatsächlich ist sogar das Gegenteil der Fall, sagt Agrarwissenschaftlerin Lisa Jung, die ebenfalls zu Tierschutzproblemen in der Legehennen-Haltung forscht: Hühner, die sich viel bewegen können, leiden besonders oft an Brustbeinschäden, wie sie im "Klima-Labor" von ntv erklärt. Jede einzelne Herde sei betroffen. Die Ursachen sind vielfältig, betroffene Legehennen schnell zu identifizieren schwierig.
ntv.de: Stellen wir die wichtigste Frage zuerst: Kann man noch guten Gewissens Eier essen?
Lisa Jung: Das kommt darauf an, welche Hühnereier wir kaufen.
Welche darf man denn kaufen?
Kaufen darf man alles. Ich achte darauf, dass ich Eier aus Haltungssystemen kaufe, von denen ich die Grundlagen kenne. Also, wenn meine Hühner keine Eier legen, kaufe ich Bio-Eier.
Wo so eine schöne Null drauf steht? Darauf soll man ja achten.
Genau, wo die Null draufsteht. Viel wichtiger ist aber, dass man sich darüber bewusst ist, dass wir den größten Teil der Eier über verarbeitete Produkte zu uns nehmen, also Nudeln oder Gebäck.
Und wenn die Bio sind, dann müssen auch die Eier da drin Bio sein?

Lisa Jung forscht an der Universität Kassel zu Legehennen - und hält selbst ein paar Hühner bei sich zu Hause.
(Foto: privat)
Wenn die Produkte Bio sind, sind auf jeden Fall auch die Eier Bio. Ansonsten gibt es Produkte, wo explizit "Eier aus Bodenhaltung" draufsteht. Dann weiß man auch, dass es keine Eier aus Käfighaltung sind.
Dann muss uns die Studie Ihrer dänischen Kollegen keine Sorgen machen? Die haben ja festgestellt, dass 85 Prozent aller Legehennen Brustbeinbrüche aufweisen, und zwar egal in welcher Haltungsform sie leben, also auch dann, wenn es um Bio-Eier geht.
Doch, wir müssen uns Sorgen machen. Es ist sogar so, dass Legehennen, die in Haltungssystemen leben, wo sie sich viel bewegen können, besonders oft an diesen Brustbeinschäden leiden. Also auch Legehennen, die in Bio-Haltesystemen gehalten werden. Das ist natürlich ein Problem.
Vielleicht können Sie noch mal einmal kurz erklären, was genau passiert. Woher kommen die Brustbeinschäden bei den Legehennen?
Erst einmal müssen wir uns vorstellen, was das Brustbein ist: Wenn wir uns das Huhn bildlich vorstellen, hat es einen Kopf und ein Schwanzende mit den Schwanzfedern. Dazwischen ist der Körper. Das Brustbein schließt den Körper zum Bauch hin ab. Das heißt, es liegt unten am Bauch. Man sagt auch Kiel dazu, weil es so ähnlich aussieht wie ein Schiffskiel. Und von Schäden ist es deswegen so oft betroffen, weil es der längste Knochen im Körper der Vögel ist und den Körper auch so prominent nach außen hin abschließt.
Und wenn die Tiere zum Beispiel in Systemen leben, in denen sie mehrere Ebenen oder zwei, drei, vier Meter nach oben fliegen können, kann es sein, dass sie gegen eine Sitzstange knallen, wenn sie die nicht richtig anpeilen. Die sind oft aus Metall. Wenn der Knochen nicht stabil ist, geht er schnell kaputt. Oder umgekehrt, die Henne sitzt oben auf der Stange, will nach unten fliegen, aber die Wand ist zu nah dran. Dann fliegt sie gegen die Wand oder lässt sich fallen. Dabei kann der Knochen auch kaputtgehen.
Das heißt, die Brustbeinschäden haben mit den Eiern nichts zu tun?
Doch, jetzt wird es kompliziert. Vögel sind was ganz Besonderes, die haben nämlich Knochen-Bestandteile, die nennt man medullärer Knochen. Den haben weibliche Vögel und Dinosaurier. Diese Knochen sind der Kalziumspeicher für die Eierschalen-Produktion. So eine Eierschale enthält ganz viel Kalzium. Wenn eine Henne kein Kalzium mehr durch die Nahrung im Darm und im Blut hat, ist dieser Knochen dafür da, Kalzium abzugeben. Wenn ich aber mehr Kalzium entziehe, als ich zuführe, wenn die Henne keine Pausen zwischen dem Eierlegen macht, hat sie keine Chance, den Knochen wieder aufzubauen. Dann wird er porös.
Das Problem ist auch deshalb so komplex, weil es verschiedenste Arten von Brustbeinschäden gibt, zum Beispiel Deformationen. Das ist einfach eine Abweichung von der geraden Linie. Der Knochen sieht dann aus wie eine S-Kurve, ist total verbogen. Es gibt auch verschiedene Arten von Frakturen. Traumatisch sind solche, von denen ich gesprochen habe: Die Henne knallt irgendwo dagegen und der Knochen geht kaputt. Es gibt aber auch nicht-traumatische Frakturen. Das ist das, was die Dänen beobachtet haben. Es ist kein Bruch durch eine Kollision entstanden, sondern der kommt irgendwo anders her, man weiß aber nicht genau, von wo und was die unterliegenden Mechanismen sind.
Ihre dänischen Kollegen waren in ihrem Fazit aber sehr konkret. Die haben geschrieben, dass die Brüche "allem Anschein nach" durch große Eier verursacht werden.
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Das stimmt. Sie haben aber generell - wie wir auch in vielen Untersuchungen - gefunden, dass anscheinend das Gewicht einen Einfluss hat: Hennen, die in besserer körperlicher Verfassung waren und ein höheres Körpergewicht hatten, hatten ein geringeres Risiko für Brustbeinschäden. Und sie haben auch herausgefunden, dass das Risiko für Schäden sinkt, wenn die Hennen später anfangen, Eier zu legen, wenn sie erst mit 24 und nicht mit 20 Wochen anfangen. Erst dann kam der Einfluss von dieser Ei-Größe.
Ist das denn ein Problem, das durch die Massentierhaltung entstanden ist, oder haben Legehennen dieses Problem generell?
Es ist schon so, dass die Legeleistung einen Einfluss auf die Knochenstabilität und -gesundheit hat, aber auch ganz viele andere Umweltfaktoren. In unserer Untersuchung haben wir zwölf Rassen durch Fühlen, Palpation nennt man das, angeguckt. Dabei hatten Rassehühner oder Hühner älterer Rassen ähnliche Schäden wie Tiere in kommerzieller Haltung. Das finde ich aber nicht verwunderlich, wenn wir uns angucken, dass das Ursprungshuhn, das Bankivahuhn, ein bis zwei Gelege im Jahr hatte. Das heißt, es hat einmal zwölf Eier gelegt, die ausgebrütet, die Küken großgezogen und dann war es erst im nächsten Jahr wieder dran. Diese Hühner legen inzwischen 120, 160, 200 Eier im Jahr. Der Abstand zu den mehr als 300 Eiern, die Legehennen legen, ist zwar groß, aber die Schäden treten trotzdem auf.
Das heißt, es ist gesund für Legehennen, wenn sie weniger Eier legen müssten?

Ob die Tiere sich das Brustbein gebrochen haben, können Profis wie Lisa Jung mit den Händen fühlen.
(Foto: privat)
Ja, das ist ein enormer Stoffwechsel- und Energieaufwand, fast jeden Tag ein Ei zu legen. Die Henne muss auch dementsprechend gefüttert werden. Das ist wie bei Hochleistungsrindern. Die sind genetisch darauf festgelegt, viel Milch zu geben, aber dafür reichen Gras und Heu nicht mehr aus, die brauchen Kraftfutter. Genauso ist es bei Legehennen. Die sind genetisch dazu selektiert, viele Eier zu legen. Das schaffen sie nur mit entsprechender Fütterung. Dieser Aspekt spielt eine enorm große Rolle, wenn es darum geht, Brustbeinschäden zu vermeiden.
Was bedeuten diese Brustbeinschäden denn für die Hennen selbst? Es ist wahrscheinlich schmerzhaft, das können wir uns vorstellen. Aber sterben sie daran? Kann das behandelt werden?
Das ist das eigentliche Problem, wenn wir uns überlegen, dass 100 Prozent aller Herden betroffen sind: Es gibt keine Herde ohne Huhn mit Brustbeinschäden. Wir sprechen hier von 44 Millionen Hühnern allein in Deutschland pro Jahr. Man muss sich diese Zahl bewusst machen und auch die Tatsache, dass Brüche per se schmerzhaft sind. Wenn wir uns jetzt noch überlegen, dass am Brustbein die Rippen und die Muskulatur anschließen ... Das heißt, wann immer das Huhn die Flügel bewegt, wird Zug oder Druck auf dieses Brustbein ausgeübt. Ein Kollege konnte mal in einem Versuch zeigen, dass Hennen, die Brustbeinbrüche hatten, öfter zu Futter gegriffen haben, das mit Schmerzmitteln versetzt war. Also, die schauen schon, dass sie diesen Schmerz irgendwie wegkriegen. Spannend ist auch die Frage nach den Deformationen: Wenn die Knochen schief und krumm sind, bereitet das Schmerzen oder nicht? Das hat sich noch keiner angeguckt.
Das heißt, diese Hühner werden nicht behandelt, sondern weiter gehalten, legen weiter Eier und leben mit diesen Schmerzen?
Ja. Das ist das große Problem bei Brustbeinschäden: Ich erkenne sie nicht, wenn ich in den Stall gucke. Federpicken oder Kannibalismus, das kann ich sehen. Um Brustbeinschäden festzustellen, muss ich trainiert sein, die Tiere wirklich in die Hand nehmen und den Knochen befühlen. Dann fühle ich die Abweichung oder den sogenannten Kallus. Das bildet sich bei uns auch, wenn wir einen Bruch haben. Dann bildet der Körper eine Brücke, um diese Lücke zu stabilisieren. Mit der Zeit verknöchert dieses Material. Wenn das klein ist, fühlt es sich an wie eine Erbse. Wenn es ein Riesenbruch war, ist dieser Kallus so groß wie eine Walnuss. Mit dem Auge sieht man die ganzen Verbiegungen nur auf dem Schlachthof, wenn jede Sekunde zwei Hühner ohne Federn vorbeigerauscht kommen.
Ist denn dieser Brustbeinbruch ein Dauerzustand, der das ganze Leben dieser Henne fortbesteht und das ganze Leben lang schmerzt? Oder heilt der auch irgendwann wieder ab?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Also, er kann heilen. Es kann aber auch sein, dass der Bruch nicht nur ein Riss war, sondern eine Dislokation. Das heißt, der Knochen war komplett durch und kann gar nicht mehr zusammenwachsen. Oft ist es so, dass die Tiere nicht nur einen Bruch haben, sondern multiple, also mehrere. Das haben die Dänen gezeigt, aber auch wir schon in Untersuchungen mit dem Friedrich-Löffler-Institut (FLI). Dann ist vielleicht der eine Bruch geheilt, der nächste aber nicht. Was man generell beobachten kann, ist, dass die Zahl der Schäden mit dem Einsetzen der Pubertät steigt, also wenn die Hennen beginnen, Eier zu legen. Wenn ihre Legeleistung zurückgeht, sinkt die Anzahl der Schäden wieder. Hieran erkennen wir schon einen direkten Zusammenhang mit dem Legen.
Wann beginnen denn Hennen mit dem Eierlegen? Und wie lange hält es an, bis sie ... Sie haben gerade Schlachthof gesagt. Wenn die Hennen keine Eier mehr legen, endet das Leben vermutlich dort?
Genau. In der Regel fangen sie in der 22. Lebenswoche an. Aber wenn ich Legehennen-Halterin bin, möchte ich möglichst viele Eier von der teuer gekauften Henne haben. Also versuche ich vielleicht, dass sie schon in der 20. Woche anfängt. Das geht durchaus. Aber je später sie anfangen, desto mehr Zeit hat der Knochen, sich aufzubauen. Das Brustbein ist erst in der 35. Woche wirklich verknöchert. Normalerweise endet die Legephase, wenn die Hennen 60 oder 65 Wochen alt sind, aber es wird immer später. Das ist ein Ziel der Zuchtfirmen, die Legeleistung nach hinten zu schieben, weil Hennen teuer sind und sie jetzt, wo Kükentöten verboten ist, auch die männlichen Tiere aufziehen müssen. Das ist sehr teuer und nicht wirtschaftlich.
Wie viel kostet denn so eine Legehenne?
Ich kenne den konventionellen Preis nicht, weil wir das ökologisch betreiben. Aber wir haben zuletzt 16,50 Euro pro Tier bezahlt.
Und was unternehmen die großen Zuchtfirmen gegen die Brustbeinschäden?
Es gibt weltweit nur zwei große Firmen, die sich diesen Markt mehr oder weniger teilen: Lohmann Breeders und Hendrix Genetics. Die beschäftigen sich auch schon länger mit diesem Thema, mindestens seit sechs, sieben, acht Jahren. Wir haben ja gesagt, dass es mehrere Einflussfaktoren gibt. Das heißt, die Zucht ist eine der kleinen Schrauben, an der wir drehen müssen. Die kann Tiere natürlich so auswählen, dass sie Nachkommen produzieren, die schnell Knochen aufbauen, wo es nicht so lange dauert, bis der Knochen fertig ist. Daran arbeiten die. Man muss aber immer gucken, wie hoch der genetische Einfluss überhaupt ist. Man nennt das Heritabilität, also die Wahrscheinlichkeit, dass Nachkommen ein genetisches Merkmal übernehmen. Je nach Linie, je nach Umwelt liegt sie nur bei 15 bis 30 Prozent.
Oh.
Erst mal! Es kommt sehr darauf an, unter welchen Bedingungen ich das betrachte. Aber die Erblichkeit ist nicht so hoch, dass man sagen kann: Die Zuchtfirmen müssen richtig selektieren, und dann hat sich die Sache. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Die Legehennen-Halterinnen müssen gucken, wie sie die Tiere halten, wie viele es pro Quadratmeter sind, was sie denen füttern, ob die Sitzstangen aus Metall sind oder ob man vielleicht Plastikstangen nutzt, die ein bisschen weicher sind.
Am Ende kommt es auf Ernährung, Haltung und Tierschutz an?
Genau. Man muss sich dieses Problems bewusst werden, das sind jetzt die meisten Leute. Es gab diesen Aufschrei. Jetzt muss man an allen Schrauben drehen. Eine große Rolle spielt auch die Aufzucht, die Hennen ja überhaupt das Potenzial mitgibt, sich gut zu entwickeln. Das ist wie bei einem Kind, das nicht altersgemäß ernährt wird und nur drinnen sitzt. Das wird nie so einen stabilen Knochen haben wie ein Kind, das draußen ist, in die Sonne geht und Vitamin D3 aufnimmt. Es ist auch für Hennen extrem wichtig, dass sie die Mineralien bekommen, um überhaupt wachsen zu können. Am Ende kommt es aber natürlich auch auf die Verbraucher an, weil Tierschutz Geld kostet. Wenn ich Eier für 20 Cent kaufe, kann ich davon ausgehen, dass nicht viel für Tierschutzmaßnahmen übrig bleibt.
Mit Lisa Jung sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 03. März 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de