Mensch zerstört Ackerflächen "Müssen mehr für Nahrungsmittel zahlen"
24.02.2022, 16:08 Uhr
Überall dort, wo der Mensch die Oberfläche öffnet und Pflanzen entfernt, leiden Böden besonders.
(Foto: picture alliance / Countrypixel)
Egal, wo wir hinschauen, Boden gibt es überall. Allerdings ist er selten in gutem Zustand, immer mehr geht durch die industrielle Landwirtschaft und Erosion verloren. Ein Professor für Bodenressourcen sieht nur einen Ausweg, doch der führt zu höheren Preisen im Supermarkt.
Egal, wo wir hinschauen, Boden gibt es überall. Allerdings ist er selten in gutem Zustand. In Großstädten ist er meist versiegelt und damit unbrauchbar. Auf dem Land sorgt unsere Form der Ackerwirtschaft dafür, dass fruchtbarer Boden kaputt oder sogar dauerhaft verloren geht. Schade, denn in Deutschland hat sogar den globalen "Boden-Jackpot" gewonnen, wie Sebastian Dötterl von der ETH Zürich im "Klima-Labor" erklärt. Man könnte die Landwirtschaft auch umstellen und bodenschonender betreiben, sagt der Professor für Bodenressourcen. Aber wie so oft würden diese Methoden zu höheren Preisen im Supermarkt führen. Wollen wir das? Wahrscheinlich schon, denn in der Vergangenheit sind schon ganze Kulturen wegen Bodenverlusts zusammengebrochen.
ntv.de: Inwiefern sind Böden für den Klimawandel relevant?
Sebastian Dötterl: Kohlenstoff, der zentrale Baustein von CO2, wird in terrestrischen Systemen vor allen in Böden gespeichert. Das heißt, dass Böden mehr Kohlenstoff speichern als die gesamte pflanzliche Biomasse, die gesamte Vegetation der Erde und die Atmosphäre zusammen.
Von welchen Böden reden wir da? Um welche geht es?
Boden ist das, was wir in der Natur finden, was aus der Verwitterung von Gestein entsteht durch Einwirkung der Pflanzen, der Atmosphäre, des Wassers. Man spricht auch einfach von der belebten oberen Schicht der Erdkruste, wenn Sie so möchten. Das ist mit Boden gemeint.
Dann scheint es in Berlin kaum noch Böden zu geben, hier sieht man vor allem Straßen und Asphalt. Sollten wir in Großstädten wieder alle Böden aufreißen?

Es sind schon Kulturen wegen Bodenverlusts zusammengebrochen", warnt Sebastian Dötterl von der ETH Zürich.
(Foto: privat)
Die Versiegelung ist in Industrienationen in der Tat ein Problem, natürlich auch in Deutschland. Aber aufreißen bringt nichts, der Schaden ist in gewisser Weise schon angerichtet. Das Renaturieren versiegelter Böden würde Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte dauern.
Ist denn der Boden, wenn er einmal versiegelt ist, komplett wertlos? Unter einem Haus oder einer Autobahn ist ja immer noch welcher drunter.
Am wichtigsten ist das, was der Landwirt als Mutterboden bezeichnet. Das sind die fruchtbaren oberen 20 bis 30 Zentimeter. Es sind die Teile, die man abträgt, wenn man Straßen, Häuser oder was auch immer darauf baut. Für immer verloren ist der Boden deswegen nicht, es dauert nur sehr lange, bis er sich erholt.
Welche Böden untersuchen Sie denn konkret, wenn Sie sich nicht mit dem Berliner Asphalt beschäftigen?
Wir beschäftigen uns vor allen Dingen mit Böden, die in irgendeiner Weise durch den Menschen genutzt werden, also Ackerböden oder auch Böden in Forsten. Ich meiner eigenen Forschung spielen auch Gebiete eine Rolle, die sich gerade stark durch den Klimawandel oder durch die Landnutzung verändern.
Von welchen Gebieten reden wir da?
Wir reden zum Beispiel über die Tropen, über Gebirge und über die Polarregionen. Die Polarregionen verändern sich durch den Klimawandel. Die tropischen Regionen auch, vor allen Dingen aber durch den Landnutzungswandel.
Das heißt, dass aus dem Regenwald Anbauflächen werden?
Richtig. Ich beschäftige mich damit vor allen Dingen in den afrikanischen Tropen, die in ihrer Funktion anders sind als die südamerikanischen.
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Gibt es denn überall auf der Welt unterschiedliche Böden? Kann man die ähnlich wie Klimazonen einordnen?
Es gibt für die einzelnen Klimazonen schon sehr typische Böden, aber auch eine ganze Reihe lokaler Faktoren, die die Bodenlandschaft extrem beeinflussen. Das sind geologische und topografische Unterschiede, Hydrologie und solche Dinge.
Dann ist praktisch jeder Boden einzigartig?
Wenn man so möchte, ja. Sie folgen bestimmten Regelmäßigkeiten - ohne könnte man das auch nicht global darstellen. Aber natürlich sind die lokalen Faktoren extrem entscheidend. Wenn Sie in ein Waldstück gehen und ein paar Meter voneinander entfernt zehn Löcher bohren, würde das Bodenprofil immer ein bisschen anders aussehen, obwohl die gleichen Bäume und Büsche drauf stehen. Diese Unterschiede werden größer, je weiter entfernt sie schauen.
Gibt es eine Art Bewertung, welcher Boden besser und welcher schlechter ist?
Das gibt es in der Tat. Es ist eine lange Liste an Faktoren, die vor allem mit der Bodenfruchtbarkeit zu tun haben, mit der sogenannten Tragfähigkeit der Böden: Wie produktiv können sie als Acker genutzt werden? Wie viele Nahrungsmittel kann ich damit erzeugen? Aber auch, wie gut sie Wälder unterstützen.
Und welches Land oder welcher Kontinent hat sozusagen den Boden-"Jackpot" gezogen?
Die besten Böden finden Sie in den mittleren Breiten, wo die Industrienationen sitzen. Die Böden in der Ukraine sind zum Beispiel super fruchtbar, in den USA oder auch in Deutschland. Es ist kein Zufall, dass im Mittelalter die großen Städte dort entstanden sind, wo die besten Böden waren. Es gab ja keine Kühlschränke, um Nahrung transportieren zu können. In Deutschland ist es zum Beispiel die Magdeburger Börde.
Das heißt, wenn ein und derselbe Bauer etwas in Bayern und in der Magdeburger Börde anbaut, dann wächst in der Magdeburger Börde tatsächlich einfach mehr?
Diese Bodenqualität hat einen Effekt auf die Erträge, aber in den Industrienationen haben wir natürlich Mittel, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Durch Düngen zum Beispiel. Aber in vielen Regionen der Welt sind Düngemittel nach wie vor limitiert, weil die Leute arm sind. Dort sind die Erträge massiv unterschiedlich.
Das Düngen ist aber wahrscheinlich nicht gut für den Boden, oder?
Es kommt immer darauf an, was Sie damit machen wollen. Sie können die Erträge nicht ohne Düngen steigern, aber die Mengen an Dünger, die wir in Europa ausbringen, sind natürlich massiv. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass wir, wenn wir über organischen Dünger wie Gülle reden, einfach einen unglaublich hohen Tierbestand haben und das Zeug irgendwo hin muss.
Aber das heißt schon, dass unsere Bodenqualität im Laufe der Zeit abnimmt?
Durch das Düngen an sich würde die Bodenqualität nicht abnehmen. Es ist eher die Wasserqualität, die darunter leidet. Aber was die Qualität massiv verringert, ist Bodenerosion durch Wasser und Wind. Die entsteht immer dort, wo der Mensch die Oberfläche zumindest zeitweilig öffnet und Pflanzen entfernt.
Können wir fruchtbaren Boden denn durch unsere Nutzung permanent verlieren?
Boden regeneriert sich nur sehr langsam und manchmal auch gar nicht. Global betrachtet, ist Bodenverlust daher ein großes, besorgniserregendes Problem. Faktisch haben wir nämlich schon die besten Gebiete für Ackerbau lange unter Nutzung. Wir degradieren die Flächen auch nicht nur, trocknen sie also aus oder verschlechtern sie auf die eine oder andere Weise, sondern verlieren sie teilweise ganz. Das müssen wir dann mit anderen Anbauflächen kompensieren, aber das passiert oft in Bereichen, die dafür aus klimatischer oder aus Sicht des Bodens viel schlechter geeignet sind.
Welche Möglichkeiten gibt es denn, Böden besser davor zu schützen?
Sie können Erosion einschränken, indem Sie das Land in einer Art und Weise bearbeiten, bei der weniger Materialabtrag stattfindet. Ein einfaches Beispiel wäre, dass man Ernterückstände, die den Boden abdecken, liegen lässt. Die schützen den Boden vor starken Niederschlägen. Oder man pflügt weniger tief, das erhält die Bodenstabilität.
Das kann man relativ kurzfristig umsetzen, oder?
Ja. Denn kein Landwirt hat Interesse daran, dass sein Boden degradiert. Aber Landwirte sind finanziellen Zwängen ausgesetzt, damit sie ihren Betrieb aufrechterhalten, ihre Tiere füttern und ihre Produkte zu Preisen anbieten können, zu denen Supermärkte sie kaufen. Sie können stattdessen Methoden nutzen, die viel bodenschonender sind, aber die sind oft auch nicht so effizient. Wir müssen bereit sein, so etwas zu subventionieren.
Diese Methoden sind wahrscheinlich teurer.
Wir müssen bereit sein, für Nahrungsmittel mehr zu zahlen. Für eine schonende Nutzung brauche ich aber auch mehr Fläche. Wo soll die herkommen? Wir sind ein bisschen in einer Zwangslage, in der wir abwägen müssen.
Wäre es eine Idee, die Bodennutzung weltweit aufzuteilen? Das machen wir hier, das machen wir da und irgendwie kriegen wir das dann schon hin.
Klar, das könnte man natürlich tun. Von der Produktivität her sind die mittleren Breiten eine ganz andere Liga als viele tropische Länder. Aber das würde erfordern, dass sie eine internationale Zusammenarbeit haben, bei der manche Länder sagen, wir bauen keine eigenen Nahrungsmittel mehr an, sondern forsten auf, um den Klimawandel zu bekämpfen. Das ist einfach nicht realistisch.
Sie hatten an anderer Stelle bereits erwähnt, dass Kulturen schon wegen Bodenverlusts zusammengebrochen sind. Können Sie einmal erklären, welche das waren und was genau passiert ist? Vielleicht auch als mahnendes Beispiel.
Das waren zum Beispiel Inselkulturen, in denen die Menschen begrenzten Platz für ihre Ackertätigkeiten hatten. Die Osterinseln sind so ein Beispiel. Diese Regionen sind stark entwaldet worden, dann kamen noch Effekte wie klimatische Veränderungen dazu und diese Ressource Boden ist verloren gegangen.
Gibt es denn aktuell schon Regionen, wo sich diese Entwicklung abzeichnet?
Diese Entwicklungen sind sicherlich in tropischen Ländern mit sehr großen Gefahren für die Leute vor Ort verbunden. Tropische Böden sind oftmals nicht so tragfähig, nicht so lange nutzbar und auch nicht in der gleichen Weise, wie wir das in Europa machen. Dort tickt die Uhr sozusagen schon. Die Erträge könnten massiv runtergehen, falls sich weitere Sachen verändern, das Klima noch ein bisschen trockener wird oder einfach die Erosion weiter zunimmt.
Ist dieses Wissen denn schon so weit verbreitet, dass etwas unternommen wird?
Da gibt es eine Riesenlücke. Wann hat denn Deutschland sein bundesweites Bodenschutzgesetz bekommen? Das war Ende der 1990er-Jahre. In vielen Ländern spielt das gar keine Rolle. Also, natürlich ist den Leuten bewusst, dass sie Boden verlieren. Aber was sollen die machen? Die haben nicht die finanziellen Mittel und auch nicht die sozialen Sicherungssysteme, dass ein Landwirt sagen kann: Okay, ich bewirtschafte jetzt weniger Flächen, der Staat sorgt schon für mich.
Mit Sebastian Dötterl sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de