Effektive Wohltätigkeit "Spenden mit Einfluss auf EU-Gesetze sind wirksamer als Bäume"
26.12.2024, 20:24 Uhr
"Der Spendenmarkt ist aber furchtbar intransparent."
(Foto: picture alliance / juniors/wildlife)
2023 spenden die Menschen in Deutschland insgesamt 12,8 Milliarden Euro. Kann man falsch spenden? Oder zu wenig? Auf jeden Fall wirksamer, behauptet Sebastian Schienle. "Wählt man Themenfeld oder Hilfsorganisationen gut aus, kann man die Wirkung einer Spende verhundertfachen", erzählt der Mitgründer von Effektiv Spenden im "Klima-Labor" von ntv. Die Spendenplattform und -beratung finanziert sich selbst über Spenden und setzt auf wissenschaftliche Studien und Analysen, um die sinnvollsten Ziele für willige Geldgeber auszuwählen. Bedacht werden nicht nur die Bereiche Armut, Bildung und Gesundheit, sondern bewusst auch Organisationen, die im Zusammenspiel mit der Privatwirtschaft Einfluss auf Innovation, Technologie und Gesetzgebung nehmen wollen. Das Vorbild? Die deutsche Anschubfinanzierung der Solarindustrie vor 25 Jahren.
ntv.de: Kann man falsch oder zu wenig spenden?
Sebastian Schienle: Das wird schwierig, es geht ja um den Impuls. Eine Spende ist in jeder Hinsicht gut. Bei uns fangen sie ab 10 Euro an, darunter wird es kleinteilig. Durch die administrativen Kosten bleibt nicht mehr viel übrig.
Welchen Spendenbetrag nehmen die Deutschen üblicherweise in die Hand?
Wir erhalten Beträge im fünf- und sechsstelligen Bereich, einzelne Spender und Spenderinnen unterstützen unsere Arbeit auch mit Millionenspenden. Der mittlere Spendenbetrag liegt aber bei ungefähr 50 Euro. Häufig spenden diese Menschen aber mehrfach im Jahr oder richten sogar eine monatliche Spende ein, die automatisch vom Konto abgebucht wird.
Ein Spenden-Abo.
Genau. (lacht) Es hilft den Organisationen enorm bei der Planung, wenn die Spender bei der Stange bleiben. Die allermeisten Spenden gehen zum Jahresende ein. Bis dahin herrscht Unsicherheit.
Ihre Organisation heißt "Effektiv Spenden". Wen genau unterstützen Sie eigentlich?
Wir sind eine Plattform und Beratung. Uns geht es, wie der Name sagt, um möglichst wirksame Spenden. Je nachdem, wie man spendet, hat man einen enorm großen Hebel. Wählt man das Themenfeld oder die Hilfsorganisationen gut aus, kann man die Wirkung leicht verhundertfachen. Wir setzen uns auf Basis von wissenschaftlichen Studien und Analysen damit auseinander, welche Organisationen besonders wirksam sind, und empfehlen diese.
Gibt es dafür nicht Spendensiegel?
Die sind wichtig, zeigen aber eher, ob es sich um eine funktionierende und vertrauenswürdige Organisation handelt. Häufig werden Verwaltungskosten thematisiert, aber die sind letztlich nur eine Annäherung an das, worum es eigentlich geht. An vielen Stellen sind die Angaben tatsächlich eher irreführend.
Irreführend?
Verwaltungskosten sind nicht genau definiert und sagen wenig über die Leistung oder die Wirksamkeit einer Organisation aus. Natürlich sollte die Verwaltungskostenquote nicht zu hoch sein. Andererseits sagt sie nichts über die Qualität der Arbeit aus oder was damit erreicht wurde. Beim Handy-Kauf achtet auch niemand auf die Verwaltungskosten der Hersteller, sondern auf die Qualität und Funktionalität der Telefone. Beim Spenden ist es ähnlich, aber man erhält selten eine Rückmeldung, was mit dem Geld erreicht wurde. Deshalb werden die Verwaltungskosten herangezogen.
Wäre es dann nicht am sinnvollsten, das Tierheim um die Ecke zu unterstützen? Dort sieht man, wofür die Spende eingesetzt wird.
Wir konzentrieren uns bewusst auf wenige Themen, bei denen man besonders viel mit einer Spende bewirken kann. Im Gesundheitsbereich unterstützen wir etwa Moskitonetze, um Malaria zu verhindern. Das ist effektiver Schutz, der Leben rettet. Wir unterstützen auch Entwurmungstabletten. Die kosten wenige Cent pro Tablette. Ein Kind benötigt nur zwei im Jahr, um regelmäßig in die Schule gehen zu können. Das ist für die Bildung um ein Vielfaches wirksamer als andere Maßnahmen. Wir arbeiten auch im Tierschutz, allerdings mit einem Fokus auf die Nutztierhaltung. Das sind große Probleme, die wenig Beachtung finden, also eher vernachlässigt werden.
Nutztierhaltung?
Die allermeisten Spenden für den Tierschutz gehen tatsächlich an Tierheime. Es gibt weltweit aber viel mehr Nutztiere als Haustiere, und der einzelnen Kuh hilft keine Patenschaft. Wir empfehlen daher Organisationen, die auf systemische Veränderungen hinwirken, wie Nutztiere oder wie viele gehalten werden dürfen.
Über neue Gesetze?
Genau. Kampagnen, die auf Gesetzesinitiativen Einfluss nehmen oder auch in direkter Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Wenn man denen und auch den Mitarbeitern veranschaulichen kann, wie es den Tieren geht, führt das häufig zu einem Umdenken und Selbstverpflichtungen für höhere Standards. Im übertragenen Sinne geht es also nicht darum, irgendwo als Ausgleich einen Baum zu pflanzen, sondern das System und die Wirtschaft so zu verändern, dass Wälder gar nicht abgeholzt werden.
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Unternehmen sollen nicht in dubiose Projekte zum Aufforsten investieren, sondern neue Technologien, mit denen sie sauberer arbeiten können?
Die deutschen Investitionen und die Einspeisevergütung für die Solarindustrie sind ein schönes Beispiel. Rückblickend kann man aus deutscher Sicht sicherlich die Frage stellen, wie viel uns die Subventionen für Solarzellen Anfang der 2000er-Jahre gebracht haben. Gleichzeitig sind die Kosten für Solarzellen zwischen 2010 und 2020 um 90 Prozent gesunken. Diese extreme Reduktion kommt uns nicht nur in Deutschland zugute, sondern trägt weltweit zu einem unglaublichen Wachstum der Solarindustrie bei. Genau diesen Hebel suchen wir auch in anderen Bereichen.
Aber diese Entwicklung hat doch nicht aufgrund von Spenden stattgefunden, der Staat und Unternehmen haben investiert.
Das stimmt. Aber es gibt Organisationen, die genau diese Anknüpfungspunkte suchen, um gemeinsam mit der Politik Innovationen zu beschleunigen. Die stellen Informationen bereit oder bieten unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung an, damit solche Veränderungen stattfinden.
Also Lobbygruppen?
Vereinfacht gesagt, ja. Wobei der Begriff schwierig ist. Im Englischen spricht man von "Advocacy", das lässt sich mit "Anwaltschaft" übersetzen. Manchmal reden wir aber auch von "Lobbyarbeit für die gute Sache". Letztlich versuchen wir, die Interessen des Tier- oder Klimaschutzes im Austausch mit Regulierungsbehörden umfassend zu vertreten.
Das klingt verglichen mit einer Spende für ein Tierheim natürlich vage. Wird bei Ihnen wirklich gemessen, wie effektiv solche Spenden sind?
Das stimmt, es bleibt immer ein Stück Unsicherheit dabei. In unseren Analysen sind Fehlschläge aber eingepreist. Wenn man auf EU-Ebene Einfluss auf die Gesetzgebung im Bereich der erneuerbaren Energien nehmen kann, ist dieser Hebel immer größer, als eine Solarzelle zu installieren oder einen Baum zu pflanzen, selbst wenn nicht alle Ziele erreicht werden. Manchmal stellen dann auch Politiker mit Aussagen klare Verbindungen zu den Organisationen oder Gutachtern her, die wir unterstützen.
2023 haben die Menschen in Deutschland insgesamt 12,8 Milliarden Euro für gemeinnützige Zwecke gespendet. Die allermeisten spenden für Armut und Gesundheit. Auf diese Bereiche entfällt laut Sebastian Schienle auch bei Effektiv Spenden das meiste Geld. Klimaschutz oder Umweltschutz haben dagegen nur wenige Menschen auf dem Schirm: In Deutschland entfallen 3 Prozent der Spenden auf grünen Strom, den Schutz von Wäldern oder nachhaltige Landwirtschaft. Weltweit sind es 2 Prozent. Dennoch sind die Summen beachtlich: Stiftungen spenden weltweit jährlich etwa 5 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz, Privatpersonen geben weitere 5 und 10 Milliarden US-Dollar. Das meiste Geld erhalten wohltätige Organisationen in der Weihnachtszeit: Laut Sebastian Schienle gehen bei Effektiv Spenden zwischen dem 19. und 31. Dezember 28 Prozent aller Spenden ein.
Besteht nicht die Gefahr, dass sich große Philanthropen oder Milliardäre schlicht Einfluss auf die Gesetzgebung wichtiger Themen kaufen? So wie es Elon Musk in den USA macht.
Das ist richtig. Wir als gemeinnützige Organisation unterstützen aber selbst nur gemeinnützige Organisationen, die nicht per se politisch sind, auch wenn es wie ein Widerspruch klingt. Die Organisationen arbeiten fakten- und wissenschaftsbasiert daran, Emissionen zu reduzieren. Dafür sammeln wir Spenden und Unterstützer. Die Politik muss selbst entscheiden, was sie tut.
Wo kommen die Gelder denn her? Wer spendet bei Ihnen? Gehen Sie bewusst auf wohlhabende Menschen zu oder melden die sich von sich aus bei Ihnen?
Wir gehen selten auf Spender zu, sondern versuchen wie alle anderen Hilfsorganisationen, präsent zu sein. Großspender, die wir auch ausführlicher beraten, kommen in der Regel ebenfalls von sich aus auf uns zu oder aufgrund von Empfehlungen bestehender Spenderinnen und Spender.
Fragen Sie diese Großspender auch, warum sie unbedingt "effektiv" spenden wollen und nicht einfach bei großen und bekannten Organisationen? Die Auswahl ist ja riesig.
Absolut. Der Spendenmarkt ist aber furchtbar intransparent. Orientierung zu finden, ist schwer. Vielen Spenderinnen ist es aber wichtig, eine möglichst große Wirksamkeit zu erzielen. Man legt sein Erspartes ja auch so an, dass es eine möglichst hohe Rendite erzielt. Wo findet man Informationen dazu? Wir versuchen, basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Analysen zu helfen und Herz und Kopf zusammenzubringen.
Mit Sebastian Schienle sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de