Politik

Konfliktregion Südkaukasus "Armenien sollte Partner der EU sein, nicht Aserbaidschan"

Das von der iranischen Armee stammende Bild zeigt Soldaten Anfang Oktober bei einer Übung, unmittelbar an der Grenze zu Aserbaidschan.

Das von der iranischen Armee stammende Bild zeigt Soldaten Anfang Oktober bei einer Übung, unmittelbar an der Grenze zu Aserbaidschan.

(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)

Armenien gehört zur russisch dominierten Militärallianz, erhält von dieser aber keinen Schutz. Es hat außerdem ein gutes Verhältnis zum Iran, ist aber ein demokratisches Land. Mit Aserbaidschan ist Armenien verfeindet. Die EU will von dort mehr Gas beziehen. Stephan Malerius von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis erläutert die komplexen Konfliktlinien der Region.

ntv.de: Im Sommer hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Aserbaidschan vereinbart, dass das Land künftig doppelt so viel Gas nach Europa liefert wie bisher. Hat das Land seine Liefermenge seither erhöht?

Stephan Malerius: Nein, nicht signifikant. Aserbaidschan ist technisch nicht in der Lage, die Liefermenge zu verdoppeln.

Stephan Malerius leitet das Regionalprogramm Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis.

Stephan Malerius leitet das Regionalprogramm Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis.

Weil sie nicht genug Gas haben oder weil die Kapazität der Pipeline nicht ausreicht?

Das Volumen der Leitung wäre groß genug. Aber die Fördermenge kann nicht erhöht werden. Der britische Konzern BP, der an der Förderung von Gas in Aserbaidschan beteiligt ist, hat mitgeteilt, dass in dem größten Gasfeld Aserbaidschans die gewünschte Menge in absehbarer Zeit nicht gewonnen werden kann.

Aserbaidschan importiert selbst Gas über den Iran aus Turkmenistan, außerdem hat der aserbaidschanische Staatskonzern Socar im November mit Gazprom einen Vertrag über Gaslieferungen abgeschlossen. Warum ist Aserbaidschan als Gaslieferant für Europa interessant, wenn es selbst Gas importieren muss?

Dahinter steht eine längerfristige Perspektive. Es gibt Gasvorkommen im Kaspischen Meer, die man noch erschließen kann. Und dann ist da noch das zentralasiatische Gas. Für Europa ist vor allem die Lieferung von turkmenischem Gas über Aserbaidschan interessant.

Gazprom soll Aserbaidschan bis März eine Milliarde Kubikmeter Gas liefern. Kann ausgeschlossen werden, dass Aserbaidschan dieses russische Gas weiter nach Europa verkauft?

Das kann nicht ausgeschlossen werden. Wenn das Gas in Europa ankommt, kann nicht ermittelt werden, ob es russisches oder aserbaidschanisches Gas ist. Die Aserbaidschaner werden sich vermutlich auf die Position zurückziehen, dass sie russisches Gas für den eigenen Bedarf kaufen und weiterverkaufen, was nicht benötigt wird, um die gemachten Versprechungen zu bedienen. Aber natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung. Faktisch wird russisches Gas gekauft, um den Mehrbedarf Europas zu bedienen. So macht Europa sich nicht unabhängiger von russischem Gas.

Wie erklärt die EU diesen Umweg? Gasimporte aus Russland unterliegen ja nicht Sanktionen. Theoretisch könnte die EU dieses Gas direkt aus Russland beziehen.

Das will man nicht, man will ja unabhängiger werden von russischem Gas, und vor allem keine Lieferverträge mit Gazprom mehr unterhalten.

Ist das nicht ein bisschen verlogen?

Naja, als die Kommissionspräsidentin im Juli in Baku war, konnte sie noch davon ausgehen, dass es Aserbaidschan möglich sein würde, die Förderkapazitäten zu erhöhen.

Wie zuverlässig ist Aserbaidschan als Handelspartner überhaupt? Aserbaidschan ist bekannt für Bestechung und Geldwäsche, gerade in Richtung Europa.

Das ist richtig. Und ein zweiter Aspekt ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen: Aserbaidschan kann für Europa ein pragmatischer Partner, aber kein strategischer Partner sein. Es ist ein autoritär regiertes Land, das gegenüber dem Nachbarn Armenien sehr aggressiv auftritt. Erst im September ist Aserbaidschan in Armenien einmarschiert und hält bis heute armenisches Territorium besetzt. Und im Gegensatz zu Aserbaidschan ist Armenien ein demokratisch verfasstes Land. Wenn wir die Situation aus einer Werteperspektive betrachten, dann sollte Armenien ein Partner der EU sein, nicht Aserbaidschan. Armenien ist auch grundsätzlich an einer Annäherung an Europa interessiert. Die aserbaidschanische Führung dagegen will zwar Energieträger nach Europa verkaufen, sich aber nicht in Bereichen wie der Einhaltung demokratischer Standards an Europa annähern.

Welche Rolle spielt Russland in diesem Konflikt?

Die Position von Aserbaidschan in Bezug auf Russland ist sehr ambivalent. Russland hat über Jahre in großem Umfang Waffen an Aserbaidschan geliefert. Im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien 2020 und auch jetzt im September hat Russland sich zudem sehr zurückgehalten, was bemerkenswert ist, weil Armenien Mitglied der Organisation des Vertrags über die kollektive Sicherheit (OVKS) ist, einer russisch dominierten Militärallianz, der Aserbaidschan nicht angehört. Als Aserbaidschan Armenien angegriffen hat, wäre die Allianz verpflichtet gewesen, Armenien beizustehen. Armenien hat die OVKS auch um Hilfe gebeten, aber Russland hat nichts unternommen. Für Aserbaidschan ist dieses Verhalten Russlands sehr vorteilhaft.

Zugleich befinden sich seit dem Krieg von 2020 russische "Friedenstruppen" auf aserbaidschanischem Territorium. Die sind dort noch bis mindestens 2025 stationiert, sie versuchen, die Armenier in Bergkarabach - der von Armeniern bewohnten Region in Aserbaidschan - zu schützen. Zwischen den russischen Truppen und der aserbaidschanischen Armee gibt es eine konstant hohe Spannung.

Vor zwei Wochen hat ein Abgeordneter im Parlament von Baku vorgeschlagen, Aserbaidschan in "Nord-Aserbaidschan" umzubenennen. Was hat es damit auf sich?

Im Norden des Iran gibt es eine große aserbaidschanische Minderheit, zwei iranische Regionen heißen sogar West- und Ost-Aserbaidschan. Seit einigen Monaten gibt es massive Spannungen zwischen dem Iran und Aserbaidschan. Da geht es um verschiedene Dinge, unter anderem auch um die aserbaidschanische Minderheit. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew fordert sie immer mal wieder auf, sich zu überlegen, wohin sie gehören wollen - da werden also Sezessionstendenzen geschürt.

Der Iran und Armenien wiederum unterhalten gute Beziehungen. Zwischen beiden Ländern liegt eine etwa 60 Kilometer breite Grenze, die sowohl für Armenien als auch für den Iran sehr wichtig ist. Östlich dieser Grenze liegt Aserbaidschan, westlich davon die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan. Eine Landverbindung zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan gibt es nicht, Aserbaidschan möchte dort deshalb einen exterritorialen Korridor schaffen, der über armenisches Territorium verlaufen würde. Armenien und der Iran lehnen das strikt ab - der Iran hat gedroht, man werde dagegen vorgehen, wenn Aserbaidschan versucht, diesen Plan umzusetzen.

Eine Kriegsdrohung.

Erst im Oktober hat der Iran umfangreiche Militärmanöver an der Grenze zu Aserbaidschan veranstaltet. Es gibt dort einen Grenzfluss, den Aras, der nicht immer parallel zur Grenze verläuft, sondern mal auf iranischem, mal auf aserbaidschanischem Gebiet fließt. Dort hat der Iran das Übersetzen über den Fluss geübt. In der vergangenen Woche hat Aserbaidschan darauf mit einem Manöver geantwortet, zusammen mit der Türkei. Auch sie haben trainiert, den Aras zu überqueren. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Staatsmedien beider Länder sich nicht sehr aggressiv gegen den Nachbarn äußern und Gebietsansprüche geltend machen.

Wie kann die EU in einer solchen Region geostrategische Interessen geltend machen?

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Die Europäische Union ist keine "hard power", sie hat in solchen Konflikten nicht viel anzubieten. Was Europa hier machen kann, ist Diplomatie, und die ist auch durchaus schon klug eingesetzt worden. EU-Ratspräsident Charles Michel hat beim Gipfel in Prag im Oktober den armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan und den aserbaidschanischen Präsidenten Alijew zu einem Gespräch zusammengebracht. Danach hat die EU für zwei Monate eine Beobachtermission an die armenische Grenze geschickt. Die haben auch als eine Art Schutzschild für Armenien gegenüber erneuten Aggressionen aus Aserbaidschan fungiert. Der Konflikt ist damit nicht gelöst, aber das ist durchaus als Erfolg zu werten.

Mit Stephan Malerius sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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