Politik

Georgiens Botschafter bei ntv.de "Wir müssen täglich mit Provokationen rechnen"

Bei einem Besuch in Georgien 2019 schauten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender mit Ferngläsern von georgischer Seite ins von Russland kontrollierte Südossetien, das völkerrechtlich zu Georgien gehört.

Bei einem Besuch in Georgien 2019 schauten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender mit Ferngläsern von georgischer Seite ins von Russland kontrollierte Südossetien, das völkerrechtlich zu Georgien gehört.

(Foto: picture alliance/dpa)

Georgien betrachtet den Krieg gegen die Ukraine "als Fortsetzung der Aggression, die wir schon seit 2008 erleben", sagt der georgische Botschafter Levan Izoria im Interview mit ntv.de. Sein Land strebt die Mitgliedschaft in der EU und der NATO an; Deutschland stand hier bislang eher auf der Bremse. Um diese Themen dürfte es auch gehen, wenn an diesem Mittwoch der georgische Ministerpräsident Irakli Garibashvili nach Berlin kommt. Garibashvili komme "auch mit der Absicht, wichtige politische Signale zu setzen", sagt Botschafter Izoria.

ntv.de: Herr Botschafter, Georgien im Südkaukasus und Deutschland trennen gut 3500 Kilometer. Wie intensiv sind die Beziehungen zwischen zwei so weit voneinander entfernten Ländern?

Levan Izoria: Sie sind durchaus eng. In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen. Während dieser Zeit hat Deutschland Georgien auf allen Gebieten - Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung - aktiv unterstützt. Besonders möchte ich die Unterstützung der Souveränität und der territorialen Integrität Georgiens unterstreichen. Nicht nur bilateral, sondern auch im Rahmen der Östlichen Partnerschaft [einem Projekt der Europäischen Union] hat Deutschland uns auf dem Weg zur EU-Integration nach besten Kräften zur Seite gestanden.

Prof. Dr. Levan Izoria ist Botschafter von Georgien in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war er Chef des georgischen Nachrichtendienstes und, von 2016 bis 2019, Verteidigungsminister seines Landes.

Prof. Dr. Levan Izoria ist Botschafter von Georgien in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war er Chef des georgischen Nachrichtendienstes und, von 2016 bis 2019, Verteidigungsminister seines Landes.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wie steht es um die Wirtschaftskooperation?

Die EU ist unser wichtigster Handelspartner, Deutschland nimmt Platz 8 ein. Georgien exportiert vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse. Wir haben aber auch Ambitionen im Energiebereich. Vor kurzem ist Entwicklungsministerin Svenja Schulze nach Georgien gereist, um sich ein Bild davon zu machen, wie die bilaterale Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien und Energieeffizienz vorangetrieben werden kann. Dieser Besuch war auch europapolitisch wichtig, als Teil der geostrategischen Neuausrichtung der EU, die momentan alternative Energieversorgungswege erforscht.

Trotz des Potenzials bei erneuerbaren Energiequellen und Wasserstoff muss Ihr Land aktuell immer noch Energie importieren. Woher stammen die Energielieferungen?

Es besteht eine strategische Partnerschaft mit Aserbaidschan. Gas und teilweise Öl beziehen wir von hier. Der Strom wird zum Teil vor Ort erzeugt.

Es heißt, die kaspischen Anrainerstaaten, allen voran Aserbaidschan und Kasachstan, prüfen gegenwärtig alternative Transportrouten für ihre bislang durch Russland laufenden Öl- und Gaslieferungen nach Europa. Was ist Ihnen über diese Vorhaben bekannt, wovon auch Georgien profitieren würde?

Wir sind bereit, uns als Transitland anzubieten. Seit Mai 2006 wird durch die Südkaukasus-Pipeline das aserbaidschanische Gas über Georgien in die Türkei transportiert. Im selben Jahr wurde die Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan in Betrieb genommen. Wir wollen aber auch weitere Kapazitäten erschließen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war kürzlich in Baku, um zusätzliche Gasimporte zu vereinbaren. Doch für höhere Liefermengen braucht man eine Infrastruktur. Die neue Konnektivität zwischen Zentralasien, dem Kaspischen Raum, Südkaukasus und Europa geht nur mit mehreren Partnern. Es gibt bereits Vorhaben wie das "Green Ports"-Projekt der OSZE, an dem Deutschland auch beteiligt war. Wir hoffen, dass hier bald konkrete Schritte folgen.

Europäische Integration und NATO-Beitritt sind in der georgischen Verfassung verankert. Beim Gipfeltreffen der EU im Juni wurde Ihr Aufnahmegesuch jedoch abgelehnt - im Gegensatz zur Ukraine und Republik Moldau - und Reformen angemahnt. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?

Zunächst ist es nicht korrekt, von der Ablehnung des Aufnahmegesuchs zu sprechen. Im Gegenteil: Die Entscheidung des Europäischen Rates hat für Georgien die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft eröffnet. Ursprünglich war die Antragstellung für 2024 geplant. Aufgrund der veränderten geopolitischen Lage haben wir uns jedoch für einen früheren Zeitpunkt entschieden und am 3. März, kurz nach der Ukraine, den Antrag gestellt. Übrigens hat die georgische Regierung dieses Ziel bereits vor den letzten Wahlen verkündet. Obwohl uns der Status eines Bewerberlandes momentan fehlt, haben wir zum ersten Mal in der Geschichte eine eindeutige EU-Perspektive. Für Georgien ist es ein großer Erfolg. Diese Entscheidung der EU wissen wir sehr zu schätzen, wenngleich ich der Meinung bin, dass Georgien den Kandidatenstatus sehr wohl verdient hätte. Im Übrigen haben alle drei Länder Empfehlungen bekommen. Georgien ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Wir wollen aber alles von uns Abhängige tun und die in der Stellungnahme der EU-Kommission genannten Punkte angehen.

Können Sie einen Zusammenhang zwischen dem russisch-georgischen Krieg 2008 und dem von Moskau gegen die Ukraine gegenwärtig geführten Krieg erkennen?

Den Krieg in der Ukraine betrachten wir als Fortsetzung der Aggression, die wir schon seit 2008 erleben. Seitdem sind in den georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien russische Truppen stationiert. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine waren es 10.000 Mann. Dort sind Militärstützpunkte mit modernen Waffen, 50 Kilometer vor der Hauptstadt. Diese Gebiete sind vom Rest des Landes abgeschottet. Die Lage ist zurzeit relativ stabil, aber wir müssen täglich mit Provokationen rechnen.

In von seinen Truppen kontrollierten Gebieten pflegt Russland russische Pässe in der Bevölkerung zu verteilen. Welches Kalkül steckt Ihrer Meinung nach dahinter?

Sie haben auch bei uns russische Pässe verteilt, wie es Russland üblicherweise macht, wenn es die Absicht hat, die Okkupation und eine anschließende Annexion eines Landes zu rechtfertigen. Man schafft künstlich einen Bevölkerungskreis, der für den russischen Einfluss empfänglich ist. Sind diese Personen einmal russische Staatsbürger, hat man einen Vorwand, diese Gruppe, auch mit militärischen Mitteln, verteidigen und dieses Vorgehen rechtfertigen zu können. Am Ende geht es darum, diese Gebiete in die Russische Föderation aufzunehmen. In Südossetien gab es im Mai Meldungen über Pläne, ein Referendum über die Aufnahme in die Russische Föderation noch im Sommer abzuhalten. Diese Abstimmung wurde verschoben, aber für die Zukunft kann man es nicht ausschließen.

Wie reagiert Ihre Regierung auf derartige Provokationen?

Wir setzen ausschließlich auf friedliche Lösungen und wollen die Menschen in erster Linie mittels positiver Anreize überzeugen, das heißt durch wirtschaftliche Erfolge, rechtsstaatliche Entwicklung, kurzum alles, was ein Land attraktiv zum Leben macht. Der EU-Beitritt gehört auch dazu.

Welche Verteidigungsstrategie verfolgt die georgische Staatsführung, um vor Aggressionen Ihres russischen Großnachbarn im Norden sicher zu sein?

Georgien ist ein Partner und Aspirant der NATO. Das strategische Ziel des NATO-Beitritts bestimmt unsere nationale Entwicklung. Wir betrachten dieses Bündnis nicht nur von der militärischen Seite. Es ist eine Triebkraft für politische Entwicklungen wie demokratische Institutionen, Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte. Wir sind schon heute ein zuverlässiger Partner der NATO und waren Teil verschiedener internationaler Missionen. In Afghanistan waren wir zum Beispiel mit 870 Soldaten vertreten, was für ein kleines Land wie Georgien ein beachtliches Kontingent ist.

Kommen wir zum EU-Beitrittsprozess zurück. Die EU-Kommission gab zwölf Empfehlungen heraus. Erst wenn diese Anforderungen erfüllt sind, kann Georgien mit einem Kandidatenstatus rechnen. Gibt es hier schon konkrete Fortschritte und einen Zeitplan für die einzelnen Aktivitäten?

Die georgische Regierung nimmt die EU-Aufgaben ernst. Die zuständigen Parlamentsausschüsse haben kurz nach Bekanntgabe der Empfehlungen fünf Arbeitsgruppen gebildet, darunter für parlamentarische Kontrolle, für Wahlrechts- und Justizreform - hier besonders hinsichtlich der Wahl des Generalstaatsanwalts - Korruptionsbekämpfung und Deoligarchisierung. In den Arbeitsgruppen sollten Abgeordnete aus allen im Parlament vertretenen, darunter auch oppositionellen, Parteien und NGOs beteiligt sein, soweit die Vorgabe. Leider haben manche Vertreter der Opposition die Mitarbeit abgelehnt und wollen lieber an eigenen Projekten arbeiten. Es ist schade, denn die EU-Kommission will gemeinsam erzielte Ergebnisse sehen. Mit dem maßgeblichen Teil der Arbeit wollen wir bis zum Jahresende fertig sein und spätestens im nächsten Jahr alles abschließen.

Stehen denn die meisten Menschen noch hinter dem europäischen Projekt? Wie wichtig bleibt die Beitrittsperspektive?

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es keine Stimmen in Georgien, die ernsthaft die Orientierung des Landes zum Westen in Frage gestellt haben. Praktisch 85 Prozent der Bevölkerung sind für die EU-Integration, etwa 75 befürworten den NATO-Beitritt. Übrigens hat die Regierungspartei auch mit diesen Themen die letzten Wahlen gewonnen. Wenn der georgische Ministerpräsident Irakli Garibashvili wie geplant am 14. September Deutschland einen offiziellen Besuch abstattet, dann auch mit der Absicht, wichtige politische Signale zu setzen. Wir sind Teil Europas. 2023 ist Georgien Partnerland der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Wir wollen hier an die Erfahrungen der Frankfurter Buchmesse anknüpfen, wo Georgien 2018 Ehrengast war. Die ITB ist für uns eine ideale Gelegenheit, unser Land, seine Geschichte, Kultur, auch georgischen Wein, der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, der Welt vorzustellen.

Mit Levan Izoria sprach Svetlana Alexeeva

Quelle: ntv.de

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