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Auf dem Weg zur Kanzlerschaft Söder hält Merz in der Schwebe

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CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Friedrich Merz bei einem gemeinsamen Auftritt in München am 30. Juni 2023.

CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Friedrich Merz bei einem gemeinsamen Auftritt in München am 30. Juni 2023.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Bei der Union heißt es immer, der CDU-Chef habe das automatische Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. Damit sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Friedrich Merz den Job übernimmt. Ist es aber nicht. Das liegt auch an Markus Söder.

Angesichts der katastrophalen Lage der Koalition fällt ein wenig unter den Tisch, dass auch die Union derzeit ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen kann. In der CDU läuft eine Art verdeckter Machtkampf, an dem sich auch CSU-Chef Markus Söder beteiligt.

Obwohl Merz seit knapp zwei Jahren sowohl die Partei als auch die gemeinsame Fraktion von CDU und CSU führt, ist in der Union nicht ausgemacht, dass er Kanzlerkandidat wird. Selbst im Falle einer Neuwahl, bei der Parteien rasch festlegen müssten, wer für sie in den Wahlkampf zieht, sieht Söder Merz nur als wahrscheinlichste, nicht als sichere Lösung: "Er wäre bei einer schnellen Entscheidung sicher der Favorit", sagte Söder dem "Stern".

Das Interview gibt einigen Aufschluss über die innere Verfasstheit der Union. "Friedrich Merz und ich sind uns einig: Neuwahlen wären der fairste Weg", sagt Söder darin. Die Forderung kam allerdings nicht von beiden gemeinsam, sondern erst vom CSU-Chef - Merz schloss sich ihr nur an.

Merz macht es, wenn er es will - eigentlich

Grundsätzlich gilt der Satz, der CDU-Vorsitzende habe automatisch das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur der Union, auch wenn das in der Praxis nicht immer so einfach durchsetzbar war. 2021 etwa, als CDU-Chef Armin Laschet sich nur mit Mühe gegen Söder durchsetzen konnte. In der Geschichte der Bundesrepublik wich die Union nur drei Mal von dem Grundsatz ab, den CDU-Vorsitzenden zum Kanzlerkandidaten zu machen: 1965, als Ludwig Erhard Kanzlerkandidat der Union war, sowie 1980 und 2002, als die Union den CSU-Chef - beim ersten Mal Franz Josef Strauß, beim zweiten Mal Edmund Stoiber - ins Rennen schickte.

Das zeigt, eigentlich müsste die Sache klar sein: Merz macht es, wenn er es will. Dass er es will, daran gibt es keinen Zweifel. Das alles weiß auch Söder. "Ein Partei- und Fraktionsvorsitzender ist grundsätzlich immer in der Poleposition", sagt er. Aber warum ist Merz nur in der Poleposition, warum ist er nur "Favorit" und nicht automatisch designierter Kanzlerkandidat?

Merz hat gesagt, er wolle, dass im Spätsommer 2024 über die Kanzlerkandidatur entschieden werde, wobei unklar blieb, ob er die Zeit vor oder nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland meint. Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt, am 22. September in Brandenburg. Aus heutiger Sicht wird es vermutlich in keinem der drei Bundesländer einen durchschlagenden Erfolg der CDU geben. In Thüringen liefert sich die Union ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Linken um Platz zwei hinter der AfD, eine Mehrheit für eine funktionierende Landesregierung ist dort nach wie vor nicht in Sicht. In Sachsen ist die CDU immerhin klar auf Platz zwei, ebenfalls hinter der AfD, wäre nach aktuellem Stand aber weiterhin auf mindestens zwei Parteien angewiesen, um eine Regierung zu bilden. In Brandenburg sieht die Sache nur insofern besser aus, als die CDU dort hofft, an der SPD vorbeizuziehen und künftig den Ministerpräsidenten zu stellen. Bislang reicht es dafür in keiner Umfrage.

Für Merz wäre der September nicht von Vorteil

Dass Merz die Landtagswahlen als Rückenwind ansieht, mit dem er in die Kanzlerkandidatur und dann weiter in den Bundestagswahlkampf segelt, ist wenig wahrscheinlich. Wenn Söder vorschlägt, wie im August geschehen, die Festlegung auf den Kanzlerkandidaten auf die Zeit nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland zu verschieben, dann könnte er damit einen Hintergedanken verbinden - und keinen, der gut für Merz wäre.

Natürlich fehlt es im Interview nicht an Lob für Merz: "Friedrich Merz macht seine Sache sehr gut. Wir arbeiten bestens zusammen." Die Zusammenarbeit mit ihm sei "wirklich gut". "Von den drei CDU-Vorsitzenden, die ich als CSU-Chef erlebt habe, ist er derjenige mit den größten Gemeinsamkeiten." Dabei fällt auf: Söder bindet Lob für Merz immer an sich selbst, an die Zusammenarbeit oder die Gemeinsamkeiten. Auf die Frage, ob er mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst nicht besser auskomme, antwortet er, mit Wüst sei er seit Jahren befreundet. "Wir verstehen uns hervorragend. Aber darum geht es nicht. Die Kernfrage bei der Kanzlerkandidatur lautet: Wer kann die Stimmen der Union am stärksten bündeln? Danach muss die CDU sich entscheiden."

Erst an diesem Dienstag zeigte das RTL/ntv-Trendbarometer, dass die Antwort auf Söders Kernfrage zumindest nicht eindeutig auf Merz hinausläuft. In einer hypothetischen Zweierkonstellation, in der die Deutschen nur die Wahl zwischen Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz hätten, kommt der SPD-Amtsinhaber auf 36 Prozent. Nur 32 Prozent sagen, sie würden Merz wählen, obwohl die Union in der Sonntagsfrage nach wie vor sehr viel besser abschneidet als die SPD. Zudem zeigt die Umfrage erneut, dass Scholz bei den Anhängern seiner Partei besser ankommt als Merz bei den Anhängern von CDU und CSU: 86 Prozent der SPD-Anhänger würden sich für den Amtsinhaber entscheiden, wenn sie die Wahl zwischen Scholz und Merz hätten. Von den Unionsanhängern würden sich nur 66 Prozent für Merz entscheiden.

Den Klempner-Fehler hätte Söder nicht gemacht

Kanzler kann man mit solchen Umfragewerten werden, das hat Scholz 2021 bewiesen. Aber auch Kanzlerkandidat? "Wir treten hier nicht für einen Ferienjob an", sagt Söder im "Stern". Er sagt "wir", obwohl nach der Kanzlerschaft gefragt worden war und betont, eine "Option als Kanzlerkandidat" biete sich einem CSU-Vorsitzenden "höchstens einmal im Leben". "Es ist wie beim Elfmeterschießen: Wem kann man den letzten Elfmeter anvertrauen? Das ist das Holz, aus dem Politiker geschnitzt sein müssen - egal, ob sie Ministerpräsident sind oder Kanzler werden wollen."

Genau das ist die Frage: Kann die Union einem Mann den letzten Elfmeter anvertrauen, der den Kanzler im Bundestag als "Klempner der Macht" beschimpft und damit nicht Scholz beleidigt, sondern Zehntausende Handwerker? Söder sagt dem "Stern" dazu, Klempner sei ein ehrbarer Beruf. Soll heißen: Er hätte so etwas nicht gesagt.

Dabei sind solche Ausrutscher bei Merz keine Seltenheit. Selbst die "Bild"-Zeitung titelte schon, in einem anderen Zusammenhang: "Merz mit neuem Peinlich-Patzer". Auch Bemerkungen wie die über Asylbewerber, die sich "die Zähne neu machen" ließen, während "die deutschen Bürger nebendran" keine Termine bekämen, waren mindestens erklärungsbedürftig.

Merz als Kanzler einer schwarz-roten Koalition - wirklich?

Solche "Patzer" zeigen zudem häufig, dass Merz die Unterstützung der Unionsministerpräsidenten nur in Grenzen sicher hat. Es ist ja nicht nur Söder, auch Wüst und der schleswig-holsteinische Regierungschef Daniel Günther signalisieren immer wieder gern, wie unabhängig sie sind. Das gilt, nicht nur bei der Debatte um die Schuldenbremse, ebenso für Michael Kretschmer (Sachsen), Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) und Kai Wegner (Berlin), wobei keiner von denen als potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt wird. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein tat Merz immerhin den Gefallen, die Koalition mit den Grünen zu beenden.

Genau hier liegt allerdings ein weiteres Problem für Merz: Wie Söder setzt er ausdrücklich auf eine Koalition mit der SPD, um die Ampel abzulösen. Diese Konstellation war schon unter Bundeskanzlerin Angela Merkel schwierig und weder bei der Union noch bei der SPD wirklich beliebt. Zudem ist das Verhältnis zwischen Merz und Scholz denkbar schlecht. Kaum vorstellbar, dass die beiden nach einer Bundestagswahl vertrauensvoll besprechen, wie ihre Parteien künftig zusammenarbeiten. Natürlich ist Schwarz-Rot aktuell die wahrscheinlichste nächste Koalition. Aber wäre sie erfolgreich, mit Merz an der Spitze, bei all den Antipathien in der SPD, die er auslöst und verstärkt?

Kurzum: Merz ist als Kanzlerkandidat der Union alles andere als gesetzt. Söder weiß das und tut nichts, um das zu ändern. Das kann am Ende ihm selbst nutzen - aber auch einem anderen.

Quelle: ntv.de

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