Kai Wegner im Interview Berliner Bürgermeister: "Ich will die Olympischen Spiele nach Berlin holen"
03.10.2025, 07:59 Uhr Artikel anhören
Kai Wegner möchte gern weiter regieren in der Hauptstadt.
(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Noch ein knappes Jahr, dann wird in Berlin gewählt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, spricht über die Stadt, aber auch das, was neben Verkehr, Vergabe und Verwaltung die Gemüter beunruhigt. Wie es momentan in den Bürgerämtern aussieht, er seinen Umfragenvorsprung halten will und was er von Olympia in Berlin hält, erzählt er ausführlich im Interview mit ntv.de. Das ist nicht immer sexy, aber dennoch gut so.
ntv.de: "Kai Wegner wirkt wie ein Ruhepol im aufgeregten Berliner Politik-Betrieb" habe ich letztens gelesen - ist doch auch mal schön, so etwas zu hören, oder?

"Wir müssen die Politik interessanter gestalten, zum Mitarbeiten anregen." (Wegner bei der Eröffnung der Installation "Silivri - Prison Of Thought" vor dem Roten Rathaus, benannt nach dem riesigen Gefängniskomplex westlich von Istanbul.)
(Foto: dpa)
Kai Wegner: Wichtig in der Politik ist es, Ruhe zu bewahren. Die Dinge wirken zu lassen, die unterschiedlichen Anforderungen auszugleichen, nicht immer gleich loszurennen. Meine Art ist es eher, mir alles anzuschauen, mit möglichst vielen Beteiligten zu sprechen und dann eine Entscheidung zu treffen. Wenn ich also als Ruhepol wahrgenommen werde, fühle ich mich gut wiedergegeben.
Bob Hanning, Handball-Manager der Berliner Füchse, hat kürzlich bei einer Veranstaltung beklagt, dass nicht mehr viele Verantwortung übernehmen wollen - sehen Sie das ähnlich?
Da ist etwas Wahres dran, vor allem in der Politik. Ich frage mich oft, wie wir Menschen dazu bekommen könnten, sich in Parteien zu engagieren, und dann letztlich auch Verantwortung zu übernehmen. Wie heißt es so schön: "Machen ist wie wollen, nur krasser." Wir müssen reden. Und zuhören. Als ich jung war, konnte ich die Argumente meines Gegenübers oft nicht nachvollziehen. Später dachte ich in solchen Gesprächen häufig: 'Stell' dir vor, der dir gegenüber sitzt, könnte auch recht haben!' Das muss die Gesellschaft lernen, denn es geht um unseren Zusammenhalt, um die Stärkung der Demokratie.
Sie haben schon früh Verantwortung übernommen ...
... das stimmt. Und ich habe auch immer klar gesagt, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verantwortung übernehmen sollen. Jeder Mitarbeiter kann sich darauf verlassen, dass ich hinter ihm stehe, auch, wenn Fehler passieren. Über Fehler kann man reden. Gut, wenn ein Fehler viermal passiert, wäre es natürlich nicht ideal (lacht). Trotzdem: Verantwortung kann keiner allein übernehmen und einer muss vorn stehen. Das mache ich als Regierender Bürgermeister gern. Aber erfolgreich kann man nur sein, wenn man die Verantwortung auf viele Schultern verteilt.
Sie sind bereits 1989 in die Junge Union eingetreten ...
... als Eberhard Diepgen abgewählt und Walter Momper für die SPD Regierender Bürgermeister wurde. In einer Koalition mit den Grünen, der damaligen Alternativen Liste. Die waren damals anders als heute (lacht). Ich wollte damals nicht - um es mal zugespitzt zu sagen - dass Hausbesetzer und Steineschmeißer meine Stadt regieren. Eigentlich hatte ich 1990/91 keine Zeit für Politik, doch dann bin ich in die Junge Union eingetreten. Ich habe damals, als 17-Jähriger, gern diskutiert. Wir haben Schülerzeitungen gemacht, Ausflüge organisiert, auch gefeiert - also sind meine Freunde ebenfalls eingetreten. Ich sah, dass man etwas verändern kann.
Bei der Bundeswehr waren Sie auch ...
Mir ist klar, dass dieser Schritt für einen Berliner ungewöhnlich war. Aber wir waren einer der ersten Jahrgänge, 1993, der wieder den Wehrdienst bei der Bundeswehr antreten musste. Ich wollte das auch. Es war die Phase, in der ich überlegt habe, welche Richtung ich einschlagen soll. Und da hat mir die Grundausbildung zunächst geholfen. Später war es nicht mehr so spannend, aber ich möchte diese Zeit nicht missen. Wir brauchen angesichts der aktuellen Lage eine gut ausgerüstete und ausgebildete Armee. Ob das jedoch Wehrpflichtige gewährleisten können, da habe ich meine Zweifel.

"Der klassische Wehrdienst, wie ich ihn damals erlebt habe, den würde ich nicht mehr wollen." (Wegner im August 2024 beim Flugplatzfest in Gatow.)
(Foto: IMAGO/Sabine Gudath)
Der Umfragevorsprung der CDU in Berlin ist solide, Ausruhen ist dennoch nicht angesagt …
2019 stand die Berliner CDU in Umfragen bei 17 Prozent und war zerstritten. 2023 kamen wir bei der Wiederholungswahl auf 28 Prozent. Jetzt starte ich nach den jüngsten Umfragen mit 25 Prozent. Wir haben viel vor uns, aber auch schon viel erreicht. Die Verwaltungsreform hat mir niemand zugetraut, sie ist nach 25 Jahren Diskussion nun beschlossen und tritt am 1. Januar 2026 in Kraft. Wir setzen sie Schritt für Schritt um. Die Bürgerämter funktionieren, und es gibt problemlos Termine für die Berlinerinnen und Berliner. Nach jahrelangen Diskussionen in der Bildung kommen wir auch in diesem Bereich voran, wir haben die Vorschule wieder eingeführt und bilden mehr Lehrerinnen und Lehrer aus.
Was gilt es im Jahr vor der Wahl noch zu klären?
Ich möchte das Versammlungsfreiheitsgesetz ändern. Das derzeitige Gesetz gibt uns kaum Möglichkeiten, etwa Demonstrationen zu unterbinden, bei denen zu Antisemitismus, Hass oder Gewalt gegen Einsatzkräfte aufgerufen wird. Das will und muss ich ändern.
Dann zum ÖPNV und den leidigen Baustellen in der Stadt ...
Wir müssen im öffentlichen Nahverkehr zu mehr Verlässlichkeit kommen. Und vollkommen richtig: Die endlosen Baustellen nerven. Man sieht bei vielen Baustellen keinen einzigen Bauarbeiter. Auch ich habe für diese Geisterbaustellen kein Verständnis. Deswegen werden wir die Stelle eines Baustellenkoordinators schaffen, der gegen solche Baustellen vorgeht. Außerdem entwickeln wir gerade ein Baustellenumfahrungssystem, das gibt es in anderen Ländern schließlich auch. An anderen Stellen sind unsere Erfolge bereits sichtbar, wie am Abriss der Ringbahnbrücke an der A100 im Berliner Westen. Das ging deutlich schneller, als so mancher erwartet hat. Das ist das neue Berliner Tempo. Die Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur wollen wir möglichst schnell verbauen.
Eine Baustelle, die vielleicht keine mehr ist: die bereits erwähnten Bürgerämter.
Unsere Bürgerämter funktionieren wieder: Es sind sehr viele Termine frei, schauen Sie mal (Ann.: Wegner öffnet seine App), viele blaue Kästchen, also freie Termine. Wir beobachten das seit März, seit den Sommerferien läuft es richtig gut. (Er schaut nochmal auf die App.) Da sind noch Dutzende Termine täglich, weil wir hundert neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und außerdem einen Springerpool mit 20 Mitarbeitern eingeführt haben. Das mobile Bürgeramt ist auch ein sehr attraktives Angebot. Für viele Anliegen können Sie einfach in ein Bürgeramt gehen, ohne Termin.

"Berlin hat eine tolle Clubkultur - aber der Heimweg muss sich auch sicher anfühlen", sagt Kai Wegner. Zum Beispiel im Bus ...
(Foto: dpa)
Noch ein knappes Jahr Wahlkampf ...
Zur Wahl im September 2026 muss man sich zunächst fragen: Wollen wir Rückschritt oder Fortschritt? Rot-Grün-Rot wurde 2023 abgewählt - und das hatte Gründe. Mir ist bewusst, dass die Linken unsere stärksten Mitbewerber sein werden. Wenn man auf dem pragmatischen Kurs der Mitte bleiben möchte, dann sollte man sich für die CDU entscheiden.
Berlin ist eine relativ junge Stadt - wie wollen Sie die junge Wählerschaft erreichen?
Die Linke war früher einmal die Stimme der Ost-Berliner, der Ostdeutschen. Diese Zeit ist vorbei, diese Linke gibt es so nicht mehr. Die Linke, gerade in Berlin, hat sich radikalisiert und weist eindeutig antisemitische Tendenzen auf. Das macht mir große Sorgen. Linken-Politiker befördern regelmäßig Misstrauen gegen unsere Polizei - manchmal geht es sogar in Richtung Hass. Währenddessen hofieren sie Hamas-Unterstützer auf ihren Festen. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Das ist auch nicht harmlos. Und die jungen Leute, die früher die Grünen gewählt haben, wählen jetzt häufig Linke oder AfD. Beide Parteien sind extrem - und auch extrem auf Social Media unterwegs. Dort erreichen sie die jungen Menschen über TikTok und Instagram - weniger mit Inhalten, eher mit Emotionen. Es stimmt, wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die jungen Menschen besser erreichen, denn die Politik der Mitte darf sie nicht den linken und rechten Populisten und Radikalen überlassen. Im Gegenteil: Ich will Perspektiven schaffen. Wir brauchen Wohnraum, Ausbildungsplätze und Sicherheit.

Wegner: "Die CDU steht für pragmatisches, lösungsorientiertes Regieren aus der Mitte der Gesellschaft heraus." (Hier bei der Eröffnung des Harald-Juhnke-Platzes in Charlottenburg.)
(Foto: dpa)
Das Thema Sicherheit in Berlin ist groß. Gibt es No-Go-Areas in Berlin?
Nein, No-Go-Areas gibt es in Berlin nicht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Rot-Grün-Rot die Sicherheit bewusst vernachlässigt hat. Das hat sich jetzt geändert. Im Bereich der inneren Sicherheit haben wir inzwischen die Polizei deutlich gestärkt, nachdem wir das Polizeigesetz verschärft haben. Die zweite Novelle des Polizeigesetzes wird noch in diesem Jahr beschlossen. Berlin bekommt damit das konsequenteste Polizeigesetz in ganz Deutschland. Und vor allem deutlich mehr Möglichkeiten, für Sicherheit in der Hauptstadt zu sorgen: mehr Präsenz, Messerverbotszonen und ein generelles Messerverbot im Öffentlichen Personennahverkehr. Aber auch das muss allen klar sein: Hundertprozentige Sicherheit kann es in einer Metropole wie Berlin leider nicht geben.
Ein Thema, das eher unsexy klingt: die Verwaltungsreform ...
Für die Verwaltungsreform haben wir einen Zeitrahmen vor der Sommerpause beschlossen: Sie tritt am 1. Januar 2026 in Kraft, mit klaren Zuständigkeiten und einer starken gesamtstädtischen Steuerung. Mir war wichtig, die Verwaltungsreform auch in der Landesverfassung zu verankern. Das war notwendig, damit die Verwaltungsreform auch für die kommenden Generationen wirkt.
Außerdem erstellen wir gerade den Aufgabenkatalog mit rund 4500 Aufgaben der Berliner Verwaltung - darunter 800 Aufgaben, für die bisher keiner zuständig war. Aber auch die haben wir jetzt zu 90 Prozent zugeordnet. Auch haben wir beschlossen, dass nach den Koalitionsverhandlungen bestimmte Politikbereiche wie Energie nicht mehr nach Gutdünken auseinandergerissen werden dürfen. Von dieser Reform werden die BerlinerInnen profitieren.
Die Reform des Vergaberechts für Berlin - Sie fordern eine Flexibilisierung nach Brandenburger Vorbild.
Das Vergaberecht muss dringend reformiert werden: Wir haben 5,3 Milliarden Euro aus dem Bundessondervermögen zur Verfügung, doch die Vergabe dauert derzeit viel zu lange. Sie ist zu bürokratisch und zu kompliziert. Wenn sich Firmen nicht mehr um öffentliche Aufträge bewerben wollen, dann läuft etwas sehr schief.
Bleiben Sie dabei, dass Olympia nach Berlin kommen soll?
Ja! Ich möchte, dass wir die Olympischen und Paralympischen Spiele spätestens in den 2040er-Jahren nach Berlin holen, sie sind eine große Chance für Berlin und den Nordosten Deutschlands. Dass wir sportliche Großveranstaltungen können, hat das Marathon-Wochenende wieder gezeigt. Jedes Jahr denke ich übrigens, dass ich beim nächsten Mal mitlaufen möchte (lacht). Aber ich finde es dann noch schöner, die Läuferinnen und Läufer im Ziel in Empfang zu nehmen.
Wir bewerben uns mit starken Partnern um Olympia - mit Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Wir wollen die Spiele vor allem auch dafür nutzen, nachhaltige Investitionen im Bereich der Stadtentwicklung, des Wohnens und der Sportinfrastruktur herbeizuführen.
35 Jahre Deutsche Einheit sind ein Grund zum Feiern, oder?
Ja, und sie verpflichten uns dazu, für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu sorgen. Wir danken den mutigen Menschen und Bürgerrechtlern, die die Mauer am 9. November 1989 zum Einsturz gebracht und damit die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ermöglicht haben. Aber wir stehen in Deutschland vor großen Herausforderungen - angesichts der globalen Krisen, des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der leider zunehmenden Spaltung in unserer Gesellschaft. Wir müssen um unsere Demokratie, um Freiheit und unsere Werte kämpfen - und uns jeden Tag für ein friedliches Miteinander einsetzen.
Drohnen über Polen, Kampfjets über der Ostsee, tagelanger Stromausfall in Teilen Berlins, die Cyber-Attacke auf den BER und andere europäische Flughäfen - Sie haben das als Angriffe auf unsere Sicherheit eingestuft.
Die Bedrohung ist tatsächlich größer als in den vergangenen Jahren. Ich bin im engen Austausch mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Bundeskanzler Friedrich Merz, denn wir müssen die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit in Deutschland ausbauen und unsere Resilienz stärken. Wir müssen mit aller Kraft dafür arbeiten, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine endet - und zwar auf diplomatischem Weg. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.
Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kyiv, war gerade bei Ihnen in Berlin ...
Ich habe Vitali Klitschko in den vergangenen drei Jahren schon öfter getroffen. Auch dieses Mal war es ein emotionales und konstruktives Treffen. Wir unterstützen Kyiv sehr, etwa beim Aufbau des Prothesenzentrums. Es war mir ein großes Anliegen, zwei Städtepartnerschaften für das Land Berlin zu schließen: eine mit Tel Aviv, die andere mit Kyiv. Berlin ist die Stadt der Freiheit - und wir bekennen uns wie diese beiden Städte klar zur Freiheit.
Mit Kai Wegner sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de