Politik

Fünf Wege zur Regierungsbildung Berlins muntere Farbenspiele gehen jetzt erst los

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Wer wird's? Giffey, Jarasch oder Wegner?

(Foto: picture alliance/dpa)

Wegner, Giffey oder gar doch noch Jarasch? Am Tag nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl ist vollkommen offen, wer mit wem künftig die Hauptstadt regieren soll. Fest steht nur: Der Wahlsieger CDU hat es nicht in der Hand, künftig den Regierenden Bürgermeister zu stellen.

Der bittersüße Wahlsieg von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat auch am Morgen nach dem Sensationsergebnis von 28,2 Prozent noch keinen angenehmeren Geschmack bekommen. Zumindest nicht für die Berliner Christdemokraten, die die Bildung eines von Wegner geführten Berliner Senats nicht in der eigenen Hand haben. Zwar stellt die CDU in drei von fünf denkbaren Szenarien zur Regierungsbildung den neuen Regierenden Bürgermeister. Doch dass das Rote Rathaus in schwarze Hand gerät, ist eben nicht die wahrscheinlichste Option.

1. Wird Jarasch doch noch Zweite?

Der denkbar knappe 105-Stimmen-Vorsprung der SPD auf die Grünen bringt sehr viel Unwägbarkeiten mit sich. Bis Ende der Woche will Landeswahlleiter Stephan Bröchler angesichts des engen Ergebnisses über eine Neuauszählung entscheiden. Hernach könnte der SPD-Vorsprung größer ausfallen oder ganz dahin sein. Passiert Letzteres, werden die Grünen selbst den Anspruch erheben, künftig eine Regierungskoalition mit SPD und Linkspartei anzuführen. Ob sich die SPD unter Giffey darauf einließe, ist aber fraglich. Als Juniorpartner der CDU hätte sie Aussicht auf mehr Posten, auf mehr eigene Positionen im Koalitionsvertrag und die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey liebäugelte im Wahlkampf ohnehin mit anderen Partnern als Linkspartei und Grünen.

Andererseits ist Giffeys Position in der Berliner SPD - sie ist nicht nur Regierungschefin, sondern auch Co-Parteivorsitzende - akut gefährdet, wenn die SPD auf den dritten Platz abrutschen sollte und damit definitiv das Rote Rathaus verliert. Wie sich eine SPD nach Giffey positionieren würde, zur Juniorrolle unter CDU oder Grünen, ist vollkommen offen.

2. Kommt die Große Koalition wieder?

In den vergangenen Jahrzehnten war sie eine der häufigsten Regierungskonstellationen, jetzt wird sie weder im Bund noch in einem der 16 Bundesländer mehr praktiziert: die Große Koalition aus CDU und SPD. Das Wahlergebnis könnte dem vermeintlichen Auslaufmodell ein Comeback ebnen. Kai Wegner braucht einen Koalitionspartner, will er endlich im dritten Anlauf Regierender Bürgermeister werden. Dafür wäre er wohl auch bereit, große Zugeständnisse zu machen. Die meisten inhaltlichen Schnittmengen gibt es noch mit der SPD.

Giffey trägt den Weiterbau der Bundesautobahn A100 durch die Stadt mit und lehnt ebenso wie Wegner die Enteignung von Wohnungskonzernen ab, wozu ein Volksentscheid den Senat verpflichtet hat. Die CDU muss der SPD eine Zusammenarbeit so schmackhaft wie irgendmöglich machen, damit die nicht einfach mit Rot-Grün-Rot weitermacht. Das könnte am ehesten passieren, wenn die Sozialdemokraten doch noch auf Platz drei abrutschen, ist aber selbst dann nicht zwingend.

3. Regiert erstmals Schwarz-Grün?

Hamburg und Hessen haben es vorgemacht: Unter Umständen können die Grünen sich auch zum Juniorpartner der CDU machen. Doch dafür braucht es auf beiden Seiten schon sehr viel Kompromissbereitschaft. Wegners Trumpf: Nachdem die Grünen fast gleichauf mit der SPD liegen, forderte Jarasch für eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot einen Umgang auf Augenhöhe. Das Verhältnis von Jarasch und Giffey ist distanziert. Giffey neigt zudem dazu, sehr deutlich zu machen, wer Regierende Bürgermeisterin ist und wer Senator.

Sollte die SPD den Grünen also nicht entgegenkommen, wäre der Flirt mit der CDU zumindest ein Druckmittel für die Grünen. Aber kein besonders glaubwürdiges: Wegner wie Jarasch haben vor und nach der Wahl deutlich gemacht, dass sie ihre Verkehrspolitik nicht der Gegenseite anzupassen gedenken. Die CDU will dem Pkw-Verkehr wieder Vorfahrt einräumen in der Stadt, die Grünen wollen die Pkw Stück für Stück aus der City verdrängen, indem das Autofahren immer unattraktiver wird. Ein Kompromiss allein in dieser Frage ist eigentlich nur nach dem Konsum gewisser Substanzen aus dem Görlitzer Park vorstellbar. Auch bei den Themen Wohnen, Sicherheit und Migration passt es eigentlich nicht zwischen Schwarz und Grün.

4. Die "Koalition der Verlierer" macht weiter

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247.458 Stimmen weniger als vor eineinhalb Jahren haben SPD, Grüne und Linkspartei am Sonntag eingesammelt, während die CDU 99.513 Stimmen hinzugewann und nun rund zehn Prozentpunkte vor SPD und Grünen liegt. Dass Giffeys Senat abgewählt worden sei, wie CDU-Politiker seit dem Abend in jedes Mikrofon sprechen, scheint durch diese Zahlen belegt. Aber dennoch kommen die Parteien zusammen weiterhin auf eine stabile Mehrheit, und mit dem Regieren haben sie gerade erst angefangen. Nun könnten sie die insgesamt fünfjährige Legislaturperiode zu Ende bringen und den Koalitionsvertrag abarbeiten. Die Linke will mangels Alternativen sowieso weitermachen.

Für Giffey ist Rot-Grün-Rot die einzige Option, ihren Schreibtisch im Roten Rathaus nicht nach 13 Monaten wieder auszuräumen. Und die Grünen hätten - egal, ob Platz zwei oder drei - wohl Schwierigkeiten, den eigenen Mitgliedern zu erklären, wie mit der CDU grünere Politik möglich sein soll als mit SPD und Linken. Da kann CDU-Generalsekretär Mario Czaja bei ntv noch so viel an den "Anstand" der drei Parteien appellieren und vor einer "Koalition der Verlierer" warnen: Es läuft stark auf eine Fortsetzung des Bündnisses hinaus. Auch wenn Giffey und die SPD es nicht einfacher haben werden mit den mächtigen Bezirken, die sie reihenweise an CDU, Grüne und AfD verloren haben.

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Die unwahrscheinlichste aller Optionen entstammt dem Reich der Arithmetik und der Fantasie, ist aber durchaus überlegenswert. In dem Fünf-Parteien-Parlament kommen die drei Kräfte der politischen Mitte - CDU, SPD und Grüne - zusammen auf 75 Prozent. Sie hätten damit eine verfassungsgebende Mehrheit und könnten in Berlins ewigem Reformstau gordische Knoten zerschlagen, insbesondere bei der Neuregelung der Zuständigkeiten von Stadt und Bezirken. Das schlägt auch Lorenz Maroldt vor, der Chefredakteur des Berliner "Tagesspiegel". Allen anderen Koalitionsoptionen fehle die nötige Kraft und auch die Zeit, angesichts der nur noch dreieinhalb Jahre währenden Legislaturperiode.

"Eine solche Koalition wäre von Beginn an ein Bündnis auf Zeit, mit einer klaren Priorität, der sich alles andere für die nächsten 36 Monate unterordnet", schreibt Maroldt. Berlin könne ein echtes Signal des Aufbruchs senden, Gemeinsamkeiten stärken und so die besorgniserregend schlechte Stimmung in der Stadt überwunden werden. Dass es so weit kommt, zeichnet sich derzeit null ab. Sollten sich aber die hier aufgezählten Koalitionsoptionen 1 bis 4 zerschlagen, könnte die historische Premiere einer Wahlwiederholung auf Landesebene noch ein zweites Novum hervorbringen.

Quelle: ntv.de

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