Über Land und zu Wasser Das plant die EU für den ukrainischen Getreideexport


5,5 Tonnen ukrainisches Getreide kann die EU monatlich über ihr Gebiet exportieren.
(Foto: picture alliance / AA)
Russland attackiert Donauhäfen, Polen sperrt sich gegen den Import von ukrainischem Getreide. Dennoch gelingt es der EU bislang, einen Großteil von Kiews Agrar-Erzeugnissen durch ihr Gebiet zu exportieren. Diese Möglichkeiten für neue oder verbesserte Transportwege werden diskutiert.
Nach der russischen Blockade der Schwarzmeer-Häfen ist die Ukraine mehr denn je auf die Europäische Union angewiesen, um ihr Getreide zu exportieren. Im Mai vergangenen Jahres hat die EU gemeinsam mit ihren Mitgliedsstaaten, Moldau und verschiedenen Finanzinstitutionen sogenannte Solidaritätskorridore ins Leben gerufen, um Kiew beim Transport zu helfen. 60 Prozent der ukrainischen Getreideausfuhren wurden nach EU-Angaben bislang über diesen Weg abgewickelt. Um den Transfer weiter zu verbessern, fördert die EU-Kommission mehrere Projekte, wobei zusätzliche Fahrspuren gebaut, die Hafenstruktur an der Donau angepasst sowie die Kapazität von Speichern erhöht werden soll, wie eine Kommissions-Sprecherin auf Anfrage von ntv.de mitteilt.
Insgesamt wird für die Pläne eine Milliarde Euro mobilisiert, wobei die Kommission die Hälfte der Kosten übernimmt. Allerdings sorgen mehrere Faktoren dafür, dass die EU noch nicht weiß, ob sie den ukrainischen Getreideexport erhöhen kann. Momentan geht die Kommission laut Sprecherin eher von einem Rückgang in den kommenden zwölf Monaten aus. Dann sollen monatlich im Durchschnitt etwa 4,5 Millionen Tonnen transportiert werden, gegenüber 5,5 Millionen Tonnen, die momentan die Korridore passieren.
Eines der größten Probleme sind zurzeit die russischen Attacken. Die Truppen des Kremls schießen gezielt auf ukrainische Häfen, Getreidesilos und Lagerhäuser. Dabei nehmen sie verstärkt das Donau-Delta, ein wichtiger Bestandteil der Solidaritätskorridore, ins Visier. Anfang August etwa beschoss Moskau die ukrainische Hafenstadt Ismajil gegenüber dem rumänischen Donau-Ufer. Durch solche Angriffe wird die Ausweichroute für Getreideausfuhren über den Fluss via Rumänien erheblich beeinträchtigt.
Kein Geld im EU-Haushalt für weitere Förderung
Die Attacken haben seit dem 17. Juli zugenommen. An diesem Tag hatte sich der russische Präsident Wladimir Putin geweigert, das internationale Getreideabkommen zu verlängern, das den Export ukrainischer Agrar-Erzeugnisse durch Häfen am Schwarzen Meer ermöglichte. Er verlangt bessere Konditionen für seine eigenen Lebensmittel- und Düngemittelexporte, die allerdings von internationalen Finanzsanktionen ausgenommen sind.
Da der Kreml den Beschuss wohl nicht so schnell einstellen wird, weiß noch niemand, welche Schäden und Kosten er damit noch verursacht. Über die bereits bewilligten Gelder hinaus könne die EU keine weiteren Mittel für den Transport ukrainischen Getreides bereitstellen, da sie im aktuellen Haushalt keine Gelder dafür vorgesehen habe, sagt Norbert Lins, Vorsitzender des Agrar-Ausschusses des Europäischen Parlaments. Der CDU-Politiker appelliert deshalb an die Kommission, eine "Koalition der willigen EU-Mitgliedsstaaten" für die weitere Finanzierung zu finden. Zu den Plänen gehört auch, europäische Häfen zu ertüchtigen. "Der Hafen von Constanta in Rumänien hätte hier mit Abstand die höchste Priorität", sagt Lins. Zudem müsse der Hafen von Varna in Bulgarien sowie der Hafen von Danzig in Polen geprüft werden.
Das sind laut Lins die Routen in der EU, die man für den ukrainischen Getreideexport entweder aufbauen oder erweitern könnte:
- Über die baltischen Staaten: "Der lettische Landwirtschaftsminister Didzis Smits versicherte, dass die baltischen Häfen diese Umschlagkapazitäten bearbeiten könnten. Die Herausforderung besteht jedoch darin, die Ware zwischen den Zügen zu verladen, da der Schienenverkehr unterschiedliche Spurweiten hat. Wegen erneuter russischer Angriffe an Donauhäfen wäre dieser Korridor eine hilfreiche Unterstützung, um den Exportfluss aufrechtzuerhalten. Lettland bekräftigte seine Solidarität, indem es eine alternative Route einrichten wird."
- Über Kroatien: "Die Außenminister aus Kroatien und der Ukraine haben sich geeinigt, dass die Häfen an der Adria für den Export genutzt werden sollen. Weizen und Co. sollen hierbei über die Donau nach Kroatien exportiert und danach mit dem Schienenverkehr zur Küste gebracht werden."
- Über Rumänien und das Donau-Delta: "Durch die Bombardierung Russlands muss inspiziert werden, wie groß der Aufwand für einen Wiederaufbau der Infrastruktur wäre. Es sollte jedoch über den Landweg über Rumänien und den Donaukanal weiterhin möglich sein, diesen Korridor effektiv zu nutzen."
- Über Bulgarien: "Die Ukraine führt Gespräche mit Bulgarien, um weitere Optionen für den Export zu erschließen."
- Über die Slowakei oder Ungarn
- Über Polen
Polen fürchtet um seine Bauern
Polen stellt sich jedoch in der EU quer, was den ukrainischen Getreideexport angeht. Der polnische Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski kündigte an, auch über den 15. September hinaus kein ukrainisches Getreide ins Land lassen. Bis zu dem Tag haben Polen sowie die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien mit Zustimmung aus Brüssel ihre Märkte für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen aus der Ukraine gesperrt.
Unberührt von dem Importstopp ist der Transit ukrainischer Agrarprodukte in Drittländer. Allerdings war auf dem Weg anfangs so viel Getreide in Polen geblieben und hatte die Preise dort verfallen lassen, dass die Bauern im Frühjahr protestierten. Wenn die EU-Regelung nicht verlängert werde, werde Polen sie eigenständig fortführen, wurde Kaczynski von der polnischen Agentur PAP zitiert.
Auf die Weigerung Warschaus reagierte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer seiner allabendlichen Videobotschaft Ende Juli erzürnt. Die Beschränkungen für ungarische Getreideexporte müssten am 15. September auch wirklich enden, sagte er. "Jede Verlängerung dieser Einschränkungen ist absolut inakzeptabel und klar nicht europäisch", so Selenskyj.
Auf EU-Ebene wird momentan an einer Lösung gearbeitet, um Polen und die anderen östlichen Mitgliedsstaaten zu besänftigen. Möglicherweise könne ukrainisches Getreide verplombt durch die Anrainerstaaten bis zu Häfen im Baltikum geschickt werden, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. So kann sichergestellt werden, dass die Lieferungen nicht in den Transitstaaten verkauft werden. Lins findet den Vorschlag sinnvoll. "Eine Garantie für den Transit ist die Antwort", sagt er.
Quelle: ntv.de