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Ordentliche Bilanz der Ampel? Der Frust hat gute Gründe

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Es ist nicht so, dass die Ampelkoalition nicht versuchen würde, die Krisen zu bekämpfen - aber es bleibt viel Grund zum Frust.

Es ist nicht so, dass die Ampelkoalition nicht versuchen würde, die Krisen zu bekämpfen - aber es bleibt viel Grund zum Frust.

(Foto: IMAGO/Political-Moments)

Eine Bertelsmann-Studie bescheinigt der Ampelkoalition eine ordentliche Bilanz. 80 Prozent der Deutschen meinen dagegen Umfragen zufolge das Gegenteil. Das ist mit Gründen erklärbar, die in der Studie außen vor bleiben.

Überraschung in Berlin: Die Ampelkoalition wurde gelobt. Eine Bertelsmann-Studie stellt der Regierung aus SPD, Grünen und FDP ein gutes Zeugnis aus. Immerhin 38 Prozent der Wahlversprechen seien schon eingelöst, heißt es darin. Das Autorenteam schaute sich an, was im Koalitionsvertrag steht und verglich es mit dem, was bereits umgesetzt wurde. Eines der Ergebnisse: Von 453 Versprechen wurden 174 bereits erfüllt. Das wurde als gutes Ergebnis interpretiert.

Das kam durchaus überraschend, denn zugleich sind die Umfragewerte der Koalition im Keller. Die Ampelparteien kommen im neuen Trendbarometer von RTL und ntv zusammen nur noch auf 37 Prozent. Und nur noch knapp 20 Prozent sprechen zumindest einer der drei Regierungsparteien politische Kompetenz zu. Was ist da los? Ist die Ampel eigentlich super, nur die Menschen sind nicht in der Lage, es zu erkennen? Ganz so ist es natürlich nicht und das wird in der Studie auch nicht behauptet. Die hat ihre Stärken, aber auch ihre Grenzen - und für den Frust vieler Bürger gibt es klar benennbare Gründe.

Zunächst zur Studie: Es ergibt Sinn, zu messen, wie viele Versprechen bereits umgesetzt wurden. So entsteht eine Zahlenbasis, aufgrund derer sich auch die Arbeit von Vorgängerregierungen vergleichen lässt. Doch mehr als eine Momentaufnahme ist das nicht. Wenn ich weiß, dass 174 Versprechen umgesetzt wurden, weiß ich noch nicht, welches Gewicht diese Projekte hatten. Die Zahl wirft Fragen auf: Welches dieser Versprechen war denn eher groß, welches klein? Wie wichtig sind diese Versprechen?

Dass die Regierung das umsetzt, was sie sich vornimmt, ist zunächst einmal selbstverständlich oder sollte es zumindest sein. Für die Menschen, die beim nächsten Mal wählen gehen, sind andere Fragen wichtiger: Finde ich die große Bürgergeldreform richtig? Halte ich das neue Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften für sinnvoll? Bin ich für eine Kindergrundsicherung in dieser Form - ohne Leistungserhöhungen? Und glaube ich, dass das neue Heizungsgesetz richtig gut geworden ist, wie es Vertreter der Ampel beteuern? Oder auch: Wie halte ich es mit Waffenlieferungen an die Ukraine?

Viele Leistungen stehen gar nicht im Koalitionsvertrag

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein gutes Beispiel für die begrenzte Aussagekraft der Studie - zumindest wenn der Koalitionsvertrag der Ausgangspunkt ist. Der Krieg hatte damals im Herbst 2021 noch gar nicht begonnen. Dementsprechend stand auch von entscheidenden Ampel-Taten, darunter einige Erfolge, nichts in dem Papier: Etwa, dass die Ampel der Ukraine Waffen liefert. Dass die Bundeswehr ein Sondervermögen bekommt. Dass im ungeahnten "Deutschlandtempo" Flüssiggasterminals gebaut wurden. Dass die Regierung einen Gasmangel im vergangenen Winter abgewendet hat - was natürlich auch dank der Disziplin von Verbrauchern und Unternehmen möglich wurde. Dass mit der geplanten Intel-Fabrik in Sachsen-Anhalt - dank immenser Subventionen - die größte Nachkriegsinvestition Europas nach Deutschland kommt.

Angesichts dieser Ergebnisse kann man der Ampel durchaus eine ordentliche Bilanz attestieren. Dass ihr Ansehen dennoch im Keller ist, während die AfD sich im Umfragehoch sonnt, hat andere Gründe. Der ständige Streit ist nur einer davon - wenn auch ein wichtiger, wie ein weiteres Trendbarometer zeigte. Aber es geht um mehr als die Außendarstellung. Es gibt handfeste Fakten, die für schlechte Stimmung sorgen: Inflation, Migration, die Wohnungsfrage sowie die drohende Rezession - um nur einige zu nennen.

Die hohe Inflation, insbesondere die hohen Energie- und Lebensmittelpreise, spürt jeder an der Kasse, an der Zapfsäule und am monatlichen Gas-Abschlag. Es ist nicht so, dass die Regierung nichts dagegen getan hätte. Sie steuerte mit der Gas- und Strompreisbremse dagegen und ermöglichte es Unternehmen, steuerfrei einen Inflationsausgleich von 1500 Euro zu zahlen. Hinzu kamen Einmalzahlungen, die besonders Familien halfen, oder auch der Tankrabatt in Verbindung mit dem 9-Euro-Ticket, aus dem das Deutschlandticket hervorging. Aber die Inflation ist immer noch da und schmerzt die Menschen - erst recht wenn man bedenkt, dass 40 Prozent der Menschen in Deutschland praktisch keine Rücklagen haben und das Geld spätestens am Monatsende, wenn nicht davor, alle ist. Das Frustpotenzial ist einfach groß.

Anfang August sprachen sich im Trendbarometer 70 Prozent für eine strengere Migrationspolitik aus. Insbesondere der Zuzug von Migranten aus anderen Ländern als der Ukraine sorgte für Hilferufe aus den Kommunen. Besonderes Frustpotenzial bergen die Probleme bei den Abschiebungen, die nur selten gelingen. Denn damit wird ein sensibler Punkt berührt: Dass der Staat in diesen Fällen nicht in der Lage ist, seine eigenen Regeln durchzusetzen.

Dass laut Trendbarometer rund 60 Prozent der Deutschen der Politik keine Lösung der politischen Probleme zutrauen, zeigt wie groß der Frust ist. Das liegt auch daran, dass Inflation und Migration vor allem auf EU-Ebene bekämpft werden können. Da tut sich zwar etwas: Neue Regeln für die Außengrenzen wurden beschlossen und die Leitzinsen steigen, um die Teuerung einzudämmen. Doch bis sich etwas ändert, können Monate oder gar Jahre vergehen. Die steigenden Zinsen führen derweil dazu, dass sich immer weniger Familien ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung kaufen können. Die Mieten steigen derweil vor allem in den Ballungsräumen weiter. Im Wahlkampf hatte Scholz noch versprochen, dass pro Jahr 400.000 Wohnungen gebaut werden. Das wird nicht zu halten sein.

Mit der Gesamtsituation unzufrieden

Zugleich gibt die drohende Rezession Grund zur Sorge. Durch den Wegfall des russischen Pipeline-Gases ist das Geschäftsmodell zumindest von Teilen der Industrie in Gefahr. Droht die Deindustrialisierung? Auch hier hat die Regierung etwa getan: Sie hat gerade erst das Wachstumschancengesetz auf den Weg gebracht und im vergangenen Jahr den Ausbau von Wind- und Solarkraft massiv vereinfacht und vorangetrieben. Aber reicht das? Und auch hier gilt: Effekte, beispielsweise sinkende Strompreise, könnten Jahre auf sich warten lassen.

Vielleicht ist es auch ganz einfach so: Viele Deutsche sind mit der Gesamtsituation unzufrieden. Denn da sind ja auch noch verspätete Züge, zu wenig Facharzttermine, zu wenig Kitaplätze, Fachkräftemangel oder auch horrende Pflegekosten. Und nicht einmal die Fußball-Nationalmannschaft sorgt noch für Stimmungsaufhellung - weder die der Damen und erst recht nicht die der Herren.

Ob man der Regierung nun eine gute oder eine schlechte Bilanz attestiert, bleibt Ansichtssache. Man kann ihr aber zugestehen, dass sie es versucht. Mal ist die Außenwirkung sehr gut ("Deutschlandtempo"), mal ist sie miserabel (Heizungsgesetz). Eine Studie, die misst, wieviel Versprechen umgesetzt wurden, ist dabei ein Mosaikstein für die Wählerinnen und Wähler, sich eine eigene Meinung zu bilden - nicht mehr und nicht weniger.

Quelle: ntv.de

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