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Krisentreffen im Kanzleramt Die vielen Zerwürfnisse zwischen Scholz und Macron

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Krise? Welche Krise? Offiziell ist alles in Ordnung, als Scholz Macron heute vor dem Kanzleramt begrüßt.

Krise? Welche Krise? Offiziell ist alles in Ordnung, als Scholz Macron heute vor dem Kanzleramt begrüßt.

(Foto: REUTERS)

Zwischen Deutschland und Frankreich läuft es schon lange nicht mehr rund, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Während sich Olaf Scholz als "Friedenskanzler" inszenieren lässt, hat Emmanuel Macron eine ganz andere Wandlung durchlaufen.

Vor dem heutigen Gipfel des sogenannten Weimarer Dreiecks aus Deutschland, Frankreich und Polen kommen Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron im Kanzleramt zusammen. Zu besprechen gibt es einiges, denn zwischen Berlin und Paris fliegen seit Wochen die Fetzen, wenn auch diplomatisch verbrämt.

Offiziell leugnen sowohl die französische als auch die deutsche Regierung, dass es ein Zerwürfnis zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gibt. "Es gibt keinen deutsch-französischen Konflikt, wir sind uns bei 80 Prozent der Themen einig", sagte der französische Außenminister Stéphane Séjourné Anfang März der Zeitung "Le Monde".

Noch euphorischer äußerte sich Scholz über sein Verhältnis zu "Emmanuel". Am Mittwoch wurde er im Bundestag auf sein Verhältnis zu Macron angesprochen. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagte, französische Staatspräsidenten und Bundeskanzler beziehungsweise die Bundeskanzlerin hätten es stets vermieden, sich in der Öffentlichkeit zu widersprechen. "Das ist leider in den letzten Monaten anders geworden", merkte Hardt an und fragte, ob dies ein Ausrutscher gewesen sei oder ein Strategiewechsel. Scholz entgegnete, er verstehe die "Frage nicht ganz". Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sei sehr intensiv. "Und Emmanuel und ich werden uns am Freitag wieder in Berlin treffen. Das ist vielleicht ein Ausdruck dafür, dass alles, was Sie hier unterstellt haben, gar nicht stimmt."

Zwei Stunden für Scholz und Macron

Es stimmt allerdings doch, deshalb ist sein heutiges Treffen mit Macron ein veritables Krisentreffen. Um 12.00 Uhr empfängt Scholz den Staatspräsidenten, um 14.00 Uhr kommt später der polnische Ministerpräsident Donald Tusk dazu, am Nachmittag soll es einen gemeinsamen Auftritt der drei vor der Presse geben. Zwei Stunden also für Scholz und Macron, sich zumindest auf eine gemeinsame Sprachregelung zu einigen.

Das ist überfällig, denn seit Monaten gibt es zwischen den beiden so unterschiedlichen Politikern eine ganze Reihe von Streitpunkten - vor allem, wenn es um die Ukraine geht. Beim letzten Treffen in Paris wurde das Zerwürfnis öffentlich aufgeführt. So dachte Macron laut darüber nach, dass man die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschließen solle. Was möglicherweise nur eine strategische Überlegung war, wurde von Scholz auf eine Art zurückgewiesen, als stehe die Entsendung von NATO-Truppen kurz bevor.

Macron wiederum kritisierte kaum verhüllt die deutsche Weigerung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, was aus der Bundesregierung regelmäßig mit dem Hinweis gekontert wird, Frankreich liefere im Vergleich zu Deutschland viel weniger. Auch ganz generell ist man in der Bundesregierung irritiert von Macron, der mehr rede als handele, wie es gelegentlich heißt. Das gilt umgekehrt indessen auch: Nicht nur das kategorische Taurus-Nein des Kanzlers stößt in Frankreich auf Unverständnis, man nimmt dort auch wahr, dass sich Scholz seit einiger Zeit von seiner SPD als "Friedenskanzler" inszenieren lässt.

"Schlafsäcke und Helme"

Missfallen erregte in Paris wohl auch, dass Scholz öffentlich darüber sprach, dass Großbritannien und Frankreich am Einsatz ihrer Marschflugkörper Storm Shadow und SCALP beteiligt seien - ein offenes Geheimnis, das man als Regierungschef eines NATO-Staats besser unerwähnt lässt. Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace polterte im britischen "Standard", Scholz habe mit seinem Verhalten gezeigt, dass er "der falsche Mann am falschen Ort zur falschen Zeit" sei.

Solche Reaktionen gab es aus Frankreich nicht. Dafür fielen andere Sätze, die deutlich machten, was Macron vom Bundeskanzler hält. Beim Treffen in Paris hatte der französische Präsident über jene gelästert, "die heute 'niemals, niemals' sagen". Das seien häufig dieselben, die vor zwei Jahren "niemals Panzer, niemals Flugzeuge, niemals Mittelstreckenraketen" gesagt hätten. Ohne Länder oder Politiker namentlich zu erwähnen, fügte Macron hinzu: "Ich erinnere daran, dass einige aus dieser Runde gesagt haben, sie werden Schlafsäcke und Helme anbieten." Scholz saß dabei neben ihm.

Noch kurz vor seinem Abflug nach Berlin gab Macron ein TV-Interview, in dem er sagte, nötig seien "Entschlossenheit, Wille und Mut" und auch der Einsatz von Bodentruppen sei eine Option. Nach einer Analyse der Zeitschrift "Le Figaro" zeigt dieses Interview den radikalen Wandel von Macron Haltung zu Russland. Noch zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hatte Macron gesagt, Russland dürfe nicht gedemütigt werden.

So funktioniert strategische Ambiguität nicht

Heute klingt Macron völlig anders: "Die Sicherheit Europas und der Franzosen steht in der Ukraine auf dem Spiel", sagte er in dem Fernsehinterview. "Wenn Russland gewinnt, ändert sich das Leben der Franzosen und die Glaubwürdigkeit Europas wird auf null reduziert. Wer kann sich vorstellen, dass Wladimir Putin da [in der Ukraine] aufhört?" Bis dahin könnte Scholz sicherlich mitgehen, nicht aber bei dem Satz, man dürfe keine roten Linien setzen. "Wenn Russland seine Eskalation fortsetzt, wenn sich die Situation verschlechtern sollte, müssen wir bereit sein und wir werden bereit sein", sagte Macron. "Wir werden bereit sein, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, damit Russland niemals gewinnt."

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Während SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Bundestag Besonnenheit anmahnt und Scholz betont, Besonnenheit sei "nicht etwas, was man als Schwäche qualifizieren kann", sagt Macron, man dürfe nicht "schwach" sein, um Frieden in der Ukraine zu erreichen. Man tritt beiden Seiten vermutlich nicht zu nahe, wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine Mischung aus Überzeugungen und innenpolitischen Erwägungen handelt. Die Politologin Liana Fix warf beiden vor, um die Führung in Europa zu spielen.

Aus Sicht des französischen Präsidenten ist offenbar ein Strategiewechsel nötig: "Es gibt eine Eskalation seitens Russlands und wir müssen sagen, dass wir bereit sind zu reagieren", sagte er den Sendern TF1 und France 2. Der Sicherheitsexperte Carlo Masala hatte schon nach Macrons erstem Vorstoß darauf hingewiesen, ein solches Vorgehen sei strategische Ambiguität: "Lass den Gegner darüber im Unklaren, was du zu tun bereit bist", statt ihm zu sagen, "was du definitiv nicht machen wirst". Strategische Ambiguität gegen Russland funktioniert allerdings nur, wenn die Verbündeten geschlossen auftreten. Das ist bisher eindeutig nicht der Fall.

Quelle: ntv.de

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