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"Lieber Norbert" Was weiß Scholz? Was weiß Röttgen?

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Scholz in der Regierungsbefragung, in der es vor allem um den Taurus geht. Hinter ihm: Verteidigungsminister Pistorius.

Scholz in der Regierungsbefragung, in der es vor allem um den Taurus geht. Hinter ihm: Verteidigungsminister Pistorius.

(Foto: dpa)

Im Bundestag will die CDU wissen, warum Olaf Scholz der Ukraine den Taurus verweigert. Die Diskussion wird hitzig, Scholz fällt sogar ins Du. Aber so richtig weiß man auch nach den vielen Antworten nicht, was Scholz' Gründe sind.

Auch nach einer langen Stunde, in der Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag gelöchert wird, ist unklar, warum genau er der Ukraine den Marschflugkörper Taurus verweigert. Scholz wird in der sogenannten Regierungsbefragung immer wieder vehement, wenn Unionspolitiker ihm Widersprüche vorhalten. Klarheit bleibt er schuldig.

Höhepunkt der Debatte ist Scholz' Antwort auf eine Frage des CDU-Außenexperten Norbert Röttgen. Der liest dem Kanzler vor, was dieser am 4. März bei einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern in Baden-Württemberg gesagt hatte: "Das, was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden." Scholz sprach dort zudem davon, dass es nicht zu einer "Kriegsbeteiligung" Deutschlands kommen dürfe.

Für Röttgen wirft das die Frage auf, ob Scholz "der völkerrechtlichen Auffassung" sei, dass Frankreich und Großbritannien Kriegsbeteiligte geworden seien. "Wenn Sie diese Frage verneinen, stellt sich die Anschlussfrage, warum Sie die Gefahr sehen, dass Deutschland Kriegsbeteiligter würde, wenn Deutschland sich, wie Sie sagen, auf gleiche Weise verhalte, wie es Frankreich und Großbritannien tun."

"So geht das nicht"

Für Scholz stecken "Halbwahrheiten" hinter solchen Fragen - mit diesem Vorwurf hatte er zuvor schon auf eine Frage des CDU-Verteidigungspolitikers Johann Wadephul reagiert. Durch die Lieferung von Waffen "wird man nicht Kriegsbeteiligter, niemand hat das gesagt". Danach hatte Röttgen allerdings nicht gefragt. Zur eigentlichen Frage wiederholt der Kanzler lediglich, was er in Sindelfingen gesagt hatte: "So, wie das in Frankreich und Großbritannien gemacht wird, geht das für uns nicht."

Und Scholz fährt fort: "Was mich aber ärgert, sehr geehrter Abgeordneter, lieber Norbert, dass du alles weißt, und eine öffentliche Kommunikation betreibst, die darauf baut, dass dein Wissen kein öffentliches Wissen ist. Ich glaube, das sollte in der Demokratie nicht der Fall sein."

Im Klartext: Scholz wirft Röttgen vor, selbst ganz genau zu wissen, warum eine Taurus-Lieferung an die Ukraine unmöglich ist. Es klingt ein bisschen nach dem legendären Satz des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maizière: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Scholz suggeriert, dass er den Grund nicht preisgeben kann, warum er die ewige Frage nach dem Taurus nicht klar oder nur widersprüchlich beantwortet.

Röttgen weist die Unterstellung, "ich würde irgendetwas wissen" und es der Öffentlichkeit vorenthalten, mit Nachdruck zurück. Anders als Scholz fällt er nicht ins vertrauliche Du: "Ich habe den gleichen Vorwurf gegen Sie, Herr Bundeskanzler, erhoben: Dass Sie Ihre wahren Motive für Ihre Politik nicht erläutern, dass Sie immer neue Ausreden finden, die sich zum Teil wechselseitig widersprechen und ausschließen." Erst gerade habe Scholz erneut im Bundestag erklärt, dass Großbritannien und Frankreich keine Kriegsbeteiligten seien, zugleich aber behauptet, dass Deutschland durch die Taurus-Lieferung Kriegsbeteiligter würde. "Sie spielen nicht mit klaren Karten und Sie zielen darauf ab, die Öffentlichkeit in dieser Frage zu täuschen."

Vertrauen oder Misstrauen? Oder beides?

Bereits Röttgens Fraktionskollege Wadephul hatte von Scholz wissen wollen, was dessen "wirkliche Erklärung" sei. Die aus Sicht des Kanzlers notwendige Beteiligung deutscher Soldaten? Aber von Luftwaffenoffizieren werde die ja bestritten, wie durch den Taurus-Leak der Russen bekannt wurde. Oder sei es "Ihre zweite Version", dass Deutschland die Kontrolle über den Einsatz der Taurus-Raketen nicht verlieren dürfe?

Scholz wiederholt in seiner Antwort, er halte es nicht für verantwortbar, eine so weitreichende Waffe ohne die Beteiligung deutscher Soldaten "im Einsatz verfügbar zu machen". Er bindet sich gewissermaßen selbst: Mag sein, dass die Ukraine technisch in der Lage wäre, den Taurus auch ohne deutsche Hilfe zu bedienen. Aber dieser Marschflugkörper - dessen Namen Scholz nicht in den Mund nimmt - ist für den Kanzler offenbar zu weitreichend, um die Kontrolle aus der Hand zu geben.

Wadephuls Schlussfolgerung, dies sei "eine Misstrauenserklärung an die Ukraine", ist da nur naheliegend. Der CDU-Politiker betont, die Ukraine habe sich bisher an alle Absprachen gehalten. Und er will wissen, was Scholz bewege, der Ukraine "so zu misstrauen". Auch auf diese Frage wird Scholz vehement: "Herr Kollege, die Bürgerinnen und Bürger haben Angst vor Ihnen, weil sie natürlich Sorge haben, wenn sie hören, dass verantwortliche Politikerinnen und Politiker mit psychologischen Kategorien Fragen, die mit Krieg und Frieden zu tun haben, zu bewerten versuchen." Eine Antwort auf die Frage nach seinen Motiven bleibt Scholz schuldig. Schräg hinter ihm auf der Regierungsbank sitzt Verteidigungsminister Boris Pistorius. Es wäre spannend, zu erfahren, was der in diesem Moment denkt.

Noch vehementer betont Scholz: "Wir vertrauen der Ukraine. Deshalb ist Deutschland unter den europäischen Staaten mit Abstand der größte Lieferant von Waffen. Das ist ein großes Vertrauen." Für all diese Antworten gibt es lauten Beifall - aber nur aus der SPD-Fraktion. Bei den Koalitionspartnern Grüne und FDP rührt sich in der Taurus-Debatte keine Hand.

Hundert Kilometer sind für Scholz in Ordnung

Schon in seinem Eingangsstatement hatte Scholz betont, dass Deutschland die Ukraine stärker unterstütze als alle anderen europäischen Länder. Er wagt einen Wortwitz über den Taurus, das lateinische Wort für Stier, und sagt, er wolle "den Stier bei den Hörnern packen". Doch dann wiederholt er nur, dass alle Entscheidungen sorgfältig abgewogen werden müssten und dass er ausschließe, "weitreichende Waffensysteme" zu liefern, "die nur sinnvoll geliefert werden können, wenn sie auch mit dem Einsatz deutscher Soldaten auch außerhalb der Ukraine verbunden wären". Das klingt dann doch nach technischen Notwendigkeiten.

Dass es Scholz nicht darum geht, die Ukraine hängenzulassen, betont er in einer Entgegnung auf den verteidigungspolitischen Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen: "Es ist Russland, das die Ukraine angegriffen hat, und es ist unsere verdammte Pflicht, das unschuldige ukrainische Volk bei der Selbstverteidigung zu unterstützen." Auch in einer Antwort auf Fragen des FDP-Abgeordneten Alexander Müller und der Grünen-Politikerin Sara Nanni macht Scholz deutlich, dass er keineswegs die Lieferung aller "sehr weitreichenden" Waffen ablehnt: Bei der Lieferung des MARS-Raketenwerfers sei Deutschland "vorne mit dabei" gewesen. Deshalb gehe es bei den Beschaffungsinitiativen der Bundesregierung darum, "wie kriegen wir das hin, dass auch Waffen und Munition geliefert werden kann, die weiter als fünfzig oder achtzig oder hundert Kilometer reicht, denn das ist ja der Bereich, um den es da im Wesentlichen geht".

Leider stellt niemand die Frage, warum Scholz auch einen Ringtausch mit Großbritannien ablehnt: Deutschland könnte Taurus an die Briten liefern, die würden die Ukraine dafür im Gegenzug mit weiteren Storm Shadow versorgen. Aber möglicherweise hätte es auch darauf keine Antwort gegeben.

Quelle: ntv.de

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