
Laschet im Katastrophengebiet: Nordrhein-Westfalen wurde in diesem Jahr besonders schwer von einer Extremwetterlage getroffen, wie sie künftig häufiger zu erwarten ist.
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Der Bundestag gibt 30 Milliarden Euro zur Beseitigung der jüngsten Flutschäden frei. Doch was tun gegen die sich beschleunigende Klimakrise? CDU und CSU sind bei dem Jahrhundertthema jedenfalls planlos - und, um darüber hinwegzutäuschen, unehrlich. Das gilt auch und gerade für ihren Kanzlerkandidaten.
Die noch vor wenigen Monaten als letzte große Volkspartei betrachtete Union wird sich spätestens nach der Bundestagswahl mit den Ursachen des massiven Schwunds an Wählerstimmen beschäftigen. Dabei wird sie sich nicht nur mit dem sensationell schwachen Kanzlerkandidaten Armin Laschet auseinandersetzen müssen, sondern auch mit ihrem programmatischen Angebot. Die Partei, so muss man konstatieren, ist am Ende der Ära Merkel inhaltlich darauf reduziert, die bestehenden Verhältnisse in Deutschland bewahren zu wollen, ohne eine Vorstellung vom Wie zu haben - und das mit dem Horizont von maximal einer Legislaturperiode.
Doch ein politisches "Weiter so", das Deutschland vor gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen sowie individuellen Zumutungen bewahrt, ist keine realistische Option. Der rasante Wandel in der Welt - ob beim Klima, der Geopolitik, der Wirtschaft oder Digitalisierung - verunmöglicht eine Konservierung des Status quo. Wer etwas anderes behauptet, belügt seine Wähler. Das gilt besonders für den Kampf gegen die Klimakrise: Was die Union in einer Mischung aus Hasenfüßigkeit, Wunschdenken und Realitätsverweigerung in der Klimapolitik aufbietet, kommt der mutwilligen Wählertäuschung gleich.
Eine Partei, die sich der Wahrung der Schöpfung und dem Wohlergehen aller 80 Millionen Bewohner dieses Landes verpflichtet sieht, kann sich nicht auf die bloße Behauptung zurückziehen, sie wolle die Pariser Klimaziele erreichen (wozu sich Deutschland völkerrechtlich verpflichtet hat). Sie muss auch definieren, was sie konkret zu unternehmen gedenkt. Das Programm zur Bundestagswahl 2021 aber demonstriert, dass CDU und CSU wahlweise den Ernst der Lage nicht begriffen haben, oder - warum auch immer - unfähig sind, die nötigen Konsequenzen aus ihren Einsichten zu ziehen.
Was hat die Union aufgehalten?
Dass das Wahlprogramm der Union, abgesehen von Steuererleichterungen für Vermögende, grundsätzlich vage gehalten ist, taugt nicht als Argument zur Beruhigung. Ist das im Ungefähren verhaftete Wahlprogramm die Theorie, sind 16 Jahre Regierungsverantwortung mahnende Praxis. Niemand hätte die Union in den vergangenen beiden Legislaturperioden daran gehindert, die CO2-Emissionen substanziell zu reduzieren, wenn sie denn gewollt hätte. Mit den Bereichen Wohnen und Verkehr haben Ressorts von CDU- und CSU-Ministern die schon zu niedrig angesetzten Klimaziele der Bundesregierung nicht erreicht (Corona-Effekte rausgerechnet).
Die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel hat sich trotz ihres Wissens um die Dringlichkeit der Lage nie dazu aufraffen können, die Ernsthaftigkeit der Klimakrise wenigstens konsequent zu kommunizieren. Stattdessen hat sie, wie die gesamte Union, nur festgelegt, was alles nicht geht. Keine Äußerung des Kanzlerkandidaten Laschet in den vergangenen Monaten, auch nicht im Angesicht der verheerenden Fluten in seinem Bundesland Nordrhein-Westfalen, deutet auf entschlosseneres Handeln als das der vermeintlichen Klimakanzlerin hin. Im Gegenteil: Am Ende seines Treffens mit dem fraglos innovativen Großindustriellen Elon Musk zauberte Laschet die Beschleunigung von Planungsverfahren als Wundermittel gegen den Klimawandel aus dem Hut. Dabei wäre es um Umwelt und Klima ohne Beteiligungs- und Klagerechte für Verbände schlechter bestellt, nicht besser.
Kein Weg vorbei an Windenergie
Gegenstand dieser Fundamentalkritik ist nicht, dass es die Union nicht machen will wie SPD und Grüne. Sie muss aber zumindest sagen, wie sie es stattdessen machen will. Und zwar konkret, schließlich ist ein klimaneutrales Deutschland die Mammutaufgabe nicht nur der kommenden Bundesregierung, sondern der Regierungen der nächsten 30 Jahre. Stattdessen beschränken sich die Ideen der Union auf eine Ausweitung der CO2-Bepreisung und darauf, dass der mit vielen Fragezeichen versehene grüne Wasserstoff und ökologisch zweifelhafte E-Fuels an die Stelle fossiler Energieträger treten. Wer aber fossile Energie per CO2-Steuer teurer macht, ohne den Ausbau der Erneuerbaren deutlich voranzubringen, gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland und belastet Verbraucher - und zwar ohne jeden Nutzen.
Es spricht Bände, dass Laschet am Mittwoch, anders als die beiden anderen Kanzlerkandidaten, nicht die Klimadebatte des Deutschen Naturschutzrings und der Klimaallianz besucht hat, wo ihn der in Klimafragen zwar glaubwürdigere aber wenig prominente, stellvertretende Fraktionschef Andreas Jung vertrat. Laschet war derweil beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu Gast. Doch auch dort hätte der NRW-Ministerpräsident eine unbequeme Wahrheit erfahren können: Eine Studie der DIW-Forscher zeigt, dass 100 Prozent erneuerbare Energien für Deutschland möglich sind. Aber hierfür müssten vor allem Windenergie an Land sowie Fotovoltaik massiv ausgebaut werden.
Die Union hingegen hat, weil es vor Ort opportun war, den Ausbau der Windenergie und der Stromnetze in den vergangenen Jahren gezielt ausgebremst mit überzogenen Abstandsgeboten für Windräder und der Forderung nach unterirdischen Stromtrassen. So verständlich es ist, dass Bürger nicht in der Nähe von Oberleitungen wohnen wollen - Aufwand und Kosten für flächendeckend verbuddelte Stromtrassen sind so immens, dass dies die Energiewende zu sehr verzögert. Stattdessen will die Union ihrem Wahlprogramm zufolge mehr Off-Shore-Windenergie in internationaler Zusammenarbeit produzieren, also bloß keine Anlagen vor der deutschen Küste errichten, und vor allem Strom in Form von grünem Wasserstoff aus wind- und sonnenreichen Staaten importieren.
Welcher Wasserstoff?
Ein Beispiel hierfür ist eine zum Ende der Legislaturperiode geschlossene Energiepartnerschaft mit Namibia. Niemand kann sagen, wann das Land in relevantem Maß Energie exportieren wird, denn die nötigen Investitionen sind gewaltig. Stemmen können so etwas eher die bisherigen Öl- und Erdgas-Exporteure am ebenfalls sonnigen Golf. Wer aber die Produktion der Energie der Zukunft anderen überlässt und selbst höchstens zaghafte Investitionen wagt, liefert Deutschland neuen Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten aus.
Auch die anderen Bundestagsparteien setzen auf grünen Wasserstoff. SPD und Grüne räumen aber zugleich die Notwendigkeit von Einsparungen im Energieverbrauch ein, weil Deutschland ohne fossile Energieträger mehr Strom als bislang benötigen wird. Denn Erneuerbare sollen nicht nur konventionellen Strom, sondern absehbar auch Brennstoffe in Motoren, Heizungen und (Schwer-)Industrie ersetzen. Deshalb kommt Deutschland nicht umhin, selbst deutlich mehr erneuerbaren Strom zu produzieren und seinen Stromverbrauch und seine Klimagas-Emissionen zu reduzieren.
Niemandem etwas wegnehmen
Letzteres aber fällt der Union schwer, weil ihr Verständnis von Freiheit bedeutet, weiterhin einer (relevanten) Minderheit der Bevölkerung eine unbegrenzte Zahl an Kurzstreckenflügen zu ermöglichen sowie das Autofahren mit 200 Kilometer pro Stunde und mehr. Das christdemokratische Verständnis vom guten Leben erschöpft sich darin, dass ein Leben ohne Flugreisen, Kreuzfahrten, Billigfleisch und Zweitauto keines ist. Wer aber jedwede Zumutung scheut - teureres Fleisch, Solardachpflicht für Immobilienbesitzer, Auflagen für Landwirte, eine Frist für die Zulassung von Verbrennermotoren, Lärm und Anblick von Windrädern, ein früheres Ende des Arbeitsplatz-sichernden Tagebaus in der Lausitz - beraubt sich selbst jedweder Gestaltungsmöglichkeiten.
Das Gleiche gilt für das götzenhafte Anbeten der Schwarzen Null: Der anstehende Umbau der Energieversorgung, der Industrie und der Verkehrsinfrastruktur wird immense Summen verschlingen und ist mit einem ausgeglichenen Haushalt eher nicht vereinbar, zumindest nicht ohne Steuererhöhungen. Andererseits: Was sind etwa die von Grünen und SPD aufgerufenen Milliarden-Investitionen im Vergleich zu 30 Milliarden Euro allein zur Beseitigung der Flutschäden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz? Solche Großschadensereignisse werden umso häufiger und heftiger auftreten, desto deutlicher das Ziel von 1,5 Grad Erderwärmung überschritten wird.
Die Union muss für sich verinnerlichen, dass Deutschland vor einem fundamentalen Umbruch steht, dessen Ausmaß höchstens mit dem historischen Kraftakt der Wiedervereinigung vergleichbar ist. Allein die Klimakrise zieht in jedem Fall gewaltige Ausgaben und tiefgreifende Veränderungen nach sich. Die Frage ist, ob ein Land versucht, diese Veränderungen selbst zu gestalten, oder ob sich das Land von ihnen gestalten lässt. Wer sich passiv dem Schicksal ergibt, sollte keinesfalls die nächste Bundesregierung anführen.
Quelle: ntv.de