Politik

Seit Monaten dieselben Lügen In einem Punkt hat Putin recht

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In seiner Rede "zur Lage der Nation" verbreitet Kremlchef Putin unverhohlen offensichtliche Lügen. Das Publikum im Saal nickt zustimmend - stellvertretend für einen großen Teil der Russen, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen. Denn egal, wie absurd Putins Aussagen sind, seine Unterstützer kaufen ihm alles ab.

Genau ein Jahr ist vergangen seit jener Rede, mit der Russlands Präsident Wladimir Putin unverhohlen die bevorstehende Invasion seines Landes in die Ukraine rechtfertigte. Damals, am 21. Februar 2022, sprach der Kremlchef dem Nachbarland das Existenzrecht ab und erkannte die selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten an. Wenige Stunden später ordnete Putin die Entsendung von russischen Truppen in die beiden Gebiete im Donbass an. Spätestens damit war klar: Putins Russland hält sich nicht ans Völkerrecht, es spielt nach eigenen Regeln.

Zum Jahrestag dieser ebenso hasserfüllten wie wegweisenden Rede, die er damals von einem Schreibtisch aus hielt, tritt Putin öffentlich auf und spricht fast zwei Stunden lang "zur Lage der Nation". Erneut breitet er langatmig seine Sicht auf die Geschichte und Gegenwart aus. "Sie haben den Krieg begonnen. Wir haben alles getan, um ihn zu stoppen", behauptet Putin mit Blick auf den Westen. Das Publikum nickt zustimmend, und man muss befürchten, dass dieses Nicken stellvertretend für die russische Gesellschaft geschieht. "Wie zu sowjetischen Zeiten überwiegt das passive Einverständnis mit dem Staat, sogar mit dessen Verbrechen", sagte der Chef des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada, Lew Gudkow, neulich im Interview mit dem "Tagesspiegel".

Die Gehirnwäsche in Russland funktioniert so effektiv, dass selbst völlig absurde Aussagen nicht hinterfragt und für wahrhaftig gehalten werden. Denn natürlich weiß die ganze Welt, dass es Russland war, das die Ukraine überfallen hat. Doch Putin kann das Gegenteil behaupten - ein großer Teil seines Volkes wird ihm blind vertrauen.

Die Botschaft: Im Westen ist es noch schlimmer

Rund die Hälfte seiner Rede widmet Putin innenpolitischen, praktischen Fragen wie dem Wohnungsbau, der Bildung, der Kultur. Die Bevölkerung soll glauben, dass der Herrscher im Kreml sich um sie kümmert. Anders als im Westen: Wie schon in zahlreichen früheren Reden verbreitet Putin erneut das Bild westlicher Gesellschaften, die von ihren Regierungen systematisch vernichtet würden: durch "die Zerstörung der Familien, der kulturellen und nationalen Identitäten, die Perversion und Misshandlung von Kindern bis hin zur Pädophilie". Priester würden gezwungen, homosexuelle Paare zu segnen. Die Botschaft: Euch, den Russen, geht es vielleicht nicht gut - aber im Westen ist es noch viel schlimmer.

Denn Putins Rede richtet sich nicht in erster Linie an das Publikum im Saal. Dort sitzen die Abgeordneten des Parlaments, prominente Schauspieler, Musiker, Geistliche, Entertainer, Geschäftsleute und Blogger. Es sind Menschen, die jedem Russen bekannt und vertraut sind. Zugleich sind es Vertreter der russischen Gesellschaft - einer Gesellschaft, die durch Propaganda regelrecht zombifiziert ist, die seit Jahren in einer Parallelwelt lebt. Für westliche Betrachter ist es absurd, wie offensichtlich die Lügen sind, die Putin von der Bühne aus verbreitet.

Umfragen: Drei Viertel der Russen stehen hinter Putin

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Putin weiß: Ohne die breite Unterstützung durch diese zombifizierte Öffentlichkeit wäre sein Krieg nicht möglich. Dafür bedankt sich der Herrscher: "Ich bin stolz, dass die allermeisten die Entscheidung über die Durchführung der speziellen Militäroperation unterstützt haben." Es ist eine der wenigen Aussagen in dieser Rede, die keine Lüge ist, zumindest wenn man Lewada glaubt. Die Umfragen des einzigen unabhängigen Meinungsforschungszentrums Russlands zeigen, dass drei Viertel der Bevölkerung diesen Krieg unterstützen. Angesichts der Verfolgung von Kriegsgegnern sind Lewada-Zahlen jedoch nur mit Vorsicht zu genießen. Das Institut ist als "ausländischer Agent" eingestuft; Beobachter weisen darauf hin, dass viele Kreml-Gegner aus Angst vor Strafverfolgung ihre Kritik nicht offen äußern würden.

Neues hat Putin nicht zu verkünden. Weder deutet er eine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine an noch nennt er die "Spezialoperation" als das, was sie ist: einen Krieg. Er verkündet auch keine weitere Mobilmachungswelle. Vermutlich wird er das, wenn es eines Tages passiert, seinem Verteidigungsminister überlassen. Die Verbreitung schlechter Botschaften überlässt der Herrscher lieber anderen.

Quelle: ntv.de

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