Politik

Kabinett ohne Ostdeutsche? Merkel und die 15 Wessis

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Womöglich die einzige Ostdeutsche in der neuen Bundesregierung: Kanzlerin Merkel.

(Foto: imago/photothek)

Nach der Einigung von Union und SPD beginnt das große Meckern: über schlechte Kompromisse, Ressortverteilung und Personalien. Auch ein alter deutscher Streit flammt wieder auf - der zwischen Ost und West.

Es war so etwas wie gut gelebte Tradition. Seit der Wiedervereinigung gab es durchgehend Bundesminister mit DDR-Biografie. Eine der ersten war Angela Merkel, zwischen 1991 und 1998 Kabinettsmitglied von Kanzler Helmut Kohl. Nachdem Manuela Schwesig im Sommer 2017 in die Schweriner Staatskanzlei wechselte, saß mit Bildungsministerin Johanna Wanka zuletzt nur noch eine Ostdeutsche auf der Regierungsbank. Innenminister Thomas de Maiziere war bei der Bundestagswahl zwar Spitzenkandidat der sächsischen CDU, wurde jedoch in Bonn geboren und ist also kein echter "Ossi".

Im Kabinett der neuen Großen Koalition wird außer der Kanzlerin künftig womöglich kein einziger Ostdeutscher mehr sitzen. Die neuen Bundesländer wären dann nicht nur unterrepräsentiert - es wäre fast so, als gäbe es sie gar nicht.

Den thüringischen SPD-Politiker Steffen-Claudio Lemme ärgert das mächtig. "Der Osten muss unbedingt auch personell in einer neuen Bundesregierung berücksichtigt werden. Es gibt dort andere Fragestellungen und Herausforderungen, die man als im Westen geborener Mensch nicht so gut beurteilen kann", sagt er n-tv.de. "Man kann die regionale Identität des Ostens nur verkörpern, wenn das entsprechende Personal an den politischen Schaltstellen tätig werden kann." Der Erfurter Lemme saß zwischen 2009 und 2017 im Bundestag. Wegen des schlechten Wahlergebnisses reichte sein Listenplatz im September nicht mehr für ein Ticket nach Berlin. Dass ostdeutsche Politiker es oft schwerer haben, hat auch Gründe. Im innerparteilichen Konzert kommen die vergleichsweise kleinen Landesverbände häufig zu kurz. Sie haben weniger Mitglieder und stellen weniger Abgeordnete. Bei der Verteilung attraktiver Posten schlagen große Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen als Erste zu. "Der Osten müsste auch in der SPD einen anderen Stellenwert erfahren", sagt Lemme, der nur noch Kreisvorsitzender im Kyffhäuserkreis ist.

Wenn die zwischen Union und SPD vereinbarte vorläufige Ressortverteilung stimmt, sitzen künftig mit Peter Altmaier und Heiko Maas zwar wieder zwei Personen aus dem kleinen Saarland am Kabinettstisch, aber niemand aus den sechs neuen Bundesländern. Die Berliner SPD-Abgeordnete Eva Högl, die das Ministerium für Arbeit und Soziales leiten soll, wurde in Osnabrück geboren. Strukturell benachteiligt ist Ostdeutschland zumindest auf den ersten Blick nicht. Berlin inbegriffen leben mehr als 16 Millionen der insgesamt mehr als 82 Millionen Bundesbürger im Osten, also etwa 20 Prozent. Der Anteil der von ostdeutschen Landesverbänden nominierten Bundestagsabgeordneten liegt inklusive Berlin mit 152 von insgesamt 709 leicht darüber. Nur gibt es darunter eben viele Zugezogene.

"Ausdruck eines gesellschaftlichen Zustands"

In der letzten Legislaturperiode hatten nur 77 Prozent der ostdeutschen Bundestagsabgeordneten eine DDR-Biografie. Nicht wenige westdeutsche Politiker nutzen den oft einfacheren Sprung über Listenplätze in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt in den Bundestag. Zum Beispiel Burkhard Lischka (SPD) oder eben Thomas de Maiziere. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zwar aus Nordrhein-Westfalen, kandidierte in der Vergangenheit aber immer über einen brandenburgischen Wahlkreis für den Bundestag. "Man muss lange genug hier gelebt haben und den Menschen zugehört haben, um Ostdeutschland wirklich zu verstehen", sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke, die in Dessau geboren ist. Eine Untersuchung des MDR ergab im vergangenen Jahr sogar: Nur 25 der 57 Staatssekretäre kamen aus dem Osten, in der Bundesregierung waren es 2016 sogar nur 3 von 60. "Das Kabinett ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Zustands. Ostdeutsche sind selbst in den neuen Bundesländern in vielen Bereichen massiv unterrepräsentiert: an Hochschulen, in Schulleitungen, Justiz und Verwaltungen", sagt Lemke.

Dabei besetzen Ostdeutsche zumindest in einigen Parteien die vordersten Plätze: etwa Dietmar Bartsch (aus Stralsund) oder Katja Kipping (Dresden) bei den Linken oder Katrin Göring-Eckardt (Friedrichroda) bei den Grünen. In den Koalitionsverhandlungen spielten Politiker aus dem Osten eine wichtige Rolle. Auch in den verschiedenen Arbeitsgruppen wirkten viele mit, darunter Mike Mohring. Der thüringische CDU-Chef sieht die vorläufige Kabinettsliste kritisch. "Falls die jetzige Aufstellung zutrifft, ist eine ganze Region außen vor. Da deutet sich eine Unwucht an. Die Probleme der neuen Bundesländer können am Kabinettstisch am besten beraten werden, wenn Minister aus dem Osten kommen", sagt er n-tv.de. Welche ostdeutschen Politiker ministrabel wären? Mohring nennt den Erfurter Carsten Schneider, den neuen Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag. Andere verweisen auf Martin Dulig, den sächsischen SPD-Chef und stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Eine Ost-Quote?

Grünen-Politikerin Lemke ist sich sicher, dass in den neuen Ländern darüber geredet wird, wenn in Berlin kein Ostdeutscher mehr am Ministertisch sitzt. Braucht die Bundespolitik so etwas wie eine Ost-Quote? Viele ostdeutsche Politiker weisen dies zurück. Man wolle schließlich nicht "Quoten-Ossi" sein. Die Berücksichtigung sollte selbstverständlich sein, aus Prinzip und auch als Signal, erst recht in Zeiten, in denen die AfD in Teilen Ostdeutschlands stärkste Partei ist. Lemke will keine Ost-Quote fordern, sagt aber: "Quoten sind ein funktionierendes Instrument, wie die Frauenquote längst bewiesen hat. Trotzdem hat es keinen Sinn, jemanden zum Minister zu machen, der ungeeignet ist, aber eine bestimmte Herkunft hat - egal, ob er aus Ostdeutschland oder aus Bayern kommt." Der Linken-Politiker Jan Korte vermisst auch eine ostdeutsche Handschrift im Koalitionsvertrag. "Für die Ostdeutschen ist die GroKo eine Katastrophe." Verbessern werde sich hier nichts. Statt den Osten mit einem eigenen Ost-Ministerium endlich zur Chefsache zu erklären, frühstückten SPD und Union ihn im Koalitionsvertrag unter dem Stichwort "ländliche Räume" ab.

CDU-Politiker Mohring ist mit dem Vertrag zufrieden. Man habe viel erreicht für den Osten. "Im Koalitionsvertrag steht viel drin, was für die Entwicklung dort gut ist", sagt er. Auf den 180 Seiten wird der Osten sechs Mal explizit genannt. "Die besonderen Herausforderungen in Ostdeutschland erkennen wir als gesamtdeutschen Auftrag an", heißt es auf Seite 4. Auf Seite 93 versprechen Union und SPD, künftig einen höheren Anteil von Rentenansprüchen aus den Versorgungssystemen der DDR übernehmen zu wollen. Drei Seiten weiter ist geschrieben: "Wir bitten die Pflegemindestlohn-Kommission, sich zeitnah mit der Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West zu befassen." Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West werden 28 Jahre nach dem Mauerfall auf Seite 116 ausgelobt.

Sollte sich die Ressortliste so bestätigen, wird die Bundesregierung in den kommenden Jahren beweisen müssen, dass ihr die neuen Bundesländer wichtig sind. Mohring findet: "Dadurch, dass der Osten nicht vertreten ist, ist es kein schlechtes Kabinett, zumal die Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern eine Hausnummer ist." Auf die Frage, ob westdeutsche Politiker genauso gut Politik für Ostdeutschland machen können, antwortet er schnell: "Klar!"

Quelle: ntv.de

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