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Scholz und Macron treffen sich "Es ist definitiv keine Männerfreundschaft"

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Oft nicht einer Meinung, aber immer im Gespräch: Emmanuel Macron und Olaf Scholz.

Oft nicht einer Meinung, aber immer im Gespräch: Emmanuel Macron und Olaf Scholz.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Zustandsbeschreibung "so lala" ist die deutsche Version einer französischen Redewendung. Sie passt also hervorragend, um das Verhältnis beider Länder zu charakterisieren. Scholz und Macron finden keinen Draht zueinander. Dabei geben sich der Kanzler und der Präsident viel Mühe, meistens jedenfalls.

Kritiker und Gegner von Olaf Scholz erzählen im politischen Berlin eine kleine, gemeine Anekdote über den Bundeskanzler. Die geht in etwa so: Am Ende eines Arbeitstreffens in Paris lud Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron den deutschen Regierungschef auf ein Glas Wein ein. Doch der schlug das Angebot aus, er sei müde und müsse schlafen. Macron hat das angeblich als Affront empfunden. Ob sich das so wirklich zugetragen hat, ist beinahe Nebensache, weil die Botschaft aus Sicht der Scholz-Skeptiker so gut ist: Der kühle Deutsche hat demnach wieder mal die Gelegenheit verpasst, das emotionale Fundament der deutsch-französischen Beziehungen auszubauen oder zu kitten - je nach Lesart des Status quo. Und überhaupt: Was für ein Mensch schlägt bitte die Gelegenheit auf einen edlen Tropfen aus dem Weinkeller des Élysée-Palasts aus?

Am Dienstag treffen Scholz und Macron anlässlich der deutsch-französischen Regierungskonsultationen auf Schloss Meseberg wieder aufeinander. Zu derlei Anlässen steht immer die Frage nach dem Zustand der Freundschaft beider Länder im Raum. Zu den vielen Maßstäben, die an einen deutschen Kanzler angelegt werden, gehört immer auch die Frage: Ist er oder sie denn auch ein großer Europäer, der die deutsch-französische Freundschaft immer im Herzen trägt?

Als Messlatte dienen Bilder, die sich eingeprägt haben ins Gedächtnis der Republik: Helmut Schmidt lächelnd im vertraulichen Gespräch mit Valéry Giscard d'Estaing; Helmut Kohl und Francois Mitterrand Hand in Hand am Soldatenfriedhof in Verdun, Gerhard Schröder und Jacques Chirac Arm in Arm beim Gedenken an die Landung der Alliierten in der Normandie und natürlich Merkozy. Küsschen links, Küsschen rechts, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy hatten mit viel Anlauf ebenfalls zueinander gefunden. Die Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft erzählt seit den Tagen von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle immer auch von der Beziehung zwischen dem jeweils amtierenden Bundeskanzler und dem Président de la République francaise. Und diese Beziehung war selten so schwierig wie in den Jahren von Olaf Scholz und Emmanuel Macron.

Der Motor läuft, aber nicht wie geschmiert

Bevor er nach Meseberg fährt, absolviert Macron anlässlich des 75. Geburtstags des Grundgesetzes einen Staatsbesuch. Es ist der erste eines französischen Staatschefs seit dem Jahr 2000. Im Januar erst hatte Macron im Bundestag auf Deutsch gesprochen, anlässlich der Gedenkfeier für den verstorbenen Wolfgang Schäuble. Und im Oktober davor verspeiste der dem Genuss zugeneigte Franzose gar ein Fischbrötchen, als er Scholz in dessen Heimat Hamburg traf. Macron ist Deutschland zugewandt.

Formell ist also alles gut, wenn nicht gar hervorragend. Dutzende Male sind Präsident und Kanzler inzwischen einander begegnet, nicht nur bei bilateralen Treffen, sondern natürlich auch bei Gipfelformaten wie den G7 und G20 sowie bei EU und NATO. Hinzu kommen regelmäßige Telefonate, insbesondere mit Blick auf die Lage in der Ukraine. Der berühmte deutsch-französische Motor der Europäischen Union läuft auf den ersten Blick zuverlässig, aber eben längst nicht wie geschmiert, eher stotternd: Von der Verteidigungs- und Ukrainepolitik über die Weiterentwicklung der EU, den Außenhandel und die Energiepolitik bis zum Verhältnis zu den USA verfolgen Berlin und Paris unterschiedliche Ziele. Misstöne zwischen beiden Hauptstädten werden regelmäßig laut.

Im März dieses Jahres sagte Scholz dennoch: "Emmanuel Macron und ich haben ein sehr gutes persönliches Verhältnis - ich würde es sehr freundschaftlich nennen." Das mag aus seiner Sicht sogar stimmen: Es ist ja nicht so, als stünde er Regierungs- oder Staatschefs anderer Länder erkennbar näher. ntv-Reporterin Heike Boese, die Scholz seit Jahren kennt und ihn auf viele Auslandsreisen begleitet hat, spricht von "sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten" der beiden. "Olaf Scholz gefällt sich in der Rolle des kühlen Hanseaten, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt und Emmanuel Macron pflegt sein temperamentvolles und gefühlsbetontes Image", sagt Boese. "Das passt einfach nicht zusammen."

In seinem Buch "Ein deutscher Kanzler" schildert der Journalist Daniel Brössler einen gemeinsamen Auftritt an der Pariser Sorbonne-Universität. "Kanzler und Präsident umarmen sich kurz, reichen einander die Hände. Das ist schon viel", schreibt Brössler. "Scholz mag nicht nur die große Geste nicht, er scheut auch zu viel Nähe". Dass beide schon ob ihres unterschiedlichen Stils Probleme haben, zueinanderzufinden, ist auch in französischen Medien zu lesen. Macron kommt dabei wegen seines Hangs zum Pathos nicht besser weg als der aus französischer Sicht klischeehaft distanziert auftretende Deutsche.

Brüchige Geschlossenheit im Ringen mit Russland

Die persönlichen Differenzen wären weniger dramatisch, würde es nicht ständig bei den Inhalten haken: Im Januar 2023 prescht Frankreich vor mit der Ankündigung, leichte Kampfpanzer liefern zu wollen. Der von Scholz gepredigte Gleichschritt der westlichen Verbündeten bei der militärischen Unterstützung der Ukraine ist damit hinfällig. Zudem reagiert der Sozialdemokrat allergisch darauf, unter Druck gesetzt zu werden - ob nun tatsächlich oder nur scheinbar. Andersherum lässt Scholz Frankreich außen vor, als er mit anderen europäischen Ländern eine Initiative für eine gemeinsame europäische Luftabwehr ins Leben ruft. So etwas wäre unter Merkel nicht denkbar gewesen. Macrons Angebot, Europa unter den Schutzschirm des französischen Atomwaffenarsenals zu nehmen, lässt das Kanzleramt dagegen ins Leere laufen.

Macron sorgt auch für Reibung, als er Ende Februar dieses Jahres den Einsatz westlicher Streitkräfte auf ukrainischem Boden nicht ausschließen möchte. Die Bundesregierung weist so ein Gedankenspiel umgehend und entschieden zurück. Scholz und Macron kritisieren einander daraufhin unverblümt. In Frankreich wird der Konflikt auch so gedeutet: Da kämpfen zwei um die Anführerrolle in Europas Ringen mit Russland. Und weil der eine gerne den starken Mann markiert, der andere sich aber für seine "Besonnenheit" und Vorsicht rühmt, wackelt das deutsch-französische Tandemrad bedenklich: Beide wollen vorn sitzen und dann auch noch in unterschiedliche Richtungen steuern. Wladimir Putin freut das.

Gefährliches Vakuum

Für besondere Irritation sorgt in Berlin, dass Macron immer wieder stark in der Ankündigung, aber schwach im Liefern ist: Der Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft weist allein bei den militärischen Hilfen 10 Milliarden Euro für Deutschland aus. Frankreich liegt als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der EU mit 2,7 Milliarden Euro noch hinter Dänemark, Polen und den Niederlanden. Als die EU sich zu gemeinsamen Rüstungskäufen für die Ukraine durchringt, bremst Macron: Es solle bitte nur Material aus EU-Produktion beschafft werden, nicht vom Weltmarkt. Das verteuert und verlangsamt zwar die Beschaffung, doch Paris hat vor allem den Vorteil der heimischen Rüstungsindustrie im Blick.

Die Liste der auf offener Bühne ausgetragenen Differenzen ist lang. In Brüssel hinterlässt die fehlende Einigkeit zwischen Paris und Berlin ein Vakuum, das andere gerne ausfüllen. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni etwa: Die rechtsradikale Politikerin suchte in den vergangenen Monaten die Nähe von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, begleitete sie wiederholt ins Ausland. So gewann die Postfaschistin an Einfluss in Brüssel und zeichnete daheim das Bild von Rom als neuem Machtzentrum Europas.

Differenzen gab es immer schon

Dass es zwischen Frankreichs Präsidenten und Deutschlands Regierungschef ruckelt, ist auf den zweiten Blick allerdings kein Novum. Chirac und Schröder fanden erst während ihres gemeinsamen Widerstands gegen die US-Invasion im Irak zueinander. Sarkozy und Merkel legten das Fundament ihrer dann engen Beziehungen während der Eurokrise - nach anfänglichen Irritationen über den Charakter des jeweils anderen. Deutschlands traditionell engere Bindung an die USA als im nach größtmöglicher Autonomie strebenden Frankreich ist eine Konstante. Das Gleiche gilt für die hartnäckigen nationalen Egoismen in Wirtschaftsfragen. Kennzeichen der deutsch-französischen Freundschaft ist daher weniger, dass beide Länder immer dasselbe wollten. Vielmehr geht es seit jeher darum, trotz unterschiedlicher Interessen unermüdlich den Ausgleich zu suchen.

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Dieses Streben nach einem Kompromiss spiegelt sich im Miteinander von Präsident und Kanzler. "Dieses Paar ist sehr wichtig für die Vermittlung und Verkörperung der deutsch-französischen Beziehungen", sagt Éric-André Martin, Leiter der deutsch-französischen Studien am französischen Institut für Internationale Beziehungen (Ifri) im Gespräch mit Euractiv. Dass Scholz und Macron die Bedeutung dieser Außendarstellung im Blick haben, ist angesichts ihrer vielen Treffen offenkundig.

"Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen den beiden gar nicht so schlecht ist, wie es oft beschrieben wird, aber wirklich eng sind sie tatsächlich nicht miteinander", sagt ntv-Reporterin Boese. "Es ist definitiv keine Männerfreundschaft, aber ein inzwischen gutes und belastbares Arbeitsverhältnis." Und verpasste Chancen lassen sich zuweilen auch nachholen: Auch das Schloss Meseberg hat einen Weinkeller.

Quelle: ntv.de

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