Wie dem Terror begegnen? Die Zeiten großer Worte sind vorbei
18.11.2015, 11:13 Uhr
Das Stadion in Hannover wurde von schwer bewaffneten Polizisten bewacht.
(Foto: imago/MIS)
Die Absage des Spiels zwischen Deutschland und den Niederlanden fühlt sich nicht nur an wie eine Niederlage - sie ist eine. Obwohl sie absolut richtig war. Aber bevor wieder alle die Welt erklären: Geht’s auch eine Nummer kleiner?
Eine Demonstration sollte es werden, ein Zeichen gegen den Terror und ein Fanal für die Werte der Demokratie. Zuschauer und Spieler hatten sich das ambitionierte Ziel gesetzt, vier Tage nach den Anschlägen von Paris der Welt an diesem Dienstag zu zeigen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen. Auch die Bundeskanzlerin und drei Minister wollten nach Hannover kommen und zusehen, wie die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen die aus den Niederlanden spielt - aus Solidarität mit Frankreich.
Dass alle Beteiligten diese Partie so mit Bedeutung überfrachtet hatten, dass der Eindruck entstehen konnte, Bundestrainer Joachim Löw schicke eine Anti-Terror-Einheit auf den Rasen - geschenkt. Trauer und Solidarität sind schließlich kein Wettbewerb. Und es kam ja auch erst gar nicht dazu, weil es offenbar sehr ernste Hinweise auf einen Anschlag im Stadion gab - von wem auch immer. Dass die Polizei in Hannover diese Partie nicht hat stattfinden lassen, ist ein großes Glück. Niemand ist zu Schaden gekommen, das ist eine sehr gute Nachricht. Dennoch ist es so, wie es die niederländische Sportministerin Edith Schippers gesagt hat: "Das fühlt sich wie eine Niederlage an."
Das hätten wir uns auch sparen können
Mit der Drohung war die Angst wieder da, die Angst davor, dass am Ende alles so schlimm wird wie vier Tage zuvor, als Terroristen die französische Hauptstadt an sechs Orten nahezu gleichzeitig angriffen und mindestens 129 Menschen ermordeten. Hinterher sind wir alle schlauer. Nun wissen wir: Das hätten wir uns auch sparen können. Das Spiel ein Spiel sein zu lassen, innezuhalten, nachzudenken; das wäre die bessere Lösung gewesen. Denn statt ein Zeichen an die Terroristen zu senden, denen das herzlich egal gewesen wäre, sind viele Menschen an diesem Dienstagabend verunsichert nach Hause gegangen. Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Die meisten der 31.000 Menschen, die sich eine Karte gekauft hatten, haben dies getan, um dem Wahnsinn gemeinsam etwas entgegenzusetzen. Wie das geschieht, muss immer und überall jeder selbst entscheiden. Aber wie geht es jetzt weiter?
Innenminister Thomas de Maiziere, zuständig auch für den Sport, ist nach dem Inhalt und dem Ursprung besagter Hinweise gefragt worden. Er hat gesagt, dazu wolle er lieber nichts sagen: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Er wird das nicht böse gemeint haben - aber verunsichert sind die meisten spätestens nach diesen zwei Fußballspielen. Oder besser: nach dem, was von ihnen übrig blieb.
Und bestimmt melden sich jetzt sehr schnell Menschen, die erklären können, dass das aus ermittlungstaktischen Gründen notwendig war. Wenn sie es nicht längst getan haben. Es findet sich auch wieder jemand, der erklären kann, wie der IS vorgeht - und wie er zu bekämpfen sei. Andere werden ein Psychogramm der mutmaßlichen Attentäter zeichnen. Sie werden vom dritten Weltkrieg reden und davon, dass die Gefahr überall lauert. Und alle werden sie uns wieder sagen, dass wir uns jetzt nicht verstecken, unsere Freiheit und die Freiheit der gesamten westlichen Welt verteidigen sollen. Und die der anderen Hälfte auch noch. Das ist sicher alles richtig und wichtig, das eine mehr, das andere weniger. Aber geht es nicht vielleicht auch eine Nummer kleiner?
Vielleicht sollten wir uns das mit den großen Worten noch einmal überlegen. Vielleicht sollten wir alle nach Hause gehen und etwas Sinnvolles tun. Zum Beispiel unseren Kindern erklären, was los ist in unserer Welt. Nachdem ich aus Paris wiedergekommen war und bevor ich am Dienstag nach Hannover fuhr, hat meine Tochter gefragt, ob es dort auch Terroristen gebe - und ob mit Anschlägen zu rechnen sei. Ich habe der Neunjährigen versichert, dass alles ganz friedlich bleibe - wie vor Paris auch immer, wenn ich von einem Fußballspiel berichtet habe. Sagen wir es so: Das war nicht gelogen. Aber ich habe mich getäuscht. Weil ich es nicht besser wusste. Vielleicht habe ich aber auch befürchtet, dass ein Teil meiner Antworten sie verunsichert.
Quelle: ntv.de