Wahl-Analyse in Niedersachsen Weil erwartet Rot-Grün, Lindner zählt die Ampel an
10.10.2022, 14:11 Uhr
Es reicht für Rot-Grün, und zwar deutlich. Entsprechend schnell wollen beide Parteien über eine Koalition in Niedersachsen beraten. FDP-Chef Lindner attestiert derweil seiner eigenen Bundesregierung, an Legitimation verloren zu haben. Und der CDU steht eine lange Debatte bevor.
Niedersachsens SPD-Chef Stephan Weil rechnet nach seinem Sieg bei der Landtagswahl fest mit einer rot-grünen Koalition. "Ich gehe davon aus, dass wir nach dem Ergebnis gestern in Niedersachsen eine rot-grüne Landesregierung haben werden", sagte er in Berlin. "Ich gehe nicht davon aus, dass das einfache Gespräche werden. Aber ich kann mich auch noch an keine Koalitionsverhandlungen erinnern, die jemals einfach gewesen wären. Die Ziele jedenfalls sind in hohem Maße identisch, und der Wille zusammenzuarbeiten ist in dieser Hinsicht sehr ausgeprägt."
Noch am Montagnachmittag werde er den Gremien des SPD-Landesverbands vorschlagen, Sondierungsgespräche aufzunehmen, sagte Weil weiter. "Vor allen Dingen nach Lage der Dinge natürlich mit Bündnis 90/Die Grünen."
Ähnlich wie Weil äußerte sich in Hannover auch die Grünen-Landesvorsitzende Anne Kura. Das Ergebnis der Landtagswahl sei ein "klarer Auftrag" zur Regierungsbildung, sagte sie. Noch in der laufenden Woche wollten SPD und Grüne erstmals zusammenkommen.
Die Wahlverlierer CDU und FDP begannen indes mit der Aufarbeitung. Der Wahlausgang stellt aus Sicht des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner ein Problem für die gesamte Ampel-Koalition in Berlin dar. "Die Ampel insgesamt hat an Legitimation verloren", sagte er in Berlin. Die Verluste von SPD und FDP würden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den Grünen. "Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, für ihre Politik mehr Unterstützung in Deutschland zu erreichen." Lindner betonte: "Aus unserer Sicht müssen wir über die Balance von sozialem Ausgleich, ökonomischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu nachdenken, damit die Ampel insgesamt wieder reüssieren kann."
Althusmann fordert Aufarbeitung der Merkel-Jahre
Der FDP gelinge es gegenwärtig nicht, für ihr klares Profil hinreichend Unterstützung zu bekommen, sagte der Parteichef. Die FDP stelle sich der Herausforderung, das als richtig erkannte Profil "jetzt herauszuarbeiten und zu stärken". Dafür nehme sie sich Zeit. Es gehe darum, "wie wir die Positionslichter der FDP anschalten".
Laut dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil hat das schlechte Wahlergebnis der FDP auch Konsequenzen für die Ampel-Regierung im Bund. "Das ist bitter. Das tut mir auch leid. Das wäre für Berlin sicherlich einfacher gewesen, wenn die FDP den Einzug in den Landtag noch geschafft hätte", sagte er im "ntv Frühstart". Dass die Liberalen schon jetzt aus der Ampel aussteigen könnten, glaubt Klingbeil aber nicht: "Christian Lindner und die FDP wissen, welche große Verantwortung wir jetzt zu dritt als Ampel-Parteien gemeinsam tragen." Die Ampel könne aber nicht so weitermachen wie bisher. "Was aufhören muss ist, dass wir auf die Politik der Ampel gucken und vermessen, welche Partei hat sich wie durchgesetzt? Da war in den letzten Wochen zu viel öffentlicher Streit, da war zu viel Debatte. Auch das muss anders sein", betont der Vorsitzende der SPD.
Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann forderte nach seiner Niederlage eine offene Analyse seiner Partei auch über die Politik der CDU im Bund. "Wir werden das Ergebnis sehr genau analysieren. Dabei werden wir nicht nur auf diese Wahl schauen, sondern auch auf die Bundestagswahl 2021 und die vergangenen 16 Jahre ebenso wie auf die eine oder andere Schwäche des Wahlkampfs. Wir müssen klären, warum es der CDU nicht ausreichend gelingt, mit ihren eigenen Themen durchzudringen", sagte Althusmann der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Die frühere Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte 16 Jahre regiert.
Althusmann sagte, Kernthemen der CDU wie die Sicherheit hätten im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Die Partei müsse sich aber auch intensiv mit der veränderten Arbeitswelt sowie Energiefragen auseinandersetzen. "Der CDU wird auch im Bereich der erneuerbaren Energien nicht ausreichend Kompetenz zugeschrieben. Das müssen wir ändern und auch darüber innerhalb der Parteigremien beraten."
Gefragt, ob die CDU sich nun gegenüber den Grünen öffnen oder im Gegenteil eher das konservative Profil stärken solle, sagte Althusmann: "Das sind die entscheidenden Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Da gibt es gute Erfahrungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, aber wir sollten auch auf unsere eigene Parteibasis hören - und die tendiert nicht zwingend zu Grün." In Schleswig-Holstein und NRW regiert die CDU zusammen mit den Grünen.
Merz zieht personelle Konsequenzen
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz stellt unterdessen nach dem Wahldesaster die Führung der Parteizentrale personell neu auf. Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig wird durch den früheren Manager Christoph Hoppe abgelöst, wie die CDU in Berlin mitteilte. Der Bundesgeschäftsführer ist eine Art Verwaltungschef im Konrad-Adenauer-Haus. Neue Leiterin der Stabsstelle Strategische Planung und Kommunikation wird die frühere Marketing-Direktorin der Boston Consulting Group und ehemalige ARD-Journalistin Kathrin Degmair. Merz und sein Generalsekretär Mario Czaja hätten Hennewig fehlende Schlagkraft bei den jüngsten Kampagnen vorgeworfen, schrieb das Portal "The Pioneer".
Bei der Wahl am Sonntag hatte Weils SPD laut vorläufigem amtlichen Ergebnis mit 33,4 Prozent klar gewonnen. Die CDU von Vizeministerpräsident Althusmann erreichte lediglich 28,1 Prozent und fuhr damit ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis seit den 50er-Jahren ein. Die Grünen kamen auf 14,5 Prozent, die AfD erreichte 10,9 Prozent - beide legten damit zu. Die FDP verpasste mit 4,7 Prozent den Einzug in den Landtag, ebenso wie die Linke mit 2,7 Prozent.
Der neue Landtag hat 146 Mitglieder, die zur Regierungsbildung erforderliche Mehrheit liegt bei 74 Sitzen. Auf die SPD entfallen laut Landeswahlleitung 57 Mandate. Die CDU erhält 47 Sitze, die Grünen 24 und die AfD 18. Rot-Grün hat damit eine komfortable absolute Mehrheit von 81 Mandaten. Sowohl SPD als auch Grüne betrachten ein neuerliches rot-grünes Bündnis als Wunschoption und warben im Wahlkampf dafür. Sie regierten in Hannover schon von 2013 bis 2017 zusammen.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa