Neue Realpolitik von rechts In Trumps Welt sind die Europäer die Autokraten
15.02.2025, 08:11 Uhr Artikel anhören
Donald Trump schickte Vizepräsident J.D. Vance nach München, um seine Weltsicht zu erklären.
(Foto: REUTERS)
Das Recht des Stärkeren ist zurück. US-Vizepräsident Vance positioniert die Vereinigten Staaten entsprechend und mahnt Europa, es ihnen gleichzutun. Was bedeutet in dieser neuen Realpolitik schon die Ukraine?
Das Selbstverständnis von US-Vizepräsident J.D. Vance in München war überdeutlich. Es dürfte den Zuhörern bei der Sicherheitskonferenz kaum gefallen haben. Was sie von Vance hörten, waren keine konkreten Ansagen zum Ukraine-Krieg, keine Ideen über eine gemeinsame Verteidigungsstrategie oder partnerschaftliche Verbundenheit. Es war der Besuch eines imperialen Gesandten, der in aller Öffentlichkeit die ferne Provinz rügt und Besserung anmahnt, damit ihre Statthalter nicht die Gunst des Kaisers Donald Trump verlieren. So zeigen sich die Vereinigten Staaten auf der Seite der rechten Kräfte in Europa.
Um die Ukraine geht es Vance nicht; sie ist nur ein Feigenblatt für die übliche Umkehrung des Trump'schen MAGA-Universums: Immer den anderen vorwerfen, was man selbst macht. Etwas vom Dreck, mit dem man wirft, wird schon hängen bleiben. Der Vizepräsident fabuliert eine "innere Bedrohung" in Europa herauf, die er nicht etwa in Rassismus, einer erstarkenden antidemokratischen Bewegung, Wahlbeeinflussung von außen oder Flut von Falschinformationen sieht - sondern im Kampf gegen all diese Gefahren. Oder sieht er einen gewünschten Rechtsruck gefährdet, wie er gerade in den USA geschieht?
Vance führt mit seinem Auftritt den erbittert geführten Kulturkampf der USA bis nach Europa. Der Vizepräsident behauptet, die Rechte würde autoritär von anderen unterdrückt, obwohl sie ebendies gegen jene anstrebt, die nicht in ihr festes, veraltetes Weltbild passen. Es ist die übliche Projektion, transatlantisiert.
Vance droht in der Summe: Folgt unseren Vorstellungen, welche Regeln ein Staat aufstellen darf, oder unsere Partnerschaft mit Europa wird Geschichte sein. Er mischt sich in die deutsche Innenpolitik ein und behauptet, die Brandmauer gegen die AfD müsse fallen, oder Deutschlands Demokratie werde sterben. Vance hat entweder nicht verstanden, wie die Politik in Europa funktioniert - ja, es gibt mehr als zwei Parteien, und Koalitionen sind in vielen Ländern üblich -, oder er tut einfach so, weil es opportun im Auge Trumps erscheint.
Das machen die Republikaner auch im eigenen Land, behaupten wie hypnotisiert, sie hätten ein überwältigendes Votum für ihre Politik erhalten. Knapp die Hälfte der US-Wähler würde dem widersprechen. Doch damit rechtfertigen die Republikaner eine Politik aus dem Weißen Haus, die Millionen Menschen in Angst und Schrecken vor möglicher Abschiebung versetzt und den Staat wie einen Konzern behandelt, an dem sich aller Voraussicht nach nur eine neu definierte Elite bereichern wird: Trump und seine Verbündeten. Das ist die neue Realpolitik.
"Soziale Gerechtigkeit loswerden"
In ihrem Buch "Autocracy, Inc." hat die Autorin Anne Applebaum im vergangenen Jahr die Welt als internationales Netzwerk von Autokraten beschrieben, die einander den Rücken stärken, um zum eigenen Vorteil ihre Geschäfte zu machen. Wird Donald Dealmaker, der transaktionale Trump, diesem exklusiven Club beitreten und sich mit anderen starken Männern die Welt aufteilen? Ein Treffen mit Putin, eine Riviera in Gaza, Kanada als 51. Bundesstaat, eine Kryptostadt in Grönland und die US-Fahne in Panama?
Wie auch immer diese Angelegenheiten ausgehen werden: Putin ist stärker als die Ukraine und deshalb für Trump nützlicher. Warum also noch weiter Geld in Kiews Rachen werfen? Die Autokraten sind in dieser postfaktischen Welt nur jene, die nicht die eigenen Vorstellungen vom Recht des Stärkeren verfolgen. Es ist egal, dass weniger Regeln und Schutzmechanismen immer die Schwächeren schwächen. Oder, wie es zuletzt der republikanische US-Senator Tommy Tuberville ausdrückte: "Wir müssen diesen Nonsens der sozialen Gerechtigkeit endlich loswerden."
In München tönt Vance, in Europa sei niemand an die Wahlurne gegangen, um "die Fluttore für Millionen unüberprüfte Migranten zu öffnen". Na klar, wenn man sonst nichts Inhaltliches sagen darf, prügelt man eben auf die Menschen mit der schwächsten Lobby ein: Schutzsuchende und Einwanderer. Dazu schwadroniert der Vize über seine Vorstellung von Demokratie. Schließlich funktioniert diese auch in den USA. Den Menschen dort wird von rechts vermittelt, das Leben sei ein Verteilungskampf und jeder habe das Recht, nach unten zu treten.
Fernsehshow im Oval Office
Eben so haben Trump und Vance die Wahl gewonnen. Nun sonnen sie sich im Erfolg und lassen es Europa mit aller Überheblichkeit spüren. "Wenn wir zehn Jahre Greta Thunberg überleben können, könnt ihr ein paar Monate Elon Musk überleben", scherzt Vance mit einem schiefen Vergleich auf der Bühne. Niemand im Publikum lacht.
Während der Präsident in Washington seine Fernsehshow im Oval Office abhält, Dekrete unterschreibt und Lakaien um sich schart, seine rechte Hand Elon Musk ganze Ministerien einstampfen möchte, ist der Kongress nur Nebensache. Das Weiße Haus stellt Gerichte infrage, ignoriert Urteile; pfeift Staatsanwaltschaften zurück, die gegen politische Verbündete ermitteln; reißt die Verteidigung der Bürgerrechte ein. Ist das die Demokratie, die Vance für Europa anmahnt?
Quelle: ntv.de