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Lehren aus Trump Diese USA sind kein verlässlicher Partner mehr

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Trump und seine Regierung folgen nicht den Linien traditioneller Bündnisse, sondern einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Dagegen sollte Europa sich wappnen, argumentiert Timo Lochocki (Archivbild von 2017).

Trump und seine Regierung folgen nicht den Linien traditioneller Bündnisse, sondern einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Dagegen sollte Europa sich wappnen, argumentiert Timo Lochocki (Archivbild von 2017).

(Foto: AP)

Die innere und äußere Souveränität der EU und Deutschlands ist in diesen Tagen bedroht wie vielleicht noch nie seit 1945. Darauf muss Europa endlich reagieren.

Schon die ersten Tage und Wochen der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump haben sehr deutlich gemacht, was Europa künftig von den USA zu erwarten hat. Kurz gesagt: Europa droht erpressbar zu werden. Und es ist zu abhängig von einem Diskursraum, der unsere Demokratie bedroht.

Die erste der beiden Bedrohungen erwächst aus dem transaktionalen Charakter der amerikanischen Außenpolitik. Soll heißen: Trump und seine Regierung folgen nicht den Linien traditioneller Bündnisse, sondern einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Im Nahen Osten treten die USA nicht mehr als Vermittler auf. Stattdessen will Trump den Gazastreifen "übernehmen" und ein Immobilienprojekt daraus machen. Den Waffenstillstand hat Trump mit seinem Vorstoß nicht befördert, sondern gefährdet.

Ähnlich ist es in der Ukraine. Die von Trump und Putin geplanten Friedensgespräche dürften ganz im Sinne Russlands verlaufen. Die Interessen der Ukraine spielen allenfalls am Rande eine Rolle. Bereits geleistete Unterstützung wollen sich die USA mit Bodenschätzen bezahlen lassen.

Noch sehr viel lohnenswerter wird es für Trump und die USA sein, sich den nuklearen Schutzschirm über Europa bezahlen zu lassen. Entweder durch Schutzzölle, Handelsvorteile oder direkte Überweisungen. Das wäre wie ein Schutzgeld für Söldnertruppen, die kaum eigene Motivationen hätten, den zugesagten Schutz auch tatsächlich zu leisten. Plakativ formuliert wäre das so, als hätte Indien die nukleare Abschreckung Europas im Kalten Krieg gewährleistet.

Als hätte die Sowjetunion die Hälfte der bundesdeutschen Medien kontrolliert

Die zweite Bedrohung: Die großen Digitalunternehmen in den USA suchen die Nähe zur Trump-Regierung oder machen ganz unverhohlen gemeinsame Sache mit ihr. Weder diese Konzerne noch die US-Regierung haben ein Interesse daran, den Diskurs auf ihren Plattformen nach den Spielregeln der liberalen Demokratie zu führen.

Faktisch hat diese unheilige Allianz das Gegenteil zum Ziel: Sie wollen die Debatten polemisch, polarisiert und rechtspopulistisch aufgeladen führen. Dies nutzt den Digitalunternehmen, da dies mehr Klickzahlen und somit Werbeeffekte mit sich bringt; und es nutzt der Trump-Regierung, da dies die demokratischen Mitte-Parteien schwächt und rechtspopulistische Parteien wie die AfD stärkt, die Trump als seine Verbündeten sieht.

Die kombinierten Interessen dieser unheiligen Allianz sind ein Fundamentalangriff auf die liberale Demokratie in der EU und in Deutschland. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte würden Akteure den deutschen Debattenraum definieren, die darauf zielen, den demokratischen Diskurs zu destabilisieren. Um erneut einen leicht überspitzten Vergleich zum Kalten Krieg zu wagen, wäre dies so, als hätte der sowjetische Geheimdienst KGB im Kalten Krieg die Hälfte der deutschen Zeitungen und Fernsehsender kontrolliert.

Doppelte Bedrohung, doppelte Chance

Die innere und äußere Souveränität der EU und somit Deutschlands ist somit in diesen Tagen im Kern bedroht wie vielleicht noch nie seit 1945. Die größte Bedrohung für unsere Sicherheit geht nun erstmals nicht von China oder Russland aus, sondern - wenn sie ihren Kurs nicht wechselt - von der aktuellen US-Regierung. Denn sie hat direkten Einfluss auf unsere Debattenräume. Sie ist es, deren nukleare Abschreckung uns vor militärischen Angriffen schützt.

Für uns stellt diese Bedrohungslage aber auch eine doppelte Chance dar. Die Notwendigkeit ist in diesen Tagen so offenkundig wie nie zuvor: Europa muss sich endlich unabhängig von den USA aufstellen. Dann könnten wir aus einer Position der eigenen Stärke heraus wieder als ernst zu nehmender Verhandlungspartner für eine Trump-Regierung oder deren Nachfolger wahrgenommen werden.

Erstaunlicherweise werden diese fundamentalen Bedrohungen in Deutschland und Europa so gut wie gar nicht diskutiert. Ich will nicht dafür plädieren, im Wahlkampf über diese Themen zu streiten, dafür sind sie viel zu ernst. Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass diese Entwicklungen Deutschland viel stärker bedrohen als die Themen, die den Wahlkampf bisher dominieren, die AfD oder das Migrationsthema. Beides sind wichtige Themen, die zu Recht diskutiert werden. Aber Trump und die Digitalriesen aus den USA sind unvergleichlich wichtiger.

Wir schlafwandeln in einen Vasallenstatus

Unsere Ausgangslage ist die Folge der destruktiven Wirkung des Kulturkampfes, der die liberalen Demokratien weltweit geschwächt hat und weiterhin schwächt. Denn er lenkt von den realen Herausforderungen ab und macht zunichte, was liberale Demokratien zum Überleben brauchen: die Kompromissfähigkeit der Mitte-Parteien. Wenn wir in dieser Situation nicht deutlich reagieren, als Deutschland und als Europa, dann schlafwandeln wir in eine dramatische Abhängigkeit gegenüber autoritären Regimen. Dann würde wahr, was linke und rechte Populisten schon jetzt behaupten: Dass Europa ein Vasall der USA ist.

Nehmen wir die Geschichte als Zeugen, die sich zwar nicht wiederholt, aber durchaus reimt: Die Kombination aus autoritären Bewegungen und neuen Medien findet sich immer wieder vor politischen Umwälzungen zum Schlechten. Die Nazis entdeckten einst das Radio für ihre Propaganda, die Neue Rechte in den Achtzigern spielte mit privaten TV-Stationen und der Aufschwung der Rechtspopulisten in der jüngeren Vergangenheit hat viel damit zu tun, dass sie die Sozialen Medien erfolgreich nutzen.

Europa braucht ein eigenes nukleares Potenzial

Die gute Nachricht ist aber, dass es für diese Herausforderungen Lösungen gibt. Die Franzosen machen es uns gerade vor: eine eigenständige Atommacht, die in diesen Wochen Dutzende Milliarden in digitale Themen und KI investiert. Die nächste Bundesregierung sollte ähnlich handeln. Sie muss einen Staatenverbund der am meisten bedrohten liberalen Demokratien Nord- und Osteuropas anführen, eine Hanse 2.0, wie ich sie in meinem Buch "Deutsche Interessen" nenne. Sie muss so große Investitionen in Digitales und KI ermöglichen, dass wir die Grundlagen der Infrastruktur und der KI der US-Digitalriesen zumindest im Kern ersetzen können.

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Darüber hinaus muss die Debatte über eine nukleare Abschreckungsfähigkeit Europas gänzlich anders geführt werden als bisher. Ohne Not werden Briten und Franzosen ihre nuklearen Streitkräfte nicht europäisieren. Eine Hanse 2.0 muss also ihr eigenes nukleares Abschreckungspotenzial aufbauen. Dies würde auch die Wahrscheinlichkeit enorm erhöhen, dass Franzosen und Briten bereit sind, ihre Streitkräfte unter europäischen Befehl zu stellen. Denn was nutzt es ihnen, wenn im Jahr 2035 topmoderne nordeuropäische Nuklearstreitkräfte neben den veralteten französischen und britischen stehen?

Merz wird bald merken, was Trump von der Union hält

Diese beiden Vorschläge - der Aufbau einer Hanse 2.0, die eine eigenständige europäische Digitalinfrastruktur sowie ein nukleares Abschreckungspotenzial gewährleistet - stehen beispielhaft dafür, wie uns die radikal veränderte Weltlage ein komplett neues Denken aufzwingt. Beides ist möglich. Die Ressourcen sind vorhanden. Die Hanse 2.0 verfügt über die dreifache Wirtschaftskraft der Atommächte Frankreich und Russland, hochinnovative Volkswirtschaften und extrem niedrige Staatsverschuldungen. Die Kosten sind zu stemmen. Wir müssen die Welt nicht neu erfinden; Deutschland und die Hanse 2.0 sind ungeschliffene Diamanten.

Derzeit sieht es so aus, als werde die Union die nächste Bundesregierung anführen. Gerade eine solche Regierung hätte ein massives Interesse an der hier skizzierten Politik. Zwar glaubt mancher, die Trump-Regierung würde einem CDU-Kanzler deutlich gewogener gegenüberstehen als einer progressiven Ampel; schließlich will die Union die Verteidigungsausgaben erhöhen und in der Migration klare Kante zeigen.

Doch für die unheilige Allianz aus Trump und den US-Digitalriesen ist die Union der eigentliche Hauptgegner: Sie steht für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, die Trump hasst; sie ist das letzte Bollwerk gegen die AfD, die Trump und Musk an der Regierung sehen wollen. Die Union und der mutmaßlich künftige Kanzler Friedrich Merz werden bald merken, dass sie für Trump nicht der wichtigste Alliierte, sondern der zentrale Rivale sind.

Vier Chancen

Aber auch darin liegt eine Chance - für uns alle, aber gerade für die CDU: Erstens, die digitale und nukleare Souveränität der Hanse könnte durch massiven Ankauf von US-Knowhow erfolgen. Hier liegen viele gute "Deals" für Trump. In der Folge würde dies die Hanse auf Augenhöhe mit den USA hieven, was wiederum die Wahrscheinlichkeit auf die Rückkehr zu einer echten transatlantischen Partnerschaft deutlich erhöht.

Zweitens würde die CDU an ihre stolze Tradition anknüpfen. Ein Kanzler Merz würde ganz im Stile der großen Demokraten und Europäer Konrad Adenauer und Helmut Kohl handeln: Auch sie banden durch mutige Politik die EU an die USA. Drittens würde das mutige Vorangehen einiger EU-Staaten auch Europa insgesamt stabilisieren. Denn im Erfolgsfall, so viel ist sicher, würde der Rest der Europäischen Union folgen. Viertens würde Merz durch die Sicherung der liberalen Debattenräume und das Aufzeigen deutscher Stärke der AfD viele Wähler nehmen. So würde er beweisen, dass die Union das wahre Bollwerk gegen die AfD darstellt.

Dies durchzusetzen, ist im deutschen Interesse. Aber zugleich im Interesse aller liberalen Demokraten.

Der Autor: Timo Lochocki ist Politologe, er hat als Wissenschaftler und Politikberater gearbeitet. Während der Covid-19-Pandemie hat er das Referat Strategische Planung im Bundesgesundheitsministerium geleitet. Aktuell ist er Visiting Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Quelle: ntv.de

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