Staatsfeinde gehören verboten Keine Angst vor einem Verbotsverfahren gegen die AfD


Die Chefin der Partei und das Machtzentrum der AfD Arm in Arm: Weidel und Höcke im April 2023 in Erfurt.
(Foto: IMAGO/Karina Hessland)
Die Stimmen für ein Verbot der AfD mehren sich. Die demokratischen Parteien zögern aber noch. Ihre Ängste sind nachvollziehbar, doch ein taktisches Verhältnis zum Rechtsextremismus verbietet sich. Es ist höchste Zeit, dass die AfD wieder den Rechtsstaat fürchtet statt andersherum.
Angst ist ein schlechter Ratgeber, im echten Leben genauso wie in der Politik. Hört man nun den demokratischen Gegnern eines Verbotsantrags gegen die AfD zu, muss man aber feststellen, dass Angst ihr maßgebliches Motiv ist: Angst davor, die AfD noch stärker zu machen, wenn sich diese während der Verfahrensdauer mehr denn je als verfolgte Unschuld inszenieren kann. Angst vor einem blamablen Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht, wie es im Fall der NPD gleich zweimal passiert ist. Angst, die eigene Ratlosigkeit im Kampf gegen immer stärkeren Zuspruch zur AfD in den Umfragen zu offenbaren. Doch ein derart taktisches Verständnis zur Möglichkeit eines Parteienverbots widerspricht dem Prinzip der wehrhaften Demokratie: Wenn die AfD es auf die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats abgesehen hat und dazu auch potenziell in der Lage ist, gehört sie verboten. Punkt.
Die Unsicherheiten sind nachvollziehbar und sollten natürlich abgewogen werden. Hierfür bleiben auch noch ein paar Wochen Zeit: Wenn aber das Bundesverfassungsgericht demnächst über die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz urteilt, ist der Entscheidung über einen Verbotsantrag kaum mehr auszuweichen. Die Sache hat sich erledigt, wenn die AfD Recht bekommt. Wahrscheinlicher ist aber das Gegenteil und die Urteilsbegründung dürfte mehr als nur einen Fingerzeig enthalten, für wie gefährlich das Bundesverfassungsgericht die AfD hält. Wenn aus Karlsruher Sicht eine Überwachung der Partei gerechtfertigt ist, warum dann nicht auch von den Richtern ein Verbot prüfen lassen?
Mit der NPD nicht zu vergleichen
Einen gänzlich risikofreien Verbotsantrag kann es erst geben, wenn es schon zu spät ist. Der erfolgreiche Ausschluss der NPD, die sich inzwischen Die Heimat nennt, von der staatlichen Parteienfinanzierung verleitet zur irrigen Annahme, dass dieses vermeintlich sanftere Mittel das geeignetere Instrument im Kampf gegen die AfD sein könnte. Doch der Vorgang taugt nicht zum Vorbild. Die Antragsteller Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben auf die neu geschaffene Möglichkeit eines Ausschlusses von der Parteienfinanzierung zurückgegriffen, weil Karlsruhe zuvor ein Verbot abgelehnt hatte. Die Richter erkannten in der verzwergten NPD schlicht kein Potenzial mehr zur Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats - was sie eindeutig vorhatte.
Bei der AfD verhält es sich andersherum: Ihre Macht wächst und wächst, während ihre Staatsfeindlichkeit weniger offensichtlich ist. Auf dem Papier bekennt sie sich unstreitig zum Prinzip von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Zugleich untergraben zentrale Funktionäre in Wort und Tat das politische System der Bundesrepublik, indem sie ihr den demokratischen Charakter absprechen. Es wird von Partei-Eliten geraunt, die losgelöst vom Mehrheitswillen - sprich: demokratisch nicht legitimiert - agierten. Es wird behauptet, die Bundesrepublik sei kein souveräner Staat und die Bundesregierung von den USA gesteuert. Und immer wieder werden antisemitisch anklingende und muslimfeindliche Verschwörungserzählungen verbreitet. "Globalisten" und "Bevölkerungsaustausch" sind in diesem Zusammenhang gebräuchliche Chiffren.
Die Institutionen sind stark, ihr Fundament angreifbar
Die AfD vergiftet die politische Stimmung im Land und nutzt die Parlamente als Bühne und die Parteienfinanzierung als Ressource ihres Propagandawerks. Sie zersetzt damit das Fundament der Demokratie, nämlich das Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Institutionen. Auf legalem Weg sind diese kaum zu zerstören. Mehr oder weniger gleichzeitig die Kontrolle über Bund, Länder, Bundesgerichte und Medienanstalten zu gewinnen, wird ihr in keinem absehbaren Szenario gelingen. Aber jedes weitere Mandat, jeder weitere Euro, jeder weitere Talkshow-Auftritt gibt der AfD Gelegenheit, mit Halbwahrheiten und blanken Lügen den Zusammenhalt des Landes und damit die Widerstandskraft der Gesellschaft zu schleifen.
Und zu eben diesem Vorgehen der AfD braucht es ein Urteil aus Karlsruhe. Die Richter werden mit einer ganz anderen Partei konfrontiert sein, als die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich bei der Konstruktion der wehrhaften Demokratie hatten vorstellen können: keine Schlägertrupps wie in der Weimarer Republik, stattdessen Hetze auf Tiktok. Keine offen vorgetragene Forderung nach einem autoritären Staat, sondern die Diskreditierung der Bundesrepublik als Diktatur. Die allermeisten AfD-Wähler sind nicht einmal rechtsextrem und auch ein guter Teil ihrer Mitglieder hängt keinem geschlossen rechtsextremen Weltbild an. Doch weder Wähler, Mitglieder noch Funktionäre der Partei widersprechen oder wenden sich ab, wenn relevante Führungsfiguren mit Aktivisten der Neuen Rechten klüngeln, politische Gegner verächtlich machen oder gegen Minderheiten hetzen.
Angst haben muss die AfD
Im Gegenteil: Sie leugnen oder spielen diese unzähligen Vorfälle und Beobachtungen herunter. Mitglieder und Wähler sind das Benzin, das die Flamme zum Flächenbrand macht. Es sei denn, sie müssen das Ende des aus ihrer Sicht nationalkonservativen Projekts AfD fürchten. Ein mehrjähriges Verbotsverfahren während der Landtagswahlen im Osten und der Bundestagswahl würde der AfD eben nicht nur ermöglichen, sich als Märtyrer zu inszenieren. Sie müsste sich in dieser Zeit auch mehr als zuletzt am Riemen reißen, um den Antragstellern eines Verbots nicht weiteres Futter zu liefern.
Die Verbotsdrohung hatte schon immer disziplinierende Wirkung auf die AfD, auch wenn sie das bestreitet. Die Ausschlüsse von zu offen extremen Abgeordneten aus fast jeder AfD-Fraktion in den Landesparlamenten und im Bundestag sowie der Rauswurf von Andreas Kalbitz aus der Partei sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Andersherum zeigen die immer unverhohleneren Kontakte zur Neuen Rechten und die selbstbewussten Auftritte des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke, dass die Furcht vor Karlsruhe zuletzt nachgelassen hat. Es ist an der Zeit, dass die AfD als ganzes wieder den Atem des Rechtsstaats im Nacken spürt.
Quelle: ntv.de