
Kubitschek und Höcke waren nicht in Potsdam, bilden aber die personifizerte Brücke zwischen der Neuen Rechten und der AfD.
Nach Bekanntwerden eines rechtsextremen Netzwerk-Treffens in Potsdam spielt die AfD dessen Bedeutung herunter. Tatsächlich handelt es sich bei der Veranstaltung weniger um einen Extremfall als um System: Die Partei ist personell eng verknüpft mit der Neuen Rechten, die Deutschland umkrempeln will.
Eine "hinterhältige Kampagne von Politikern und Journalisten der linken Klasse" wähnt Bernd Baumann hinter der Berichterstattung über ein Treffen von Rechtsextremen und völkischen Nationalisten in Potsdam, an dem auch AfD-Funktionäre teilgenommen haben. "Da werden selbst kleine private Debattierclubs zu gemeingefährlichen Geheimtreffen aufgeblasen", schimpfte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD am Donnerstag im Bundestag. Tatsächlich war die Veranstaltung im vergangenen November aus Sicht von AfD'lern gar nicht so ungewöhnlich. Politiker, Aktivisten und Finanziers des Rechtsaußen-Lagers treffen sich immer wieder in diskreten Formaten. Diesmal aber hatte das Recherchekollektiv "Correctiv" mitgefilmt und mitgehört. So ist nicht nur öffentlich geworden, wie zumindest in Teilen der AfD gedacht und geredet wird, sondern auch, mit wem man so Kontakt hält - und sei es nur zum Gedankenaustausch.
"Was irgendein Vortragsredner auch immer sagt oder nicht sagt, kann nicht der CDU oder AfD zugeordnet werden", sagte Baumann noch über die Rede von Martin Sellner, in der es um die massenhafte Ausweisung von Zuwanderern und deutschen Staatsbürgern gegangen sein soll. Laut "Correctiv" waren auch zwei CDU-Mitglieder anwesend, allerdings keine relevanten Funktionäre. Die beiden CDU-Mitglieder gehören zudem der sogenannten Werteunion an, mit der die meisten Christdemokraten nichts zu tun haben wollen. Der Kontakt zwischen Sellner und Teilen der AfD dagegen folgt einer Logik und Systematik, die die AfD ganz bewusst nicht öffentlich wissen will. Erstens, um bürgerliche Wähler nicht abzuschrecken und die Fassade einer Rechtsstaatspartei aufrechtzuerhalten. Zweitens, um keine weiteren Gründe für ein Parteiverbotsverfahren zu liefern.
Der neurechte Traum vom homogenen Staat
Sellner wird schließlich vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft, genauso wie die Identitäre Bewegung (IB). Deren Sprecher war Sellner einst und auch wenn die IB im Vergleich zu den 2010er-Jahren an Bedeutung verloren hat, war sie doch ganz wesentlich für das, was man die Neue Rechte nennt. Eine breite und heterogene Bewegung von Rechtsextremisten, die losgelöst vom historischen Faschismus sozialdarwinistische Ideen propagiert, die liberale Demokratien genauso ablehnt wie ethnische und kulturelle Vielfalt. Sie ist der immer erfolgreichere Versuch, mit lange Zeit überholt scheinenden gesellschaftlichen Vorstellungen wieder zu einer kulturellen Herrschaft zu finden, die schließlich in politische Dominanz mündet.
Die IB und Sellner waren eine ganze Weile eine der wichtigsten Bewegungen innerhalb der sogenannten Neuen Rechten. Diese betätigt sich vor allem im medialen Raum, um extrem rechte Positionen als Teil der Mehrheitskultur zu verankern. Sellner war es, der in Potsdam über die Massenabschiebung von Ausländern referierte - Ausreisepflichtigen genauso wie auch deutsche Staatsbürger, die nicht voll "assimiliert" seien.
Sellner führt seine Ideen zu dieser "Remigration" - dem Unwort des Jahres - in einem unter gleichnamigem Titel beim neurechten Antaios-Verlag erscheinenden Buch aus. Der Verlag bewirbt das Buch mit der Aussage, dass es darin eben nicht um "unmenschliche Szenarien" und "Vertreibung" gehe. Ziel sei, "kulturell, ökonomisch, politisch und religiös nicht assimilierbare Ausländer" mittels Anreizen und juristischem Druck zur Ausreise zu bewegen. Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, welche Stimmung in Deutschland herrschen muss, wenn jedes Abweichen von einer vermeintlichen deutschen Mehrheitskultur bedeutete, nicht willkommen zu sein.
Überschneidungen mit Identitären
Der Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer kommentierte den "Correctiv"-Bericht auf X mit den Worten: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen. Für mehr Sicherheit. Für mehr Gerechtigkeit. Für den Erhalt unserer Identität. Für Deutschland." Die AfD relativierte später zwar, unter anderem am Donnerstag im Bundestag, ihr gehe es um die Menschen ohne Bleiberecht sowie 600.000 Menschen aus Syrien, in deren Heimatland gar kein Krieg mehr tobe. Nur wie kommt Springer dann auf "Millionen" Menschen, die die AfD zurückführen wolle?
Die geistige Nähe der AfD zu den Identitären, ein Höchstmaß an Menschen mit Migrationshintergrund loswerden zu wollen, ist offenkundig. Die AfD hat sich auf dem Papier zwar wiederholt von der IB distanziert und auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss von Mitgliedschaften verankert. Doch haben Beobachter wiederholt personelle Überschneidungen festgestellt. Mehrere Personen, die sich früher im IB-Umfeld bewegt haben, sind heute für AfD-Politiker tätig, wie zum Beispiel der bei dem Potsdam-Treffen anwesende Mario Müller, Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. 2017 war Müller Teil einer kruden Aktion "Defend Europe", einer Art umgekehrten Seenotrettungsmission im Mittelmeer, zu der er sich auch im neurechten Magazin "Sezession" interviewen ließ.
Von den Identitären zu "EinProzent" und Kubitschek
Ebenfalls in Potsdam anwesend war Ulrich Siegmund, AfD-Landtagsfraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt. Der mokierte sich auf Facebook über die Berichterstattung zum Potsdam-Treffen, es werde ja inzwischen jeder als "Neonazi" bezeichnet, der auch nur einer regelmäßigen Arbeit nachgehe. Noch ausführlicher äußert sich Siegmund zu den Vorwürfen gegen ihn in einem am Mittwoch veröffentlichten Podcast-Interview der Plattform "EinProzent". Dies ist eine Vernetzungs- und Kampagnenplattform der Neuen Rechten und hat damit eine Scharnierfunktion.
In dem Podcast waren schon diverse AfD-Funktionäre zu Gast. "EinProzent" bewarb auch Demonstrationen gegen Flüchtlinge, verbreitet neurechte Propaganda und stand mit Teilen der Identitäten Bewegung im Austausch, etwa bei einem rechten Hausprojekt in Halle, wo wiederum auch die AfD ein Bürgerbüro unterhielt. Chef von "EinProzent" ist Philip Stein, ein früherer Burschenschafter der weit rechts stehenden Marburger Burschenschaft Germania. Stein steht verschiedenen Berichten zufolge Götz Kubitschek nahe, dem vielleicht einflussreichsten Netzwerker der Neuen Rechten und Freund des Thüringer AfD-Landesparteichefs Björn Höcke. Stein veröffentlicht selbst Bücher in seinem Jungeuropa Verlag, vertreibt aber über "EinProzent" auch die Bücher aus Kubitscheks Verlag Antaios, in dem wiederum mehrere Bücher von Martin Sellner veröffentlicht werden, darunter das erwähnte "Remigration".
Ebenfalls Interviewgast von Philip Stein und regelmäßiger Autor bei Sezession ist Benedikt Kaiser. In seiner Jugend und seinen frühen Zwanzigern war Kaiser aktiv in rechtsextremen Kameradschaften in der Region Chemnitz, darunter eine 2014 verbotene neonazistische Gruppierung, und auf NPD-Aufmärschen zugegen. Er wandte sich der Neuen Rechten zu, arbeitete ab 2013 in Kubitscheks Verlag und für dessen Zeitschrift "Sezession". Dort veröffentlichte er 2022 eine Schrift über für die AfD zu adaptierende Strategien linker Parteien. Im Mai 2023 machte die "Welt" öffentlich, dass Kaiser als Mitarbeiter des Thüringer Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl beschäftigt ist.
Identitäres Gedankengut in der AfD
Ein anderes Beispiel ist der schon erwähnte Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete Springer, der nach Recherchen der "taz" den früheren IB-Aktivisten Jonas Schick beschäftigt, der ebenfalls für Kubitscheks "Sezession" schreibt. Zudem gebe Schick die Zeitschrift "Die Kehre" heraus, die Ökologie-Themen von rechts zu besetzen versucht. Seit vielen Jahren schon suchen rechtsextreme und völkische Vordenker den Schluss zwischen Blut-und-Boden-Ideologie, reaktionärer Heimatromantik und Umweltthemen. Ein "Feigenblatt" sei die Abgrenzung der AfD zur Identitären Bewegung, befindet die "taz". Tatsächlich lassen sich immer weitere Querverbindungen finden: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron war bis 2017 zeitweise vom bayerischen Landesverfassungsschutz beobachtet worden, weil er offensiv Sympathien zur IB bekundet hatte.
Kaiser, Kubitschek, Müller, Sellner, Schick, Stein: lauter Aktivisten der neurechten Szene mit teils gewalttätiger Vergangenheit und besten Verbindungen zur AfD. Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch sagte dem RBB, dass die früheren IB-Aktivisten weitgehend aufgegangen seien in der Neuen Rechten und der AfD: "Wenn wir gucken, was identitäre Aktivisten heute tun und wo das identitäre Gedankengut sich heute findet, dann müssen wir in die Flure der Parlamente gucken, in die Flure der AfD-Fraktion." Zudem fließen über die Anstellungen dieser Aktivisten Gelder direkt in die Vorfeldnetzwerke, die es der AfD ermöglichen, auch mit offen staatsfeindlichen Akteuren und Organisationen einen klandestinen Austausch zu pflegen.
Fliegt so etwas doch mal auf, dann heißt es wie nach dem Potsdam-Treffen, dass die AfD nicht verantwortlich gemacht werden könne für Äußerungen parteifremder Personen, mit denen sich vereinzelte AfD-Funktionäre austauschen. AfD-Landesfraktionschef Siegmund erklärte gar seine Teilnahme an dem Treffen in Potsdam via Anwalt zur "Privatsache", während er im "EinProzent"-Podcast darüber sprach, in seinem Gastvortrag über die Folgen eines AfD-Wahlsieges geredet zu haben.
Weidel bemüht sich um Distanz
Zugleich wird mit dem Vorgang in Potsdam auch ein Zwiespalt innerhalb der AfD augenfällig: AfD-Chefin Alice Weidel beendete nach den Berichten über das Potsdam-Treffen die Zusammenarbeit mit ihrem Referenten Roland Hartwig, der dort ebenfalls anwesend war. Begründet wurde die Trennung nicht. Zuvor hatte die AfD noch wissen lassen, dass Hartwig vorab nichts von der Anwesenheit Sellners gewusst habe. Weidel scheint demnach bemüht, die offizielle Distanz der AfD zur Neuen Rechten zu wahren. Wie Weidel zu Höcke steht, der als eigentliches Machtzentrum der Partei gilt, war vielfach spekuliert worden - bis Weidel sich im April 2023 auf einer AfD-Kundgebung in Erfurt strahlend an Höckes Seite zeigte.
Das von Höcke-nahen Politikern dominierte Lager der ostdeutschen Landesverbände schämt sich seiner Kontakte zur Neuen Rechten nicht, wie auch die Mitarbeit von Kaiser, Müller und Schick in der Fraktion zeigen. Entsprechend offensiv fielen auch die Reaktionen von Siegmund oder Springer aus. Zugleich sinnierte Siegmund im Interview mit "EinProzent"-Chef Stein, dass der "Correctiv"-Bericht womöglich einem nun wieder breit diskutierten AfD-Verbotsverfahren Futter liefern solle. Schließlich müsste der Antragsteller eines Parteienverbots nachweisen, dass die AfD die Demokratie in aggressiver Manier abschaffen wolle. Doch wirklich zu ängstigen scheint ihn das nicht. Er rechnet fest mit einer nahenden Regierungsbeteiligung der AfD im Osten.
Quelle: ntv.de