
Greta Thunberg - hier bei einem Klimaprotest am 19. Oktober in London.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Es gibt Linke, die das Massaker an den Israelis kaltlässt. Diese Reaktion lässt ganze Ideologien implodieren. Mit manchen Menschen ist jede Debatte vergebens.
Es ist nicht schwer, einen Idioten zu erkennen. Meine Faustregel: Wer sich besonders viele Etiketten aufklebt, ist ein Idiot. Im Internet sind das Leute, die sich besonders viele Flaggen, Emojis und Symbole in die Biografie tackern, manchmal auch eitle Eigenbeschreibungen, dann heißt es männisch "Freigeist" oder "Klardenker". In der analogen Welt waren und sind dies Autoaufkleber. Früher kennzeichneten sich Sylt-Dödel mit Inselumrissen, Ökos hatten die "Atomkraft? Nein danke!"-Sonnen und heute pappen sich manche einen "Fuck you Greta"-Aufkleber hintendrauf.
Das Problem mit meiner Faustregel ist dieses: Ich will gerade selbst einen solchen Greta-Aufkleber und ich will auch einen Verbrenner, wo ich ihn mit grimmigem Vergnügen draufpappen kann. Was ist denn mit mir los? Das mit dem Auto kann ich noch rationalisieren, weil die komplett kaputte, ganz und gar unrettbar verrottete Deutsche Teufelsbahn die Strecke zwischen Berlin und Hamburg vollsperrt, das ist kein Witz, als müssten keine Menschen von der einen in die andere Großstadt.
Ich spüre auch in anderen Dingen einen inneren Rechtsruck. Er korrespondiert mit einem äußeren Rechtsruck. Oder vielmehr: Einer Enttäuschung über Linke - also nicht die grad zerbröselnde Partei, sondern linke, bisweilen progressive Ideologien.
Was heißt "free palestine"?
Den Greta-Aufkleber hat sich Greta, so viel gehört zur Wahrheit, in diesen Tagen redlich verdient. Die Klimaaktivistin hat Millionen hypnotisiert und nutzt diese Geistesherrschaft nun für ihre Endlösung des Nahostkonflikts: "Free palestine", ruft sie in die Welt, neben sich einen kleinen Kraken, der aber, huch, natürlich nicht antisemitisch gemeint war. Kann passieren, als in der Schule gängige judenfeindliche Chiffren drankamen, saß Greta ja draußen mit diesem Pappschild.
Aber "free palestine"? Was das bedeutet, darüber lässt sich streiten. Manche meinen eine Befreiung palästinensischer Menschen in den besetzten Gebieten, also im Westjordanland, manche meinen ein Ende der Grenzkontrollen in Gaza, wobei seltsamerweise immer nur die israelische Grenze gemeint ist, nie die verrammelt und verriegelte ägyptische. Und wieder andere meinen schlicht: Befreit die Welt von Israel. Und so eine Botschaft hält man in die Kamera?
Die Umweltbewegung zeigt an vielen Stellen Israelfeindlichkeit. "Fridays For Future International", ein offenbar unter komplett chaotischen Bedingungen betriebener Account, der sich Fürsprache für die Klimabewegung anmaßt, posaunt den lieben langen Tag israelfeindliche Texte und Bilder in die Welt. Für die deutsche Repräsentantin Luisa Neubauer ist das aber kein Grund für ein Rebranding der Bewegung - dabei wäre der Aufwand gering und "Fridays for Torture" klingt auch ganz ähnlich.
Schockierend "national"
Den Linken geht also die Klimabewegung verloren, aber auch auf linksversiffte Medien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist kein Verlass mehr. In den Tagesthemen schockiert gerade die Redakteurin Julia Ruhs mit der Ansage, Migrationspolitik müsse nun "national" gedacht werden, sie macht mit den Fingern die Anführungszeichen, weil sie weiß, da rasten jetzt einige aus.
Also rasteten einige aus. Auf X fragte eine Dame: "Was hat dieses halbgare Hühnchen mit Piepsstimme und rechter Bayern-Rhetorik in den Tagesthemen zu suchen?" Die angebliche Sozialdemokratin bezeichnet sich als "Gutmensch aus Überzeugung" - ich bin schon wieder sehr stolz auf meine kleine Faustregel.
Der eigentlich doch auch irgendwie linke Kanzler prangte auf dem "Spiegel" gerade mit der Zeile: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben." Abschiebungen haben einen grausamen psychischen Effekt, das weiß jeder, der sich mit solchen Verfahren beschäftigt, da werden Familien über Nacht auseinandergerissen, Lebensrealitäten zerschmettert, Freunde entzweit und so weiter.
Mein grimmiges Vergnügen
Trotzdem schaue ich mit grimmigem Vergnügen zu, als ein paar mutmaßlich arabischstämmige Tiktoker, einer im Unterhemd, mit aschfahlen Gesichtern und komplett konsterniert feststellen: Huch, Barrelo ist in Abschiebehaft, der Staat greift auf einmal durch! "Krass, krass, krass, krass", stammelt einer. Ja, krass, denke ich, krass geil.
Werde ich plötzlich rechts? Plötzliche Rechtswerdungen gab es ja schon so einige. Der Kolumnist Jan Fleischhauer hat darüber ein ganzes Buch geschrieben ("Unter Linken"). Doch dieser Tage häufen sich die Fälle. Im österreichischen "Standard" schreibt ein Sozialdemokrat und Flüchtlingshelfer: "Ab in Schubhaft und Tschüss im Idealfall. Feiere die Hamas-Mörder bei dir daheim. Baba und fall nicht." Da packt mich schon wieder grimmiges Vergnügen.
Manche meiner linken, linksprogressiven, sogar feministisch-genderwissenschaftlich gebildeten Freunde teilen meinen Grimm. Sie verhärten und rutschen Meter um Meter nach rechts. Sie sind abgestoßen und schockiert von der eiskalten Empathielosigkeit gegenüber Israel, die kerntief in ihren Ex-Helden steckt, an den gesellschaftlichen Spitzen: sei es Greta, Fridays for Future, Wissenschaftler, führende Politiker oder, ganz schlicht, die eigenen Freunde.
Links ins Bett und konservativ aufgewacht
Wie linke Ideen gerade am barbarischen Massaker der Hamas zerbrechen, hat der russisch-britische Satiriker und Politkommentator Konstantin Kisin präzise beobachtet. "Viele Menschen wachten am 7. Oktober als Progressive auf und gingen in der Nacht mit dem Gefühl ins Bett, konservativ zu sein", diagnostiziert er. Kisin arbeitet sich routiniert an den "Woken" ab und ich verweigere den Kulturkriegsdienst bekanntlich. Doch seine Analyse ist stichhaltig. Die Barbarei der Hamas und der schockierende Beifall, sei es in Gestalt des Schweigens, hat eines gezeigt: Mit manchen Menschen ist jede Debatte vergebens, hilft kein Dialog, keine Integration.
Beim Soziologen Armin Nassehi klingt es ähnlich. So beschreibt er das linke Innenleben: "Man universalisiert die eigene kleine Welt, die an die Macht des besseren Argumentes und an den Willen zur Einsicht glaubt, den man sich selbst gerne zurechnet." Die migrantische Realität in Deutschland erscheine - oha - "derzeit kaum zivilisierbar".
Das sind alles eher vergnügungslose, grimmige Feststellungen. Wohin führen sie?
Erstens: Die Gesprächsbereitschaft erlischt. Deshalb kann man Israel derzeit nicht zu Diplomatie "ermahnen" - eine weit unter dem Gefrierpunkt liegende Formulierung Christoph Heusgens, des früheren Beraters von Angela Merkel und heutigen Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz. Mit wem sollen die reden? Mit Leuten, die lebende Menschen anzünden? Genauso kann man Hamas-Fans in Deutschland nicht ermahnen; seien sie linker oder migrantischer Herkunft.
Zweitens: Es braucht andere Mittel anstelle des Gesprächs. Zwingende Israel-Bekenntnisse bei der Einbürgerung und schnelle, häufige Abschiebungen können solche Mittel sein. Andere Vorschläge habe ich in der vergangenen Kolumne zitiert. Härte kann wirken, denn Härte ist "krass, krass, krass, krass".
Wann ist rechts zu rechts?
Der Gewissenslinke in mir fragt sich natürlich, wie viel rechts zu rechts ist. In Dänemark pflügt der Staat migrantische Viertel gerade mit dem Bulldozer um, damit sich die Menschen da besser integrieren. An der Regierung sitzen Sozialdemokraten. Ich bin beruhigt: Da stellt sich in mir kein grimmiges Vergnügen ein - noch nicht.
Ich werde den inneren und äußeren Rechtsruck beobachten. Das ist kein Vergnügen, eher, um einen großen Linken zu zitieren, wie das Häuten der Zwiebel. Beobachten Sie doch mit, liebe Leserin, lieber Leser. Und sollte ich mir jemals ein Etikett wie "Freigeist" aufkleben, schreiten Sie bitte sofort ein.
Quelle: ntv.de