Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Wer stemmt sich gegen die Politik der braunen Krücken?

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Thüringens AfD-Landeschefs Höcke und der CDU-Vorsitzende Mario Voigt.

Thüringens AfD-Landeschefs Höcke und der CDU-Vorsitzende Mario Voigt.

(Foto: picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa)

Der Populismus macht in Deutschland täglich Landgewinne. Und nicht alles, was die Schwarz-Weiß-Sprecher anprangern, ist aus der Luft gegriffen. Gibt es denn rechts der Mitte niemanden, der sich dieser Entwicklung entgegenstellt?

Am Donnerstag war Warntag und damit auch alle aufwachen, haben CDU und FDP in Thüringen zusammen mit der AfD ein Gesetz beschlossen - oder, ich möchte keine schwarzen Gefühle verletzen, natürlich andersherum! Egal! Es war ja für einen guten Zweck: Es gibt Steuersenkungen fürs Eigenheim und wenn die Menschen irgendwo sicher sind vor der braunen Brut im Osten, dann ja wohl in den eigenen vier Brandmauern! Einen fröhlichen "Tag der Demokratie" allerseits!

Man darf ja nichts mehr sagen in Deutschland. Tatsächlich ist diese Abstimmung im Landtag Thüringen nämlich vor allem das: ein kommunikativer Akt. Steuersenkungen finde ich so geil wie jeder anständige liberal denkende Mensch, der damit bezweckte Häuslebau ist politisch klug, aber das Signal ist dann doch ein anderes. CDU und FDP rufen: Ja, wir haken uns bei der AfD unter, um auf braunen Krücken unsere Politik zu machen. Es ist ein Geben und ein Nehmen, man nimmt es bei der Freiheit und gibt es den Rechtsextremen, so geht Politik im Jahr 2023.

Was daran so schlimm sein soll, liegt Historikern auf der Hand und bleibt dem unpolitischen Bürger komplett verborgen. Einmal mehr finden die Eliten doof, was bei allen anderen zu Achselzucken führt. Diese Diskrepanz ist großartig, jedenfalls für Rechtspopulisten. Sie leben davon. Der Kern des Populismus ist die Erzählung, es gäbe ein homogenes "Volk", das sich wehren muss gegen Eliten, Linke, Grüne, Globalisten, Juden und so weiter; gegen alle, die jenes "Volk" umvolken, einsperren, deindustrialisieren, umerziehen. Demokratie ist also nicht etwa mühselige Kompromisssuche von völlig unterschiedlichen Interessengruppen, sondern die harte Faust "des Volks", die auf den linksgrünen Tisch niedersaust.

Populismus, wie ihn Populisten erklären

Die Reihe der Themen, die "die da oben" von "denen da unten" trennt, wächst: Klimaschutz nervt, Migration soll aufhören, die Banken soll man nicht retten, die Pandemie wüten lassen, die Globalisierung aufhalten, die Digitalisierung ausbremsen und mit dem nervigen Schuldkult aufhören. Alles bitte wie früher und dann bitte auch gleich zahlen, danke.

Die AfD hat daher aus genau überhaupt nicht überraschenden Gründen derart viel Aufwind, dass sie in Brandenburg bald den Ministerpräsidenten stellen könnte. Das unbraune Deutschland kratzt sich am Kopf und fragt sich: Wie konnte es so weit kommen? Dabei sind die Gründe seit vielen Jahren sonnenklar. Alexander Gauland höchstpersönlich hat die Triebfedern des Populismus einst in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vorgetanzt. Die Populisten erklären uns, wie der Bumms funktioniert, weil sie nichts fürchten müssen. Nur zuhören müsste man:

"Durch alle westlichen Gesellschaften zieht sich heute dieser Riss. Er ist ungeheuer vertieft worden, als plötzlich Abermilliarden Steuergelder vorhanden waren, um Banken zu retten, europäische Pleitestaaten zu finanzieren und Hunderttausende Einwanderer zu alimentieren. Es war eine Konstellation, die nach einer Fundamentalopposition verlangte. Diese Opposition konnte von rechts und links kommen, aber sie musste notwendig populistisch sein. Populistisch heißt: gegen das Establishment. Frau Wagenknecht hat das begriffen."

Das war vor fünf Jahren, jetzt steht Frau Wagenknecht vor der Parteigründung. Sie wird national und sozialistisch sein, man kommt aber irgendwie noch nicht so recht auf den richtigen Namen, ich frage mich, warum.

Geschmückt mit Nazi-Vokabeln

Zeitgleich bekommt die "die da oben"-Erzählung und das "man darf nichts mehr sagen"-Gesabbel täglich Nahrung, manchmal unweigerlich, manchmal mit Anlauf. Eine Auswahl dieser Tage: Weil Beamte sich aus irgendwelchen Gründen ständig Nazi-Zeug in Chats zusenden, will das Bundesland Nordrhein-Westfalen nun das Strafrecht verschärfen, sodass selbst private Nachrichten wegen Volksverhetzung strafbar sein können. Reicht das Disziplinarrecht nicht? Auf EU-Ebene will die EU-Kommission mithilfe von Ashton Kutcher Chats automatisiert nach Kinderpornografie durchleuchten. Was soll schon schiefgehen?

Der Tagesschau-Sprecher und Autor Constantin Schreiber will nicht mehr über den Islam sprechen, seit ihn Linksextreme drangsaliert und angegriffen haben. Ein Student muss 1500 Euro zahlen, weil er Deutschland wegen der Pandemiemaßnahmen als "Drecksstaat" beschimpfte. "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" sei das, findet die Staatsanwaltschaft. Politisch hilft es niemandem, einen Wutkopf vor den Strafrichter zu zerren - aber die Populisten feiern sich seit Tagen als Opfer des Schweinesystems.

Björn Höcke wiederum schmückt sich immer wieder mit Nazi-Vokabular, als wären es kecke Nippel-Piercings, und wird nun für seine Formulierung "Alles für Deutschland" vor dem Landgericht Halle angeklagt. "Alles für Deutschland" ist eine verbotene SA-Losung, allerdings dürfte es Höcke leicht fallen, sich da herauszulavieren - immerhin hat der "Spiegel" diese Formulierung schon über einen Kommentar gesetzt.

Das alte Spektrum hat ausgedient

Kein Sprechverbot und kein Tortenwurf wird die Demokratie verteidigen: Das ist ein Irrweg. Höcke geriert sich nun mit dem Studenten als geknechteter Rebell: "Deutschland 2023 - ein Land hat seinen Kompass verloren: Messermörder laufen frei herum, patriotische Oppositionelle werden wegen eines aus dem Zusammenhang gerissenen Halbsatzes vor Gericht gestellt." Weinerlichkeit als Markenkern - das funktioniert bei harten Rechtsextremen und dem rechtsbraunen Biedermeier-Mantel gleichermaßen gut.

Nichts an den Prozentpunkten für AfD und Freie Wähler ist überraschend. Das in Deutschland durch tapfer gestützte "We remember"-Kulissen verbleibende Schamgefühl gegenüber Populisten hat Markus Söder in der Aiwanger-Affäre abgeräumt. Sein Kalkül, sich dadurch zu behaupten, ging umfragemäßig direkt in die Lederhose und hinterlässt dort Flecken, die nicht mehr rausgehen.

Und nun? Es entsteht eine Lücke im Parteienspektrum. Die Union lässt sich von Populisten zerfressen und wirbt für Trotzpolitik. Präsidiumsmitglied Jens Spahn etwa kündigte gerade an, das verhasste Heizungsgesetz abzuräumen, ohne mitzuteilen, mit wem das eigentlich gehen soll - wieder mit der braunen Krücke, vielleicht? Bei der FDP sieht es nicht viel besser aus, sie streitet nur dezenter.

Man wird doch noch träumen dürfen

Eine Partei müsste her, eine Bewegung. Rational, anti-ideologisch und wirtschaftslustig wie die Bürgerlichen einmal waren, so bürgerrechtlich wie die FDP, kompromisslos antifaschistisch wie die Sozialdemokraten, kommunikationsstark und zeitgemäß wie die Grünen - und bitte, bitte, bitte mit jemandem an der Spitze, der oder die weiß, wie man im Jahr 2023 eine Rede hält.

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In Frankreich hat es einer vorgemacht. Emmanuel Macron, der seinen Ruf inzwischen ordentlich verschnöselt hat, begann als Wirtschaftsminister in sozialistischer Regierung. Er hatte damals eigener Auskunft nach viele Unterhaltungen geführt, bevor er Anlauf auf das höchste Amt nahm.

Führt in Deutschland grad jemand Gespräche? Vielleicht die vielen murrenden Zentristen in der Union? Die Linksliberalen in der FDP? Man wird ja noch träumen dürfen. Immerhin: Heute ist doch "Tag der Demokratie".

Quelle: ntv.de

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