Erinnerungen an eine Farce Als Deutschland zur WM gemauschelt wurde und Katar sich ein Erfolgsteam kaufte
31.01.2025, 09:07 Uhr
Die deutschen Handball-Nationalspieler schoben in Katar Frust.
(Foto: picture alliance / Christina Pahnke / sampics)
2015 wagt der Handball den Schritt in die Wüste - und spielt seine Weltmeisterschaft in Katar aus. Die Gastgeber kaufen sich eine kuriose Nationalmannschaft zusammen und werden am Ende Vizeweltmeister. Deutschland schimpft, dabei hätte der DHB gar nicht dabei sein dürfen.
Zehn Jahre ist es her, dass der Handball, seit jeher im Kern eine eher geschlossene europäische Veranstaltung, in die Wüste ging. Nach Katar hatte der Weltverband IHF sein Premiumprodukt verkauft, kurz nachdem schon der Zufall dem Ruf der unbegrenzt sprudelnden Petrodollar-Quellen gefolgt war. Die Veranstaltung, die mehr als 220 Millionen Dollar und damit ein Vielfaches aller Weltmeisterschaften davor und danach gekostet haben soll, war in Teilen ein trauriger Vorgeschmack auf die Fußball-Weltmeisterschaft sieben Jahre später.
Es war ein frühes und vergleichsweise entspanntes Warmlaufen für den ganz großen Angriff auf den Weltsport, der rund um den Golf in diesen Jahren gestartet worden war. Zahlreiche Großveranstaltungen wanderten nach Katar, die große Empörung darüber wuchs aber erst mit dem Näherrücken der Fußball-WM 2022. 2015 waren die Toten auf den Baustellen noch vor allem Teil der Empörung der Zukunft. Dass parallel zahlreiche der pompösen Fußball-Bauten auf den Körpern tödlich verunglückter Wanderarbeiter in den Wüstensand gebaut wurden, war bei der Handball-Farce kein großes Thema. Dass auf Homosexualität lange Haftstrafen stehen? Der Handball war und ist nicht die Projektionsfläche, auf der öffentliche Debatten stattfinden. Das ist dem Fußball vorbehalten.
Man werde sich mit öffentlichen Äußerungen zum Gastgeber zurückhalten, ließ der Verband in Person des damaligen Vize-Präsidenten Bob Hanning verkünden. "Das heißt nicht, dass wir politisch uninteressiert sind, aber unser Kerngeschäft ist Sport. Um Politik zu machen, haben wir eine Regierung gewählt." Über die Gastgeber wurde dann vom deutschen Handball-Personal dann aber doch gesprochen.
"Wir können dieses Spiel nicht gewinnen"
"Wir haben nicht unser bestes Spiel gemacht", setzte ein sichtlich um Worte ringender Silvio Heinevetter seinerzeit am Mikrofon von Sky an. Und dann legte der damalige Nationaltorwart nach: "Aber heute können wir das Spiel nicht gewinnen, das weiß jeder." 24:26 hatte das DHB-Team gegen Gastgeber Katar verloren - und mindestens Heinevetter fühlte sich verschaukelt. Der große Valero Rivera, der den FC Barcelona zur Handball-Großmacht geformt hatte und damals Trainer Katars, gab zwar achselzuckend zu bedenken: "Der Heimvorteil ist im Handball enorm wichtig, das ist bekannt. Wenn dieses Spiel in Deutschland ausgetragen worden wäre, hätten es die Deutschen gewonnen." Eine Analyse, die den Zorn der Deutschen aber kaum milderte.
"Wir sind immer noch Gäste hier, da muss man aufpassen, was man sagt. Aber jeder, der das Spiel gesehen und etwas Ahnung hat, weiß, was ich denke", wütete Heinevetter weiter. Kollege Paul Drux wollte dagegen lieber "keinen Kommentar" abgeben zum Spiel. Das mazedonische Schiedsrichtergespann hatte sich zumindest zu einer sichtbar unterschiedlichen Auslegung des passiven Spiels entschlossen. Während das DHB-Team früh das Signal bekam, ihre Angriffe doch bitte schneller zum Abschluss zu bringen, bekamen die Gastgeber alle Zeit der Welt, ihr Angriffsspiel zu organisieren.
Den Österreichern war es zuvor ähnlich ergangen, zumindest fühlten sie sich beim 27:29 im Achtelfinale gegen den Gastgeber ähnlich ungerecht behandelt wie Heinevetter: "Gegen uns wurden in der zweiten Hälfte so viele Offensivfouls gepfiffen wie im ganzen Turnier zuvor zusammen. Da hat Katar scheinbar gut gedeckt", spottete Österreichs Kapitän Viktor Szilagyi, heute Geschäftsführer beim THW Kiel. "Vielleicht muss man das erwarten. Ich kann das schwer akzeptieren." Trainer Patrekur Johanesson wollte nach der Achtelfinal-Niederlage seines Teams zwar "keinen Kommentar zu den Schiedsrichtern" abgeben, tat es aber mit seiner Prognose für den weiteren Turnierverlauf dann subtil doch: "Ich glaube, Katar wird Weltmeister."
"Das ist krank"
So weit kam es nicht, Katar verlor im Finale gegen Frankreich. Die Weltmeisterschaft war im Januar 2011 an Katar vergeben worden, nur wenige Wochen nachdem das Emirat den Zuschlag für die hochumstrittene Fußball-WM 2022 erhalten hatte. Für das Turnier hatte sich Katar, das im Handball zuvor keine große Rolle gespielt hatte, mit viel Geld eine starke Mannschaft zusammengekauft: Gerade einmal vier Spieler im Kader des WM-20. von 2013 waren bei der Heim-WM zwei Jahre später Einheimische. Ein Tor erzielte im Laufe des Turniers keiner von ihnen.
Den Weg ins Finale ebneten die Montenegriner Zarko Markovic und Goran Stojanovic, Weltklassetorwart Danijel Saric, ein Bosnier, der Franzose Bertrand Roiné, der Spanier Borja Vidal Fernández und der Kubaner Rafael Capote. Weil im Handball, anders als im Fußball, wo man nur für ein einziges Land A-Länderspiele absolvieren darf, seinerzeit für einen Nationenwechsel nur eine dreijährige Länderspielpause nötig war, konnte sich Katar ein schlagkräftiges All-Star-Team zusammencasten. Angeblich gab es für jede gewonnene WM-Partie 100.000 Euro - pro Spieler. Im Handball, in dem schon mittlere sechsstellige Jahresgehälter den absoluten Topstars vorbehalten sind, ist das eine gewaltige Stange Geld. Trainer Rivera wurde mit einer Millionensumme in die Wüste gelockt.
Auch den Heimvorteil, das kam im Laufe des Turniers raus, hatten die Kataris eingekauft: Rund 60 spanische Fans hatte man rekrutiert, ihnen Flug, Hotel und Eintrittskarten bezahlt, damit sie Trommeln und Tröten einpackten und für zwei Wochen zu katarischen Edelfans mutierten. Den Organisatoren war der Leak peinlich, eilfertig versicherte man, die Menschen seien gekommen, um Landsmann Rivera bei seiner katarischen Mission zu unterstützen. Dumm nur, dass die Spanier in Diensten des Emirats zuvor schon gegenüber der Deutschen Presse-Agentur ausgeplaudert hatten, dass sie als lautstarke Claqueure eingekauft worden waren. "Das ist krank", kommentierte Schwedens Kapitän Tobias Karlsson den Vorgang.
Deutschland ist Teil der Farce
Ein großer Teil der Wahrheit rund um das umstrittene Turnier von 2015 ist auch: Deutschland hätte in Katar eigentlich gar nicht dabei sein dürfen. Sportlich hatte man die Qualifikation in den Playoffs gegen Polen nämlich in zwei Spielen verpasst. Weil der Weltverband aber die für den globalen Handball eher unbedeutenden Australier handstreichartig aus der WM warf, konnte das DHB-Team noch nachrücken - nachdem man flugs die Vergabekriterien für den Nachrücker zugunsten Deutschlands geändert hatte.
"In Deutschland haben wir ungefähr eine Million Spieler, auch beim Fernsehen - sie sind immer dabei. Deutschland ist die wichtigste Föderation im IHF", hatte IHF-Präsident Hassan Moustafa gegenüber der Sportschau recht unverhohlen erklärt, warum man die Deutschen doch gerne dabei habe. "Irgendwie ein komisches Gefühl, auf so eine Art und Weise qualifiziert zu sein", twitterte Nationalspieler Patrick Groetzki damals. Es war nur eine Geschichte des Turniers.
Eine andere war: Die Kataris hatten über den Sportrechtehändler BeIn Sports, eine Tochtergesellschaft des katarischen Staatssenders Al Djazeera, die Übertragungsrechte an den Weltmeisterschaften der Jahre 2014 bis 2017 für 100 Millionen Schweizer Franken eingekauft - und konnten sich mit den öffentlich-rechtlichen Sendern der zur WM eskortierten Handball-Großmacht Deutschland nicht auf einen Vertrag zur Übertragung der Spiele aus den Prachtbauten in der Wüste einigen. "Das ist sehr schade, aber wir können es nicht ändern", sagte der mächtige IHF-Präsident Moustafa, der sich persönlich in die Verhandlungen eingeschaltet hatte. Die Wüsten-WM lief dann live ausschließlich für ein handverlesenes Publikum beim Bezahlsender Sky.
Kampf um globale Anerkennung
Der Schritt nach Katar war für den Weltverband in diesem Jahrtausend der Erste, der raus führte aus Europa. Zuvor hatte man letztmals 1997 eine WM außerhalb des Handball-Kontinents abgehalten. Das, was der Handball dieser Tage in Norwegen, Dänemark und Kroatien erlebt, rehabilitiert die kuriose Wüsten-WM: Wie damals sind die Hallen allzu oft erschreckend leer, wenn der Gastgeber nicht im Einsatz ist. Auch die großen Handball-Nationen garantieren nicht für echtes WM-Feeling.
"Ich war damals für diese WM. Ich habe in vielen Fragen ein Problem mit uns Deutschen, weil wir immer glauben, das Maß aller Dinge sein zu müssen", sagte Bob Hanning dieser Tage im Gespräch mit ntv.de. "Die WM in Katar hat es zumindest geschafft, den Handball mal globaler zu denken, nicht nur auf Europa zentriert. Im Übrigen waren dort mehr Zuschauer als bei der EM in der Handball-Nation Spanien im Jahr zuvor." Heute, zehn Jahre nach Katar, kämpft der Handball weiter um globale Anerkennung. Vielleicht verzweifelter denn je. Katar hat den Erfolg mit seiner zusammengekauften Nationalmannschaft nachhaltig genutzt und sich zu einem Dauergast in der zweiten Gruppenphase der Weltmeisterschaften etabliert.
Quelle: ntv.de