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Gislasons kuriose Drucksituation Ausgerechnet der Trainerheld steht dem DHB vor Olympia im Weg

Gislason ist Gegenwart und gewollte Zukunft des DHB, Sigurdsson die Vergangenheit. Beide trafen zuletzt vor mehr als zehn Jahren in der Bundesliga aufeinander.

Gislason ist Gegenwart und gewollte Zukunft des DHB, Sigurdsson die Vergangenheit. Beide trafen zuletzt vor mehr als zehn Jahren in der Bundesliga aufeinander.

(Foto: imago sportfotodienst)

Olympische Spiele oder nichts, das gilt für die deutschen Handballer und allen voran für Bundestrainer Alfred Gislason. Der Druck ist groß vor dem Quali-Turnier. Ausgerechnet einer seiner Vorgänger steht ihm dabei womöglich entscheidend im Weg.

Der gefeierte Erfolgstrainer ist dabei, wenn die deutschen Handballer um die Qualifikation für die Olympischen Spiele kämpfen. Sein Name: Dagur Sigurdsson. Der Isländer, der 2016 das junge DHB-Team zu den "Bad Boys" coachte und mit ihnen überraschend Europameister und Olympia-Dritter wurde, ist allerdings der Gegner. Ganz frisch hat er in Japan aufgehört und dafür den Trainerposten beim Kroatien übernommen - und trifft damit beim Vierer-Turnier in Hannover neben Algerien auch auf seine beiden Ex-Arbeitgeber Deutschland und Österreich.

In Deutschland ist Sigurdsson immer noch als Trainerheld anerkannt. Seinen Job beim DHB absolvierte er zunächst neben dem als Cheftrainer der Füchse Berlin. Im Januar 2017 beendete er seine erfolgreiche Zeit beim DHB, weil ihn Japan vor den Olympischen Spielen in Tokio lockte.

Für Deutschland steht weiterhin Sigurdssons Landsmann Alfred Gislason an der Seitenlinie. Seit 2020 ist er der Bundestrainer, er soll es bis zur Heim-WM 2027 bleiben. Mit einem großen Aber: Nur, wenn das DHB-Team das Turnier von Donnerstag bis Sonntag in Hannover mit einem Erfolg abschließt, nur, wenn sie alle gemeinsam im Sommer nach Paris reisen dürfen. Es ist eine Konstellation, in die sich der DHB ohne Not gebracht hat. "Ich bin ja gefühlte 50 Jahre Trainer. Mir war es nicht besonders wichtig, vor diesem Turnier meinen Vertrag zu verlängern", sagte Gislason bei einem Medientermin in Hannover. Der Druck auf ihn und das Team ist beim Quali-Turnier nun umso größer. Liefert die Gemeinschaft nicht, steht der DHB vor einer ungewissen Zukunft. Denn einen Plan B gibt es nicht, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann.

"Herausforderung wird brutal"

Und zwischen Olympia und Deutschland steht unter anderem Sigurdsson. "Die Herausforderung wird brutal", warnte Ex-Profi und der heutige Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar im Dyn-Podcast "Kretzsche & Schmiso". Kroatien (Samstag, 14.30 Uhr/ZDF) sei der größte Gegner, das Team sei neben dem Kieler Superstar Domagoj Duvnjak mit jungen, aufstrebenden Spielern gespickt. Das könne "wirklich gefährlich werden". Auch Gislason hat großen Respekt, gibt sich aber entspannt: "Ich glaube nicht, dass Dagur in vier, fünf Tagen alles auf den Kopf stellt bei den Kroaten."

So viel auf den Kopf stellen muss Sigurdsson allerdings gar nicht. Die letzte Niederlage des DHB-Teams gegen Kroatien liegt nicht einmal zwei Monate zurück, sie datiert von der Heim-EM. Ein Fakt, den Gislason aber in der "Sport Bild" nicht gelten ließ: "Ich blende die Kroatien-Niederlage komplett aus, bei der ich Belastungen mit Blick aufs sichere Halbfinale bewusst verteilt habe. Ich bin so lange dabei, das interessiert mich überhaupt nicht, was andere schreiben."

"Müssen wir schaffen"

Neben Kroatien sind Algerien (Donnerstag, 17.45 Uhr/Sport1) und Österreich (Sonntag, 14.10 Uhr/ARD), das sich bei der EM in einen Rausch gespielt und dem DHB-Team ein umkämpftes Remis abgetrotzt hatte, die weiteren Gegner beim Vierer-Turnier. Die beiden Erstplatzierten dürfen bei Olympia spielen. Präsident Michelmann sagte der "Bild": "Wir können uns jetzt auch nicht kleiner machen, als wir sind. Bei allem Respekt vor den Gegnern, aber bei einem Turnier mit Algerien, Kroatien und Österreich und noch dazu mit Heimvorteil, da müssen wir mindestens Zweiter werden. Das muss einfach der Anspruch sein, zumal mit den Zuschauern im Rücken. Das müssen wir schaffen."

Gislason setzt größtenteils auf die EM-Spieler. Mit dem Rückraumrechten Kai Häfner, dem Rückraumlinken Martin Hanne und Kreisläufer Justus Fischer fehlen drei von ihnen allerdings verletzt, zurück nach einer Verletzung ist dagegen Rückraumspieler Marian Michalczik. Gislason nominierte zudem die beiden Leipziger Rückraumspieler Franz Semper und Luca Witzke nach. Zu Beginn der Trainingswoche in Hannover gab es dann noch die Befürchtung, dass die beiden Kreisläufer Golla und Jannik Kohlbacher ausfallen könnten, beide waren mit Blessuren angereist, bestanden aber den Medizincheck.

Während sich Kretzschmar um den Angriff sorgt und befürchtet, dass nicht alle Spieler in der besten Verfassung sind, betonte er: "Torhüter, Abwehr. Darauf können wir uns verlassen." Sollte doch einer der beiden Kreisläufer ausfallen, könnte der eigentlich erst im Januar aus dem Nationalteam verabschiedete Hendrik Pekeler nachrücken, er steht auf Abruf bereit. Der Kieler, aber auch sein ebenfalls im 35er-Kader, aus dem sich das Trainerteam Nachrücker dazuholen kann, stehende Teamkollege Steffen Weinhold sind ein Grund, warum Gislasons Vertragsverlängerung nicht nur mit Freude aufgenommen wurde. Obwohl ihm mit Platz vier bei der Heim-EM die beste Platzierung in seiner Amtszeit gelungen war. Obwohl er unbestritten ein supererfolgreicher Trainer ist, mit Kiel und Magdeburg insgesamt dreimal die Champions League gewann, siebenmal Deutscher Meisterschaft wurde, reihenweise Pokal-Titel holte. Denn dass die beiden wieder nominiert wurden, bedeutet, dass für andere aufstrebende Talente kein Platz ist. Und das, obwohl die U21-Auswahl im vergangenen Sommer Weltmeister geworden war.

Gislason schwärmt von Jugend, aber ...

Immerhin drei von ihnen stehen nach dem Ausfall von Fischer weiterhin im Kader: Spielmacher Nils Lichtlein, Torhüter David Späth und der Halbrechte Renars Uscins. "Fakt ist, dass ich diese sehr junge Mannschaft, die in den kommenden Jahren mit mehr Erfahrung immer besser werden wird, weiter begleiten möchte", hatte Gislason der "Sport Bild" gesagt. Konsequent setzt er auf die Jungen aber bislang nicht. Kritik gab es während der EM vor allem an den wenigen Einsätzen für Lichtlein, der international immer wieder als künftiger Ausnahmespieler genannt wird. Als der ebenfalls gerade einmal 23-jährige Spielmacher Juri Knorr schwächelte und überspielt wirkte, schenkte Gislason Lichtlein dennoch kaum Vertrauen.

Hört man Gislason zu, könnte sich das aber bald ändern. "Unsere Mannschaft hat eine sehr große Zukunft. Wie viele Zweitausender-Jahrgänge oder jünger sind bei Dänemark? Da ist nur Simon Pytlick. Bei Schweden ist es nur Eric Johansson, bei Frankreich keiner. Bei uns waren es sieben", sagte er der "Sport Bild" rückblickend auf die EM. "Deswegen sage ich: Diese Jungs werden in einem oder zwei Jahren auch Fehler machen, aber nicht die gleichen. Sie werden sehr viel besser sein."

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Und er möchte sie weiter betreuen, das machte er trotz seiner scheinbaren Gelassenheit und der Erklärung, er verspüre überhaupt keinen Druck unmittelbar vor dem Do-or-Die-Turnier, deutlich: "Da ich erlebt habe, was für eine großartige Stimmung bei einem Heim-Turnier herrscht, würde ich mir sehr wünschen, 2027 bei der WM in Deutschland noch Bundestrainer zu sein." Dafür muss er gemeinsam mit seinem Team die Olympia-Qualifikation schaffen.

Einen Plan B hat Gislason übrigens genauso wenig wie der DHB: "Ich habe schon vor ein paar Jahren versucht aufzuhören, den Handball hinter mir zu lassen, aber das ging gar nicht. 65 ist nur eine Zahl. Ich werde auf jeden Fall mit Handball weitermachen, weil ich so viel Spaß daran habe - bis ich feststelle, dass ich es nicht mehr kann. Aber im Moment bin ich topfit."

Quelle: ntv.de

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