Spektakel im "Ally Pally" Die Darts-WM ist nach der "Corona-Bombe" zurück
15.12.2022, 17:02 Uhr
Michael van Gerwen geht nach vielen Titelgewinnen in diesem Jahr als Favorit in die Darts-WM 2023.
(Foto: picture alliance / empics)
Ein wieder erstarkter Ex-Dominator, zwei Wunderkinder, drei WM-erfahrene Deutsche. Das sind nur ein paar der 96 Teilnehmer der Darts-Weltmeisterschaft 2023. Heute startet das Winter-Highlight im Londoner Alexandra Palace.
Was einigen Fußballfans in diesem Jahr die Lust an der Weltmeisterschaft verdirbt, ist für Anhänger des Dartsports seit Jahren gelebte Tradition. Das wichtigste Turnier des Jahres findet im Winter statt. 93 Spieler und 3 Spielerinnen messen sich von diesem Donnerstag an bis zum Finale am 3. Januar im "Ally Pally", der Pilgerstätte Tausender Darts-Fans. Die Weltmeisterschaft spart auch in diesem Jahr nicht an exzentrischen Spielern und verrückten Geschichten. Man könnte auch sagen, die Darts-WM 2023 (wegen des Finaltermins im neuen Jahr) meldet sich mit einem bunten Knall zurück aus der leichten Corona-Depression der vergangenen Jahre.
Bei der WM 2021 durften nur am ersten von 16 Turniertagen ein paar Fans in die Halle, danach spielte der übertragende TV-Sender Fan-Atmosphäre ein, um zumindest ein bisschen Stimmung aufkommen zu lassen. Die WM 2022 hatte dagegen mehr an Stimmung zu bieten: Geimpfte, genesene oder getestete Fans durften in den Alexandra Palace. Das galt auch für die Spieler. Das Turnier hatte stark begonnen und war mit einem dramatischen Finalsieg von Peter Wright gegen Michael Smith zu Ende gegangen, doch auf dem Weg dahin verlor das Event gleich mehrere Akteure an das Virus. Unter anderem Superstar Michael van Gerwen schied auf diesem Weg aus dem laufenden Wettbewerb aus und sprach anschließend von einer "großen Corona-Bombe".
Das wird in diesem Jahr nicht passieren. Corona-Regeln sind Geschichte, das gilt für Fans und Spieler gleichermaßen.
Wer sind die Favoriten?
Michael van Gerwen hat das Jahr 2022 auf dem Turnier-Circuit der Profidartsorganisation PDC dominiert. Im Mai die Premier League, im Juli das World Matchplay, im Oktober den World Grand Prix, im November die Players Championship Finals. Mehrere der wichtigsten Turniere nach der Weltmeisterschaft hat der Niederländer gewonnen. Und das, obwohl er sich einen Tag nach seinem Premier-League-Sieg in Berlin einer Hand-Operation unterziehen musste. "Ich bin sehr froh, dass ich das getan habe, denn ich fühle mich jetzt hundert Prozent besser als vorher", hat van Gerwen gegenüber Sport1 gesagt.
Für van Gerwen markierte 2022 das Ende einer langen Krise. "Ich musste zurück zu den Grundlagen und von dort aus mein Spiel wieder aufbauen", wird der Weltmeister von 2014, 2017 und 2019 zitiert. Zwar ist der Niederländer längst nicht so dominant wie vor einigen Jahren, doch das liegt nicht an ihm, sondern an der immer stärker werdenden Konkurrenz.
Als seinen Hauptkonkurrenten hat der Weltranglistendritte die Nummer eins des Rankings ausgemacht. Gerwyn Price, der Ex-Rugbyprofi aus Wales, peilt seinen zweiten WM-Titel nach 2021 an. Doch in diesem Jahr hat der 37-Jährige nur ein größeres Turnier gewonnen. "Vor sechs Monaten war meine Form auf dem Tiefpunkt und mein Selbstvertrauen weg, aber ich glaube, dass ich meine Form wiedergefunden habe. Mein Selbstvertrauen ist auch wieder da. Und nur darum geht es", so Price gegenüber Sport1.
Große Chancen auf den Titel rechnet sich auch Michael Smith aus. Der Engländer stand bereits zweimal im WM-Finale, hat das mit umgerechnet 2,9 Millionen Euro dotierte Turnier aber noch nicht gewinnen können. Jahrelang war Smith derjenige, der zwar toll spielt, am Ende aber in großen Finals regelmäßig am dünnen Nervenkostüm scheitert. Bis er im November dieses Jahres den Fluch besiegen konnte: Smith gewann den Grand Slam of Darts, darf sich nun endlich Major-Sieger nennen. Gut möglich, dass er sich in gut drei Wochen auch als Weltmeister bezeichnen darf.
Bleibt da noch die Frage, was der Titelverteidiger leisten kann. Peter Wright, der 52-jährige Schotte mit dem Irokesen-Haarschnitt, könnte nach Titelgewinnen mit Michael van Gerwen gleichziehen. Zwei der letzten drei Weltmeisterschaften (2020 und 2022) hat Wright für sich entschieden. "Die WM ist mein Lieblingsturnier. Ich will es noch viele weitere Male gewinnen", hat Wright im Darts-Podcast "Checkout" unmittelbar vor Turnierstart gesagt. Doch der zweifache Champion geht höchstens als Mitfavorit ins Rennen. Zu schwankend waren seine Leistungen über das Jahr hinweg. Und dann kamen gesundheitliche Probleme hinzu. Im August ließ er sich operieren, weil er Probleme mit den Gallensteinen hatte. Wright musste mehrere Turniere auslassen.
Im Anschluss musste auch Wrights Frau und Managerin Joanne ins Krankenhaus. Schwere Rückenoperationen, die nicht nach Plan liefen, brachten die Wrights in Sorge. Der amtierende Weltmeister war beim Grand Slam of Darts im November ein Schatten seiner selbst, konnte sich nicht aufs Spiel konzentrieren. Er schied in der Vorrunde aus und ließ die Players Championship Finals, die WM-Generalprobe, eine Woche später sogar ganz sausen. "Jetzt geht es der Chefin zum Glück wieder gut. Wir müssen noch vorsichtig sein, aber Joanne ist über das Schlimmste hinweg", teilte Wright im Podcast mit. Gut möglich, dass Wright nun befreit aufspielen kann.
Auf wen sollte man noch achten?
Luke Humphries ist einer der Shootingstars des Jahres. Der 27-jährige Engländer stand zwar schon 2019 und 2020 im Viertelfinale der WM, doch der Durchbruch in die Weltspitze ist Humphries erst dieses Jahr gelungen. "Cool Hand Luke" gewann gleich vier Events der European Tour. Die Siegesserie ließ ihn auf Platz fünf der Weltrangliste springen, die nach dem eingespielten Preisgeld der vergangenen zwei Jahre berechnet wird.
Rechtzeitig zum wichtigsten Turnier des Jahres hat sich auch Rob Cross mit starker Form zurückgemeldet. Bei der WM-Generalprobe Ende November zog der gelernte Elektriker ins Endspiel ein. Für Cross ist die WM Jahr für Jahr die Rückkehr an den Ort des größten Triumphs. 2018, als Cross zum ersten Mal überhaupt an der WM teilnahm, zog "Voltage" nicht nur ins Finale ein, sondern gewann dieses auch noch gegen die größte Darts-Legende aller Zeiten, Phil Taylor, in dessen letztem Spiel.
In der Weltspitze angemeldet hat sich in diesem Jahr Danny Noppert. Völlig überraschend gewann der Niederländer im Frühjahr die UK Open. Der erste große Titel des 31-Jährigen brachte Noppert in die Riege der Spitzenspieler. Weitere gute Ergebnisse folgten, bei der WM ist mindestens ein Viertelfinal-Einzug drin.
Konstant gut auch Nathan Aspinall gespielt. Der 31-jährige Engländer erreichte beim World Grand Prix und Grand Slam jeweils das Finale. Aspinall ist auch an schwächeren Tagen schwer zu schlagen, kämpferisch ist er einer der stärksten Spieler von allen.
In den vergangenen zwei WM-Turnieren hat auch Gary Anderson bis zuletzt um den Titel mitgespielt. Der Weltmeister von 2015 und 2016 stand im Finale und Halbfinale. Außerhalb des Jahres-Highlights war der "Flying Scotsman" aber völlig unsichtbar. Kann Anderson seinen Finaleinzug von vor zwei Jahren diesmal nicht ansatzweise wiederholen, droht der Totalabsturz in der Weltrangliste. Gerüchte um ein baldiges Karriereende wabern seit Längerem durch die Darts-Welt.
Raymond van Barneveld ist bereits einmal zurückgetreten, spielt seit zwei Jahren aber wieder auf der Tour mit. Im Vorjahr, beim WM-Comeback, schied der fünffache Weltmeister aus den Niederlanden früh aus. Dieses Jahr bahnt sich ein Drittrunden-Match zwischen "Barney" und Gerwyn Price an. Zuletzt gewann van Barneveld gegen den Weltranglisten gleich zweimal innerhalb weniger Tage.
Erst am Anfang seiner Karriere steht Josh Rock. Der Nordire ist 21 Jahre jung, war vor einem Jahr noch völlig unbekannt und von der Darts-WM meilenweit entfernt. Dann qualifizierte sich "Rocky" aus dem Nichts für die Profitour und legte ein beispielloses Debütjahr hin, Neundarter beim Grand Slam gegen Michael van Gerwen inklusive. Rock wird als Wunderkind beschrieben, nicht wenige trauen ihm bei der WM direkt den WM-Titel zu.
Welche Spielerinnen sind am Start?
Das zweite Wunderkind im Turnier ist Beau Greaves. Die 18-Jährige ist schon jetzt die beste Spielerin der Welt. Keine andere Frau kann ihr das Wasser reichen. Greaves nahm an acht Turnieren der Women's Series teil und gewann acht. Bei der WM spielt sie in der ersten Runde gegen den Iren William O'Connor, im Falle eines Sieges würde der Deutsche Gabriel Clemens warten.
Gewinnt Greaves ein Spiel in London, täte sie es Fallon Sherrock gleich. Die 28-jährige Engländerin wurde bei der WM 2020 zur "Queen of the Palace", als sie als erste Frau einen Mann bei der WM besiegte und erst in Runde drei ausschied. Nach den denkwürdigen Siegen wurde Sherrock zu einer der Gesichter der Profidartorganisation PDC. Ihrem Spiel hat das allerdings nicht gutgetan. Sherrocks Form hat in den vergangenen Monaten gelitten. Sportlich gelang ihr die WM-Quali nicht, die PDC gab ihr kurz vor Turnierstart einen Startplatz und begründete das mit ihrem Sieg beim Women's World Matchplay im Juli.
Als dritte Frau hat sich Lisa Ashton für die Darts-WM qualifiziert. Die 52-Jährige hofft auf ihren ersten Sieg, ist in Runde eins gegen den jungen Engländer Ryan Meikle aber klare Außenseiterin.
Welche Deutschen sind dabei?
Bei den Fans ist Deutschland nach den Briten Jahr für Jahr am stärksten im Alexandra Palace vertreten. Bei den Spielern sieht das anders aus. Drei Deutsche vertreten die deutschen Farben im "Ally Pally". Ein größerer WM-Lauf wird aber keinem so recht zugetraut. Gabriel Clemens, Nummer 25 der Welt und damit bester Deutscher, war zuletzt nicht gut in Form. Schon zum Auftakt könnte es gegen O'Connor oder Wunderkind Greaves kompliziert werden. Gewinnt er sein erstes Spiel, scheint das Achtelfinale dank günstiger Auslosung aber möglich.

Gabriel Clemens und Martin Schindler sind zwei der deutschen Starter bei der Darts-WM.
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)
Die beste Form unter den Deutschen hat Martin Schindler. Der Weltranglisten-29. ist für die zweite Runde ebenfalls gesetzt, wird es dort aber mit dem nicht zu unterschätzenden Martin Lukeman zu tun bekommen. Kommt Schindler weiter, droht Michael Smith in Runde drei. "Ich will unbedingt mein erstes Spiel gewinnen. Und dann bin ich auch in der Lage, Smith zu schlagen, sollte es zu diesem Match kommen", gibt sich der 26-Jährige im "Checkout"-Podcast selbstbewusst.
Bereits in Runde 1 startet Florian Hempel ins Turnier. Der Wahl-Kölner erreichte im Vorjahr bei seiner ersten WM sensationell die dritte Runde. Damals besiegte er die Nummer fünf der Welt, Dimitri Van den Bergh. In diesem Jahr trifft er zunächst auf Keegan Brown. "Die Auslosung ist okay, das wird ein 50-50-Match", sagt Hempel im Vorfeld. Im Falle eines Sieges würde Luke Humphries warten, der Weltranglisten-Fünfte.
Was muss man sonst noch wissen?
Erstmals in der Geschichte der Darts-WM wird auch ein Ukrainer dabei sein. Vladyslav Omelchenko, ein 47-Jährige Minenarbeiter aus der Selenskyj-Heimatstadt Krywyj Rih, hat ein erstmals ausgetragenes ukrainisches Quali-Turnier in Kiew gewonnen. Normalerweise wird in Russland jedes Jahr ein Quali-Event gespielt, dieses wurde aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine von der PDC in diesem Jahr aber nicht durchgeführt.
Er war jahrelang der beste deutsche Dartspieler, doch jetzt ist er zum zweiten Mal gar nicht dabei und muss um die Fortsetzung seiner Profikarriere bangen: Max Hopp hat sich erneut nicht für das Jahres-Highlight qualifiziert. Dabei in London ist der "Maximiser" trotzdem, er wird für Sport1 das Turniergeschehen ab der heißen Phase nach der Weihnachtspause analysieren. "Ich hoffe, dass Moderatorin Jana Wosnitza und ich eine ähnlich gute Figur abgeben werden wie Esther Sedlaczek und Bastian Schweinsteiger bei der Fußball-WM", so Hopp im Interview bei Sport1.
Apropos Fußball-WM: Das Wüsten-Turnier in Katar sorgt für eine Überschneidung. Weil die PDC für die Möglichkeit vorgesorgt hat, dass England entweder das Spiel um Platz drei oder Finale bestreitet, wurden die Spieltermine am 17. und 18. Dezember angepasst. Die Nachmittags-Sessions bei der Darts-WM starten an den beiden Tagen früher, die Abendspiele eine Stunde später. Nach Englands Aus im Viertelfinale hätte es das aber nicht mehr gebraucht.
Quelle: ntv.de