Es wird Antworten geben Endlich wieder ein großes Spiel fürs DHB-Team
23.01.2023, 14:15 Uhr
Wie gut ist die deutsche Handball-Nationalmannschaft wirklich schon?
(Foto: picture alliance/dpa/Kessler-Sportfotografie)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft begeistert sich bei der Weltmeisterschaft, weiß aber auch: Das bislang Erreichte "wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen". Nun kann man sich mit einem Erfolg fürs Viertelfinale einwerfen - und bekommt endlich eine Standortbestimmung.
Fünf Siege aus den ersten fünf Spielen: Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat sich bei der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden in einen Flow gespielt. "Das macht vieles leichter", hatte Bundestrainer Alfred Gislason zuletzt gesagt, danach zog man gegen die zuvor überraschend starken Niederlande mit einer beeindruckenden Leistung ins Viertelfinale ein.
Gislason präsentiert sich in Kattowitz, wo das DHB-Team am Abend zum letzten Mal bei dieser WM spielt, wie gewohnt enorm akribisch, aber weil seine Mannschaft ihn lässt, auch entspannt. Seine Ansprache aus dem Hauptrundenspiel gegen Argentinien ist schon legendär: "Spielt, was ihr wollt. Außen, zurück, die ganze Scheiße", zeigte der Isländer seinen Spielern bei einer gewaltigen Führung schon zur Halbzeit, wie groß das Vertrauen ist.
Die Laune ist prächtig, aber allen ist klar: "Wir müssen anerkennen, dass der Einzug ins Viertelfinale, auf den wir stolz sind, nicht in die Geschichtsbücher eingehen wird", wie DHB-Sportvorstand Axel Kromer mahnte. Heiner Brand, Weltmeistertrainer von 2007, schlug gegenüber RTL/ntv in die gleiche Kerbe: "Die ersten Auftritte waren okay, aber auch nicht so, dass man jetzt zu sehr jubeln müsste. Die schweren Aufgaben kommen erst noch." Gegen Norwegen geht es nun am Abend (20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) um mehr als den Gruppensieg und den vermeintlich leichteren Viertelfinalgegner Spanien: Es geht endlich um eine echte Standortbestimmung auf dem Weg zurück in die Weltspitze.
"Wird gegen Norwegen anders sein"
"Die fünf Spiele waren ansehnlich, aber keine dieser Mannschaften hat die Ambition, Weltmeister zu werden. Das wird gegen Norwegen anders sein", beschreibt Kromer und deutet damit an, dass die Partie Erkenntnisse bereithält. "Wenn wir uns da behaupten, sind wir sicher so nah dran wie die anderen, die im Viertelfinale stehen." Die auch schon fürs Viertelfinale qualifizierten Norweger sind ebenfalls noch verlustpunktfrei - und stellen mit Superstar Sander Sagosen, Magnus Röd oder Harald Reinkind eine ganze Armada ungeheuer torgefährlicher Shooter. Es wartet Schwerstarbeit auf die deutsche Mannschaft.
Die Norweger versenden ihrerseits Respektnoten. "Wir freuen uns sehr auf das Gruppenfinale. Deutschland ist eine großartige Mannschaft, wir müssen gut vorbereitet sein und das gute Gefühl mitnehmen", sagte Superstar Sagosen, der zurzeit seine dritte und letzte Saison für den deutschen Branchen-Primus THW Kiel spielt, der norwegischen Zeitung "Dagbladet".
Einer, der Deutschland und die deutschen Spieler ebenso gut kennt, ist Göran Johannessen. Der spielt noch für die SG Flensburg-Handewitt und wurde von Deutschland schon einmal vor schwere Aufgaben gestellt - allerdings nicht sportlich: "Ich meine das völlig ernst. Die Bürokratie, die man in Deutschland erlebt, ist absolut verrückt, wenn man aus Norwegen kommt, wo man einen Computer hat und weiß, wie Elektronik funktioniert", erzählte der Rückraumspieler jüngst schmunzelnd dem "Dagbladet". "Dann kommt man nach Deutschland und alles geht per Post. Es ist sehr hart, wenn man hierher kommt und anfangs nicht einmal Deutsch versteht."
Beim letzten sportlich wertvollen Aufeinandertreffen war Johanessen, der ab der kommenden Saison wie Röd und Sagosen für das hochambitionierte Handballprojekt im heimischen Kolstad spielen wird, nicht dabei: Bei den Olympischen Spielen von Tokio schlug eine starke deutsche Mannschaft Norwegen im Sommer 2021 mit 28:23. Mit Johannes Golla, Paul Drux, Philipp Weber, Andreas Wolff, Kai Häfner und Juri Knorr stehen noch sechs deutsche Spieler von damals im deutschen Aufgebot. Es war der bislang letzte Sieg gegen einen großen Gegner in einem wichtigen Spiel.
"Es war so wichtig ..."
Das DHB-Team ringt nicht mit der Bürokratie, aber um seinen Platz in der Weltspitze, die Statistik weist den größten Handballverband der Welt als abgehängt aus: 2021 sprang bei der WM in Ägypten nur der historisch schlechte zwölfte Platz raus. Bei der EM im vergangenen Jahr, die das DHB-Team mit bemerkenswertem Durchhaltevermögen Corona-geschüttelt gegen alle Widerstände zu Ende brachte, erspielte man sich noch einen beachtlichen siebten Platz.
Mit dem Turnier endete der Krisenmodus, in dem Bundestrainer Alfred Gislason seit seinem Amtsantritt 2020 pandemiebedingt agieren musste. Erst dann begann die Phase, in der der Weltklassetrainer nachhaltig am Aufbau seiner Mannschaft arbeiten konnte. "Wir haben in der Mannschaft seit den beiden Ungarn-Spielen im März vergangenen Jahres eine kontinuierliche Entwicklung", sagte Gislason mit Blick auf die ersten Länderspiele nach der EM. Es folgte die erfolgreiche WM-Qualifikation gegen die Färöer Inseln, nun hat sich Gislasons Mannschaft herauskristallisiert. "Es war so wichtig, den Kern dieses Teams mal zusammenzuhalten. Sie lernen sich immer besser kennen, es gibt beinahe in jedem Spiel eine kleine Steigerung in vielen Aspekten."
Nun ist die Vorfreude groß, sich in dieser Konstellation endlich mit einem großen Gegner zu messen. "Das ist der bisher stärkste Gegner im Turnier. Wir können sicher viel lernen in dem Spiel", sagte Gislason. "Norwegen ist Favorit, ich will unbedingt gewinnen. Denn die beste Vorbereitung aufs Viertelfinale ist Erfolg." Gewinnt die deutsche Mannschaft oder spielt unentschieden, trifft sie im Viertelfinale auf Spanien, bei einer Niederlage wartet der stärker eingeschätzte Rekord-Weltmeister Frankreich.
Was möglich ist? "Träumen können wir alle", sagte Gislason: "Das sollte man erst einmal aber vermeiden." Er selbst verbietet sich das Träumen durch akribische Vorbereitung: "Ich habe bis 2 Uhr nachts noch Videos geschnitten, war um 2.30 Uhr im Bett und um 6.30 Uhr wieder auf", fasste der Bundestrainer im "Bild"-Interview seine Nacht nach dem Sieg gegen die Niederlande zusammen. Aber: "Möglich ist vieles mit dieser Mannschaft. Ob wir jetzt schon so weit sind? Die Frage müssen wir selbst beantworten." Nach dem Norwegen-Spiel wird es zumindest erste Hinweise geben.
Quelle: ntv.de