Emotion, Debatte, Fortschritt? Kanzler Scholz kämpft mit euphorisiertem DFB-Team
13.07.2022, 08:56 Uhr
Die deutschen Spielerinnen feierten den wichtigen Sieg gegen Spanien.
(Foto: IMAGO/HMB-Media)
2:0 gegen die Top-Favoritinnen aus Spanien. Der Sieg der DFB-Elf im zweiten Spiel der Europameisterschaft in England gibt einer Diskussion, die schon lange im Hintergrund läuft, Substanz. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz bekennt sich vor dem Spiel zur DFB-Auswahl. Doch der Weg ist lang.
Es waren kaum 15 Minuten gespielt, da wiesen alle Statistiken Spanien als die dominante Mannschaft im zweiten Gruppenspiel gegen Deutschland aus. Spanien hatte 100 Pässe gespielt, Deutschland nur 16. Es war egal. Denn in einer Statistik lagen die neunfachen Europameisterinnen bereits vorne - in der Torstatistik. So sollte es vor 16.037 Zuschauern in Brentford auch bleiben.
Nach einem frühen Fehler der spanischen Torhüterin Sandra Panos, hatte Klara Bühl bereits nach drei Minuten zum 1:0 abgeschlossen. Im Vorfeld von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg als Kampf der Spielkulturen ausgerufen, passierte genau das. Spanien hatte den Ball, schnürte das deutsche Team ein, spielte Pass über Pass. Deutschland war unbarmherzig, diszipliniert und widerstandsfähig.
Und natürlich hatten sie Alexandra Popp, die mit 31 Jahren erstmals überhaupt bei einem Europameisterschaftsspiel in der Startelf stand und sich und ihr Team in der 37. Minute mit einem wunderbaren Kopfball belohnte. 2:0 für Deutschland. Zwar beschäftigten die Spanierinnen um die wunderbare Mittelfeldspielerin Aitana Bonmati immer wieder die deutsche Defensive, doch, wenn sie einmal durchkamen, scheiterten sie am Außennetz, an ihren eigenen Nerven, an der überragenden Marina Hegering oder an der zukünftigen Wolfsburgerin Merle Frohms, die auch das zweite Spiel des Turniers ohne Gegentreffer beenden konnte.
Ein Sieg für Lea Schüller
"Es war ein sehr emotionales Spiel, mehr Power, mehr Energie können wir nicht auf den Platz bringen. Die Mannschaft war super eingestellt, die Spanierinnen sind dann ein bisschen verzweifelt an unserer Defensive", sagte die Torhüterin, die zur neuen Saison von Eintracht Frankfurt zum VfL Wolfsburg wechselt. "Was wir als Mannschaft gezeigt haben, war der pure Wahnsinn."
Eine Mannschaftsleistung, die auch auf Martina Voss-Tecklenburg zurückzuführen ist. Die hatte die erfahrene Alexandra Popp nach der Corona-Erkrankung von Lea Schüller in die Startelf berufen."Wir waren darauf vorbereitet, nicht so viel den Ball zu haben", sagte Popp später in der ARD: "Wir haben hinten nicht wirklich etwas zugelassen und waren vorne sehr effizient. Der Sieg war auch für dich, Lea!" Dann schritt sie - nicht ohne vom EM-Zauber zu sprechen - ein Lea-Schüller-Trikot tragend davon.
Und dann waren da noch die unterlegenen Spanierinnen. "Auf der einen Seite sind die Spielzüge, auf der anderen Seite das Ergebnis", konstatierte Trainer Jorge Vilda, der mit seiner Mannschaft als Top-Favorit ins Turnier gegangen, zwei Jahre lang - bis zum letzten Vorbereitungsspiel - überhaupt nie in Rückstand geraten war und jetzt auf den Boden der Tatsachen geholt wurde. Dabei hatte er schon vor dem Spiel voller Respekt und Wertschätzung über das deutsche Team gesprochen.
Daher ergänzte er ehrfurchtsvoll: "Wir hätten gerne ihr kämpferisches Niveau, ihre Fähigkeiten, die Chancen zu verwerten. In manchen Spielen haben wir das, heute hatten wir es nicht." So einfach ist das. Fußball ist ein Spiel, das durch Tore entschieden wird. Da macht es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.
Bundeskanzler Olaf Scholz stellt Forderungen
Es ist auch ein Spiel, das momentan wieder einmal, wie eigentlich immer, diskutiert wird. Ein Spiel, das während der laufenden Europameisterschaft zu allerhand Aufregung führt. Denn viel wird dieser Tage über die Sichtbarkeit der Frauen geredet. Eine Diskussion, die von einigen Seiten mit einer verstörenden Vehemenz geführt wird. Mit aller Macht sollen die Frauen näher an die Männer gerückt werden.
Sie sollen am großen Trog des Fußballkapitalismus ihren verdienten Teil bekommen und nicht länger in der letzten Reihe stehen. Mal geht es um Begrifflichkeiten, und wie sie genutzt werden. Mal geht es um das große Thema "Equal Pay", zu dem sogar Bundeskanzler Olaf Scholz kurz vor Beginn des Spiels gegen Spanien eine Position bezog.
"Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden. Das gilt auch für den Sport, besonders für Nationalmannschaften. Spanien hat da die Nase vorn", twitterte der und wurde daraufhin von DFB-Direktor Oliver Bierhoff zu einem Gespräch eingeladen. Er wolle ihn "ein bisschen" über die Zahlen aufklären, erklärte dieser in der ARD und verwies auf die Rekordprämie von 60.000 Euro für jede deutsche Nationalspielerin.
Das Problem mit der Nachhaltigkeit
Und in der Tat wäre den Spielerinnen mehr geholfen, wenn sie in ihrem Alltag unter noch professionelleren Bedingungen arbeiten könnten, wenn sie sich nicht Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen müssten. Nicht nur als Nationalspielerinnen, sondern auch als Spielerinnen der Bundesliga. Ein Kampf, den unter anderem Nationalspielerin Lina Magull kämpfen will.
"Wir sollten ab der 2. Liga so gut verdienen, dass niemand mehr nebenbei arbeiten gehen muss", forderte die in Dortmund geborene und für Bayern München spielende Offensivkraft in der "Bild". "Da sprechen wir von einem Mindestgehalt von 2000, 3000 Euro im Monat. So kannst du die Entwicklung im Frauenfußball nachhaltig voranbringen." Ein verständlicher Wunsch nach mehr Professionalisierung, die im deutschen Fußball noch recht langsam voranschreitet. Die aber auch durch das fehlende Zuschauer-, Sponsoren- und TV-Interesse zu erklären ist.
Zwar werden mittlerweile alle Spiele der Bundesliga im TV übertragen, verbleiben aber zu oft unattraktiven Anstoßzeiten ohnehin hinter einer Paywall. Es ist kein attraktives Angebot. Im Pay-TV und im Stadion konkurrieren sie mit allerlei anderen Sportarten und mit Freizeitangeboten. Der Zuschauerschnitt in der nationalen Liga liegt weiter unter 1000. Es ist ein langer Weg und eine vergleichsweise einfache Rechnung. Die Frauen brauchen mehr Identifikationsfiguren, sie müssen dabei auf eine andere Zielgruppe setzen. Wie eben auch die bisherigen Spiele bei der Europameisterschaft gezeigt haben. Das Publikum ist jünger, ist weiblicher, ist auch in der Liga nicht von der zuweilen höchst maskulinen Fanstruktur der Männerligen geprägt. Der Sport ist bezahlbarer, ist somit offener für Familien, denen die Gier nach Macht und Geld bei den männlichen Vertretern zuwider ist.
Was der Sieg gegen Spanien auslösen kann
Aber alles Gerede, alle Forderungen nützen nichts, wenn sie nicht sportlich untermauert werden. Nur so wird dem Sport der langsame, beschwerliche Weg in andere Sphären gelingen. Das 2:0 gegen Spanien war daher nicht nur ein Sieg im Kampf der Kulturen, sondern vielmehr eben auch ein kleiner Schritt in diese Richtung. In diesem Sommer stehen die Frauen allein auf der Bühne. Sie spielen im Mutterland des Fußballs und können einen Kontrapunkt zur WM in Katar setzen. Wenn es ihnen jetzt gelingt, sportlich weiter so zu überzeugen und dabei eine andere, eine positive Geschichte zu erzählen, sind die Voraussetzungen für den weiteren Aufstieg des Spiels in der öffentlichen Wahrnehmung.
Dass sich etwas ändern könnte, zeigten nicht zuletzt die Spiele der K.-o.-Phase der Champions League, als unter anderem der VfL Wolfsburg beim Spiel gegen den FC Barcelona mit 2:0 gewann, nach einem 1:5 im Hinspiel zwar ausschied, aber über 20.000 begeisterte Fans im großen Stadion zurückließ. Auch der FC Bayern ging für das Spiel gegen Paris Saint-Germain in die Allianz Arena. Es sind diese Schritte, die den Nationalspielerinnen helfen. Auch jetzt bei der EM mit den guten Zuschauerzahlen. Sie kennen diese Kulissen mittlerweile, auch wenn sie in der Bundesliga nicht gegeben sind. Alles hängt mit allem zusammen. Gelingt dem Team ein Coup in England, wird dieser Auswirkungen auf die Liga haben. Vor dieser Druckkulisse werden die Spiele ausgetragen. Es geht darum, das Spiel in die Masse zu tragen. Nur selten ist dafür Gelegenheit.
Umso erfreulich war dieser verdammt beeindruckende Sieg gegen Spanien, der nach zwei Spielen durch den direkten Vergleich sogar schon für den Gruppensieg sorgte. Der praktische Nebeneffekt: Die Gastgeberinnen aus England werden dort nicht der Gegner sein.
Quelle: ntv.de