Die Tränen von Alexandra Popp Die beste Geschichte des starken deutschen EM-Auftakts

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Alexandra Popp geht einen langen, langen Weg bis zu ihrem ersten Spiel bei einer Fußball-Europameisterschaft. Und dort schreibt sie gleich das erste Kapitel einer Erfolgsgeschichte. Jedenfalls erhoffen sie sich das alle beim DFB. Es geht nicht nur um sportlichen Erfolg.

Als sich ein großer deutscher Fußball-Abend dem Ende entgegen neigte, rollten Tränen. Alexandra Popp hatte in der 86. Minute gegen Dänemark mit ihrem Treffer zum 4:0 einen berauschenden Start des DFB-Teams in die Europameisterschaft in England auch emotional abgerundet. Und die Stürmerin ließ sich von der Größe des Augenblicks kurz überwältigen. Das Spiel war nach Treffern von Lina Magull (21. Minute), Lea Schüller (57.) und Lena Lattwein (76.) längst entschieden, das Tor der Kapitänin war dennoch besonders. Es war das erste Tor bei einer Europameisterschaft für die Olympiasiegerin und zweimalige Champions-League-Gewinnerin. Und vor allem der Beweis, dass ein langer, schwerer Weg zurück zum Ziel führte.

"Ich kann es gar nicht glauben. Ich bin mega-froh, dass wir so einen Auftaktsieg geschafft haben. Die Mannschaftsleistung war überragend", schwärmte Popp, die alle nur "Poppi" rufen. "Das 4:0 war auch in der Höhe verdient. Das macht Lust auf mehr." Die Kapitänin war mit 114 Länderspielen im Rücken nach England gereist, die Stürmerin traf in der Champions League, bei Olympia, bei Weltmeisterschaften und in der Bundesliga. In jedem denkbaren Wettbewerb traf sie so oft, dass "alleine ihr Name beim Gegner etwas auslöst", wie Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in einer ARD-Dokumentation von ihrer Angreiferin schwärmt.

"Jetzt habe ich es zurück geschafft"

Nur bei einer Europameisterschaft traf sie noch nie: Vor dem Turnier 2013 riss sie sich das Außenband im Knie, 2017 zerfetzte ein Meniskusriss die Träume von einer großen Europameisterschaft. Hätte Corona die Europameisterschaft nicht von 2021 nach 2022 gezwungen, Popp wäre auch in England nicht dabei gewesen: Ein Knorpelschaden im Mai 2021 sorgte für eine lange Pause. So lange, dass die 31-Jährige zittern und hart arbeiten musste, bis die Rückkehr perfekt war. Neun Monate nach ihrer Knieoperation feierte die Stürmerin für den VfL Wolfsburg diesen Januar ihr Bundesliga-Comeback - und musste sich wegen Schmerzen im operierten Knie gleich wieder unters Messer legen. Im Rahmen einer MRT-Untersuchung wurde ein gelöstes Knorpelfragment diagnostiziert, das operativ entfernt werden musste. "Man kann sich vorstellen, dass das für sie die schwerste Botschaft war", litt Wölfinnen-Trainer Tommy Stroot mit "Poppi".

Im April dann, nachdem alles wirklich überstanden war, hatte Popp, seit 2018 Kapitänin der National-Mannschaft, ihr Comeback im Kreise des Teams gegeben. "Man sieht mich selten weinen, aber in dem Moment sind tatsächlich die Tränen gekullert", berichtete die Stürmerin vom VfL Wolfsburg von ihrer Einwechslung beim 3:0 gegen Portugal. Am Ende umarmten fast alle deutschen Spielerinnen und Betreuer die zweifache "Fußballerin des Jahres". "Nach Abpfiff, ja, hat's mich - um ehrlich zu sein - ziemlich übermannt", schilderte sie. "Es war irgendwie ein Moment, wo ich dachte: Jetzt habe ich es tatsächlich zurück auf den Platz geschafft."

Es war leicht ironisch, dass dann Corona, das Virus, das ihr 2021 auf traurige Weise doch noch die letzte Chance auf eine EM-Teilnahme verschafft hatte, der Anführerin der DFB-Truppe auf den letzten Metern nach England noch einmal Steine in den Weg legte: Als einzige Spielerin aus dem Tross musste Popp beim Trainingslager in Herzogenaurach mit dem Virus kämpfen, alleine auf dem Zimmer trainieren und sich regelmäßig kardiologisch überwachen zu lassen.

"Muss man so knallhart sagen"

"Wie ein kleines Kind" freute sich Popp nun also, als sie bei der Anreise am Flughafen Heathrow endlich englischen Boden betreten und erstmals EM-Luft schnuppern durfte. Auch die Bundestrainerin weiß um die besondere Ausgangslage ihrer erfahrensten, erfolgreichsten Spielerin: "Ich kann nur sagen, dass das einfach schön ist", sagte Voss-Tecklenburg. "Poppi hatte keinen einfachen Weg." Die Frage der Fitness habe die Stürmerin "sehr beschäftigt, sehr mitgenommen". Und am späten Freitagabend im nahe London gelegenen Brentford ging eine lange Geschichte voller Hürden und Rückschläge und vom unbedingten Willen, Widerstände zu überwinden, vorerst zu Ende. Nach rund einer Stunde eines aus deutscher Sicht beeindruckenden Auftritts gegen deutlich unterlegene Däninnen um die ehemalige Weltfußballerin Pernille Harder, durfte Popp endlich EM-Rasen betreten.

Und schreibt fortan an einer neuen Geschichte: Die vom EM-Märchen, das den Fußball der Frauen in Deutschland endlich nachhaltig auf ein neues Level heben soll. "Mit unserem Erfolg sind wir ja mit daran beteiligt, wie es mit dem Frauenfußball in Deutschland weitergeht - das muss man schon so knallhart sagen", hatte Popp vor dem deutschen Turnierauftakt der "Süddeutschen Zeitung" gesagt. "Das ist uns bewusst, wir wissen um diesen gewissen Druck. Jede einzelne von uns spielt nicht einfach so Fußball, wir wollen auch was bewegen und den Frauenfußball weiterentwickeln."

Spiel gegen Dänemark als Schlüssel

Popp selbst, eine der großen Persönlichkeiten des deutschen Fußballs der Frauen, arbeitet unermüdlich daran, ihre Sache voranzubringen. "Wir müssen einfach mehr Werbung für unsere Spiele machen. Darüber hinaus benötigen wir mehr TV-Präsenz, um den Frauenfußball noch sichtbarer zu machen", hatte die gelernte Zootierpflegerin vor dem Spiel ihres VfL Wolfsburg in der Champions League im Camp Nou des FC Barcelona gefordert. Dort lernte der deutsche Fußball vor einer Rekordkulisse von über 90.000 Menschen viel darüber, was auch im Frauenbereich möglich ist.

Mit dem lockeren, phasenweise begeisternden Überspringen der komplizierten Auftakthürde Dänemark ist der Anfang gemacht: 5,95 Millionen Menschen sahen das Spiel im ZDF, die wenigsten dürften ihr Einschalten bereut haben. Und alle haben gelernt, dass die deutsche Mannschaft nach einer starken Vorbereitung voll drin ist in diesem Turnier: "Das Spiel gegen Dänemark wird der Schlüssel für das Turnier sein", hatte Voss-Tecklenburg Ende Juni nach dem erfolgreichen letzten Test gegen die Schweiz (7:0) prophezeit und wenn die Bundestrainerin recht behält, steht dem DFB-Team eine spannende, im besten Falle lange Reise bevor.

Auf die Frage, ab wann diese EM denn eine erfolgreiche wäre, antwortete Alexandra Popp: "Da müssen wir schon vom Halbfinale sprechen." Die Bundestrainerin geht noch einen Schritt weiter, auch, weil sie um die Qualitäten ihrer speziellen Angreiferin weiß: "Poppi gibt immer alles, sie geht vorneweg. Sie ist eine der wenigen, die in der Lage ist, auch unangenehme Dinge auszusprechen. Sie ist ein Typ und nur mit Typen gewinnst du ein Turnier." Am Ende eines langen Weges dürften wohl gerne noch weitere Tränen stehen. Frische Freudentränen.

Quelle: ntv.de

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