Fußball

DFB darf nicht in Falle treten Bitte, lieber Rudi Völler, mach es nicht

Ganz Deutschland ist im Rudi-Rausch, behaupten die, die im Rudi-Rausch sind.

Ganz Deutschland ist im Rudi-Rausch, behaupten die, die im Rudi-Rausch sind.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ganz Deutschland ist im "Rudi-Rausch". Kurzzeit-Bundestrainer Rudi Völler führt die Nationalmannschaft zum ersten Sieg seit gefühlt der WM 2014. Jetzt soll er bleiben und Deutschland bei der EM 2024 zum Sommermärchen coachen. Das ist keine gute Idee. Deutschland muss zur Besinnung kommen.

Die Verklärung hatte bereits eingesetzt, da war Hansi Flick gerade erst ein paar Stunden aus dem Amt gejagt. Rudi Völler wollte nicht mit der Deutschen Bahn fahren und die Nationalmannschaft wollte auch nicht mit der Deutschen Bahn fahren. Was auf der Strecke von Wolfsburg in Richtung Dortmund eigentlich die richtige Wahl wäre. Wenn man, wie ein Großteil der Deutschen, der Bahn nicht einfach höllisch misstraut. Der DFB also stieg lieber in den Bus und der Sport-Informationsdienst vermeldete: "Er lag damit goldrichtig: Bei der angepeilten ICE-Verbindung entfiel am Vormittag der Halt Wolfsburg."

Die Deutsche Bahn, Züge, die nicht in Wolfsburg halten - das geht immer. Welch herrlicher Auftakt für Rudi Völler. Dass jedoch von Wolfsburg sogar ein Ersatzzug in Richtung Ruhrgebiet aufgebrochen war, vermeldete niemand. Der fuhr zwar nicht über Dortmund, aber immerhin bis zum Ort der Zugteilung, bis nach Hamm, ein paar Kilometer östlich von Dortmund. Das jedoch war nicht einmal eine Randnotiz wert.

Am Abend dann räumte Völler auf seiner wohl einzigen Spieltags-PK als Interims-Bundestrainer noch schnell Hans-Joachim Watzkes Kritik an der Reform des Kinderfußballs ab. Watzke habe da eben in "feucht-fröhlicher Runde" auf dem DUP-Unternehmertag gesprochen und sei ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Diskussion beendet. Oder doch nicht? "Watzke sprach um 17.30 Uhr. Auf dem Tisch neben ihm stand Mineralwasser", schrieb der Kolumnist und Autor Alexander Steudel ein paar Stunden später auf LinkedIn. Er sei selbst vor Ort gewesen und frage sich, ob die Unternehmer vor Ort so begeistert über die Zuschreibungen Völlers gewesen sind.

Ein Sommermärchen im September

Alles egal: Denn ein Rudi Völler brachte der Nationalmannschaft gegen wenig motivierte Franzosen nicht nur den Erfolg zurück, sondern trichterte ihnen wieder grunddeutsche Tugenden ein: grätschen, beißen und schubsen im Strafraum. Aus den abstürzenden Graugänsen in Katar wurden binnen weniger Tage die letzten echten Malocher im Ruhrpott. "Rudi Völler" sangen die Fans, brüllten "Deutschland, Deutschland", auf dass es auch jeder wisse: Der DFB ist wieder da. Sommermärchenstimmung im September.

Was, bei genauerer Betrachtung, keine gute Nachricht ist. Denn der DFB, der wieder da ist, schlingert seit Jahren von Krise zu Krise. Rudi Völler, der nach 20 Jahren wieder da ist, vermittelt nun eben jenen Fans der Nationalmannschaft, dass alles wieder gut, also wie früher werden würde. Wie 1990, als Deutschland bei der WM in Italien den Titel holte oder wie 2002, als aus dem Übergangstrainer Völler der überraschende Vize-Weltmeistertrainer Völler wurde. (Und kurz darauf auch Vorrunden-Aus-Trainer.) Das, was einst in einer anderen Welt war, als Signal für die Zukunft.

Dort aber ist der DFB nie angekommen und dort wird er mit dem aktuellen Führungspersonal auch nicht landen. Soll er aber auch gar nicht. Es ist egal, wem das Amt des Bundestrainers angetragen wird, an der Führung der Nationalmannschaft verändert sich erst einmal nichts. Nur zur Erinnerung: Der als Ersthelfer gepriesene Völler hatte in den letzten Monaten den seit der WM maximal beschädigten Hansi Flick weitermachen lassen und ihm nach einer Verbands-Blitzanalyse den Rücken freigehalten. Auch nach den missglückten Sommer-Länderspielen. Da war Flick schon lange nicht mehr tragbar. Aber Völler hatte stattdessen gegen viele Spieler gewettert und ihnen die Eignung zum Nationalspieler abgesprochen.

Die Auferstehung des DFB

Der Mann, dem Wunderkräfte zugeschrieben werden, hatte in den vergangenen Jahren immer wieder sein reaktionäres Verständnis der Welt durchblicken lassen. DFB-Vize und Multifunktionär Hans-Joachim Watzke, der aus dem Nichts zum stärksten Mann im deutschen Fußball erwachsen ist, ist ein Sauerländer wie CDU-Chef Friedrich Merz. Er betrachtet die Welt vom Grenzsteinweg Erlinghausen. Das offenbarte er in den letzten Monaten immer wieder. Auf der Unternehmertagung in Essen oder auch beim Nmecha-Transfer in Dortmund.

DFB-Task-Force-Mitglied Karl-Heinz Rummenigge verteidigte erst kürzlich den mittlerweile zurückgetretenen spanischen Skandal-Präsidenten Luis Rubiales. Das bislang Bemerkenswerteste an DFB-Boss Bernd Neuendorf ist seine Brille, die er stets auf dem Kopf trägt. Durch wohldurchdachte Entscheidungen ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.

Das 2:1 gegen Frankreich, das auch aufgrund gütiger Mithilfe des Schiedsrichters Anthony Taylor zustande kam, befeuerte eben jene Sehnsucht nach einem "Weiter so", nur eben ohne Hansi Flick, der sich mit seinem Starrsinn ins Aus gecoacht hatte. Der aber höflich verabschiedet wurde. Alle dankten ihm für seine Dienste, auch nach dem Sieg war er in ihren Gedanken. Sie freuten sich aber umso mehr über die "Auferstehung", wie es auch auf ntv.de zu lesen war und den "Befreiungsschlag für alle, die mit uns gelitten haben", wie Torschütze Thomas Müller es später ausdrückte. Ob überhaupt jemand außerhalb der DFB-Blase mit ihnen gelitten hatte, lässt sich nicht mehr komplett nachvollziehen.

Die letzten Geisterfahrer

In der "Bild"-Zeitung war gleich "ganz Deutschland im Rudi-Rausch" und der "Focus" huldigte einem Menschen, der "sagt, was er denkt" und sich nicht verbiegen lässt, weil er so herrlich "volkstümlich" sei. Auch "11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster sprang auf. Es sei zwingend, dass Völler "bis zur EM mit den Kollegen Wolf und Wagner weitermacht", um wieder "Kontakt zum Publikum zu bekommen".

Überall mischte sich unter das Bedauern über Völlers "Rücktritt" nach nur einem Spiel also das Flehen. Er muss es jetzt machen, hieß es in allen Medien, die sämtliche Bedenken zur Seite wischten. Denn in Dortmund hatte das Publikum abgestimmt und "Rudi Völler" und "Deutschland, Deutschland" gerufen. Denn in Dortmund hatten auch die Spieler abgestimmt. Sie waren plötzlich Malocher geworden. Der Trainerwechsel hatte mit wenigen Kniffen etwas ausgelöst.

Der Erfolg gegen Frankreich mag Balsam für die so arg geschundenen Seelen der Nationalspieler gewesen sein, die sich nichts mehr als Unterstützung wünschen. Denn dann werde alles gut, hatte Kai Havertz auf einer PK vor dem letzten Flick-Spiel durchblicken lassen. Vielleicht hält dann sogar wieder die Deutsche Bahn in Wolfsburg, wie sie es eigentlich immer macht. Rudi Völler muss jetzt nur Ja sagen und auch die letzten Geisterfahrer, wie dieser Autor, verschwinden ganz schnell.

Quelle: ntv.de

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