FC Bayern völlig fassungslos "Brutale" Probleme setzen Nagelsmann arg zu
17.09.2022, 19:54 Uhr
Manuel Neuer versuchte sich als Stürmer.
(Foto: IMAGO/MIS)
Der FC Bayern stürzt in eine handfeste Krise und ist so schlecht wie seit 20 Jahren nicht. Ein Grund mal wieder: wenig offensive Ideen und mangelhafte Chancenverwertung. Selbst Torhüter Neuer versucht sich als Stürmer - und scheitert. Der Punkteschnitt von Trainer Nagelsmann wirkt bedrohlich.
Manchmal ist der Fußball unheimlich. Als der FC Bayern an diesem Samstagnachmittag um 16.48 Uhr endgültig in die Krise gestürzt war, als die Mannschaft von Trainer Julian Nagelsmann nach verzweifelten Abschlüssen mit 0:1 beim FC Augsburg in Rückstand geriet, machte sich Robert Lewandowski in 1226 Kilometer Entfernung (als Fußweg via Google Maps gemessen) auf dem Weg zum Tor des Elche CF. Und um 16.49 Uhr hatte er vollendet, was er sich vorgenommen hatte: Robert Lewandowski hat das 1:0 für seinen FC Barcelona erzielt. Eiskalt hatte der Stürmer zugeschlagen, das Anrennen seines Teams belohnt.
In München werden sie in den nächsten Tagen nichts von höheren Mächten im Fußball hören wollen. Vor allem nicht Nagelsmann, der nun alles hinterfragen möchte. Sogar sich selbst, wie er nach dem Abpfiff bemerkenswert ehrlich gestand. In München werden sie nichts über ihren Ex-Spieler Lewandowski hören und schon gar nicht über ihn, seine Ligatore sieben und acht und die Tabellenführung der Katalanen (zumindest bis zum Derbi Madrileño am Sonntagabend zwischen Real und Atlético Madrid) reden wollen. Es wird ein frommer Wunsch bleiben. Denn die Krise des FC Bayern, ausgerechnet zum Start des Oktoberfests manifestiert, ist eine, die sich um exakt jene Dinge dreht, die kaum ein Spieler auf dem Planeten besser beherrscht als Lewandowski: Tore.
In der 95. Minute dieses 7. Spieltags hätte der Rekordmeister die Krise zu einem Kriselchen abmildern können. Aber weil Manuel Neuer ein Torwart und kein Stürmer ist, blieb es beim 0:1. Wobei man dem Kapitän unrecht tut, wenn man seinen Kopfball verzwergt. Der war wirklich gut, noch besser war nur Rafal Gikiewicz. Der FCA-Schlussmann parierte überragend. Zum wiederholten Male. Fantastisch für Augsburg. Frustrierend aber für den FC Bayern. Der mittlerweile mit dem Ohrwurm penetriert wird, dass der Torwart des Gegners auch wirklich stark spielte. Aber das kann ja keine Ausrede sein. In der Bundesliga stehen nämlich viele formidable Torhüter unter Vertrag. Wo soll das hinführen? Vielmehr wächst sich die schwache Chancenverwertung zu einem chronischen Problem aus. Bezeichnend, dass es Keeper Neuer war, der in der Nachspielzeit eine der besten Chancen hatte.
Nagelsmann mit miserablem Punkteschnitt
Im Zentrum des Münchner Problems: Neuzugang Sadio Mané. Der pfeilschnelle Weltklassespieler, der mit einem Donnerhall in der Bundesliga aufgeschlagen war, fremdelt seit Wochen mit sich und seinem Abschluss. Er ist ja weiß Gott nicht allein damit, aber er ist eben der Mann, der den Angriff nach dem Abgang des polnischen Super-Torjägers hauptverantwortlich schultern sollte. Trainer Nagelsmann sah sich in dieser Woche sogar mehrfach herausgefordert, den sensiblen Senegalesen stark zu reden. Er solle nicht so viel nachdenken, mehr den Egoisten in sich entdecken - und natürlich gerne mal wieder ein Tor erzielen. Seit fünf Partien steht die Null. Ein Drama für jeden Stürmer. Anders als Lewandowski. Der steht nach sieben Pflichtspielen schon wieder bei neun Treffern!
Aber auch Nagelsmann wird sich Kritik gefallen lassen müssen. Nach dem massiven Kaderumbau in seinem Sinne bringt seine Mannschaft abermals ein viel zu unstrukturiertes und lange Zeit ideenloses Spiel auf den Rasen. Das war auch in den ersten 45 Minuten gegen Barcelona der Fall, worüber der Sieg am Ende nicht hinwegtäuschen konnte. Wie die Bayern diese Saison ohne echten Mittelstürmer, ohne einen zielstrebigen Vollstrecker auf der Neun à la Lewandowski, überstehen wollen - Eric Maxim Choupo-Moting wurde in der 78. Minute für Mané gebracht - muss Nagelsmann ebenfalls beantworten.
Der Punkteschnitt von Münchens Spielleiter liegt in dieser Bundesliga-Saison derzeit bei 1,71. Niko Kovac war beim Rekordmeister 2020 mit 1,80 Punkten pro Spiel entlassen worden (sein insgesamter Punkteschnitt bei den Bayern lag bei 2,26). Nun liegt der FC Bayern nach sieben Spieltagen mit zwölf Punkten auf Rang vier in der Tabelle, nach Kovac' letzter Partie (1:5 in Frankfurt) war es nach zehn Spieltagen mit 18 Punkten ebenfalls der vierte Platz.
"Das ist nicht Bayern-like"
Der sichtbar enttäuschte Nagelsmann fand es ob der Krise "nicht so leicht, Worte zu finden". Mit Blick auf die nun anstehende Länderspielpause sagte er: "Über alles denke ich nach. Über mich. Über die Situation. Über alles." Bayerns Sportvorstand Hasan Salihamidžić fügte an: "So wie wir heute gespielt haben, kann man in der Bundesliga nicht gewinnen." Der Rekordmeister habe "brutal Probleme gegen Mannschaften, die körperlich gegen uns spielen, die uns sozusagen auf die Socken hauen. Aus vier Spielen drei Punkte - da weiß ich nicht, ob mir die Maß schmeckt", sagte der Kaderplaner vor dem Wiesn-Besuch am Sonntag. Nagelsmann beklagte zum wiederholten Male die fehlende Effizienz. Seine Spieler seien "einfach sehr Laissez-faire" aufgetreten. Seine Lust aufs Oktoberfest? Nicht (mehr) vorhanden.
Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus sieht deshalb unruhige Tage auf seinen Ex-Klub zukommen. "Das ist nicht Bayern-like, es wird Schlagzeilen geben, es wird im Verein auch Aussprachen geben", sagte er bei Sky.
Schon in der ersten Hälfte gegen Barcelona hatten Leroy Sané, der gehemmte Mané oder Thomas Müller viel zu wenig Durchschlagskraft und Zielstrebigkeit auf den Platz gebracht. Bayern kombinierte sich zwar oft bis an den Sechszehner, aber dann verpufften die Angriffe. Auch gegen Augsburg fiel Münchens hochbegabten Ballkünstlern nicht viel ein, bis sie in Rückstand gerieten. Doch in einer Krise fehlt dann eben auch in den letzten Minuten einer engen Partie oft das Glück. "Ich bin fassungslos, dieses Spiel dürfen wir nie verlieren. Nach vier Spielen ohne Sieg stehen wir natürlich bedröppelt da, da passt das Wetter natürlich so ein bisschen dazu, es wurde immer dunkler", zeigte sich Müller nach der Partie dementsprechend verärgert. "Wir haben mehr Chancen kreiert, es aber nicht gut genug zu Ende gespielt." Dass es in der Offensive hapert, zeigt auch die Statistik, dass der Angstgegner FCA Bayerns Rekordserie von 87 Bundesliga-Spielen in Folge mit mindestens einem Tor beendete. Wie übrigens schon 2014, damals nach 65 Partien.
Die erste Saisonniederlage der Bayern, die Blamage in Augsburg, ist zugleich das vierte Spiel in Serie ohne Sieg. So etwas kannte der Rekordmeister mit Lewandowski natürlich nicht. Weit muss man in den Geschichtsbüchern der Liga nach hinten blättern und wird in der Saison 2001/02 fündig, als die Bayern sieben Spiele in Folge nicht gewannen. Der schlechteste FCB seit 20 Jahren manövriert sich also ohne echten Torjäger, einem intern möglicherweise schon kritisch beäugten Trainer und einem oft zu ungefährlichen und körperlosen Spiel in eine historische Krise.
Quelle: ntv.de