Stillos oder bloß Zufall? Der DFB drängelt sich unangenehm in WM-Party der Basketballer
11.09.2023, 08:29 Uhr
Die Wagner-Brüder Moritz (l.) und Franz (r.) feiern den WM-Titel.
(Foto: IMAGO/camera4+)
Deutschland erlebt am Sonntag zwei historische Ereignisse - und das gefühlt zur gleichen Zeit. Erst stellt der DFB erstmals in seiner langen Geschichte einen Bundestrainer frei, ehe die deutschen Basketballer erstmals Weltmeister werden. Eine seltsame Gleichzeitigkeit der Ereignisse.
Fassungslosigkeit und Freude lagen an diesem Sonntagnachmittag ganz, ganz nah beieinander. Binnen weniger Minuten wurde zweimal Sportgeschichte geschrieben. Das Versagen des deutschen Fußballs manifestierte sich im ersten Rauswurf eines Bundestrainers der Männer-Nationalmannschaft und parallel dazu gewannen die Basketballer sensationell ihren ersten Weltmeister-Titel. Es ist eine historische Gleichzeitigkeit. Eine Randnotiz, eigentlich. Aber eine, die sehr genau wahrgenommen wird. Und eine, die sich für viele in die Taktlosigkeit des Fußball-Giganten DFB einreiht.
Ein Zufall bloß? Vielleicht! Eine unaufschiebbare Angelegenheit? Manche Menschen sehen es so. Und dennoch bleibt irgendwie hängen: Nicht einmal den begeisternden Basketballern gönnte der DFB die größte Sternstunde der Verbandsgeschichte. Als Dennis Schröder die DBB-Auswahl in Manila zum Titel führte, nur noch wenige Minuten bis zum ersten Weltmeister-Titel für den Deutschen Basketball-Bund zu spielen waren, drängelte sich der Krisen-Riese DFB mit einer Nachricht von ebenso historischer Bedeutung vor. "Hansi Flick als Bundestrainer freigestellt", hieß es in der um 16.24 Uhr verschickten Pressemitteilung, 15 Minuten vor dem Gold-Hammer auf den Philippinen. Erstmals in der langen Geschichte des Verbandes wird ein Bundestrainer gefeuert. Nicht einmal der Kurzzeit-Trainer Erich Ribbeck hatte das geschafft.
Flick trainiert erst noch, dann muss er gehen
Entlassungen kommen nie aus heiterem Himmel. Sie stehen meistens am Ende einer langen Entwicklung und natürlich auch am Ende langer Überlegungen. Die Entscheidung hatte sich bereits in der Nacht angedeutet, sie wurde beinahe einen kompletten Tag herumgeschleppt. Erst musste Flick aber noch im kleinen Stadion neben dem Wolfsburger Stadion eine öffentliche Trainingseinheit leiten. Rudi Völler hielt eine Ansprache, Flick gab lange Autogramme und verließ, als wolle er Abschied nehmen, als Letzter die kleine Arena am Mittellandkanal.
Um dann von seiner Entlassung zu erfahren. Denn das wurde ihm nach RTL/ntv-Informationen im Anschluss mitgeteilt. Dann musste dieser Entschluss noch von den Gremien abgesegnet werden. Und dann war es vorbei für Hansi Flick. Kurz nach der offiziellen Verkündung verließen er und sein Trainerteam in drei Vans das Teamhotel. Drüben in Manila reckte ziemlich zeitgleich Dennis Schröder die WM-Trophäe in die Luft. Die Basketballer tanzten im Konfettiregen und davor stand es: "World Champions".
Das waren die Fußballer auch einmal, aber diese Zeiten sind lange her. Dabei hatte Flick sie genau dahin führen sollen. Er, der dem FC Bayern alle Titel gebracht hatte, war als euphorisch herbeigesehnter Erlöser angetreten. Denn auch 2021 lag der deutsche Fußball nach den bleiernen, letzten Jahren unter Joachim Löw am Boden. Der Ewigkeitstrainer hatte sich an seiner Aufgabe abgearbeitet, wirkte amtsmüde, auch in der Kommunikation. Flick dagegen wirkte frisch, offen und locker. Und er kannte sich damit aus, ein taumelndes Team aufrichten und es zu einer Einheit formen. Das war ihm mit den Bayern als Nachfolger von Niko Kovac vorher schon einmal gelungen.
Die hämische Verwunderung dröhnt
Doch nach acht Siegen zum Auftakt der Flick-Ära, es waren Siege gegen kleinere Nationalmannschaften, begann der dramatische Absturz, der die DFB-Elf in die biederste Mittelmäßigkeit sinken ließ. Die seit dem WM-Titel 2014 erst schleichende, dann immer schnellere Entfremdung vom Land schritt voran. Daran änderte auch der Rauswurf von Oliver Bierhoff nichts. Wie bereits 2018 wurde das Scheitern bei einer WM nicht aufgearbeitet. Augen zu und durch. Irgendwie zur Europameisterschaft 2024 kommen und dann auf der Sommermärchen-Welle ganz weit in Richtung Finale surfen. Wie? Egal. Auch die Fans würden die Auswahl dann wieder lieben.
Doch diese große Idee war mit Beginn dieser Länderspielpause hinfällig. Im Hintergrund dröhnte die hämische Verwunderung über das in der neuen Amazon-Doku "All or Nothing" wunderbar dokumentierte Scheitern der Mannschaft in Katar und auf einem Podest in der Wolfsburger Autostadt klagte England-Profi Kai Havertz noch einmal die Fans an. "Wir hatten keine Unterstützung", sagte er noch einmal rückblickend auf die Wüsten-WM und bestätigte das Bild einer völlig entkoppelten DFB-Elf. Die zudem auch sportlich nach der WM wenig Anlass bot, sie in irgendeiner Form zu unterstützen. Umso erstaunlicher war es eigentlich, dass sich die Pfiffe in den Stadien immer erst spät gegen die Mannschaft richteten. Das größte, weil ja bekannteste Sorgenkind des deutschen Sports hatte sich mal wieder selbst zerlegt. Vielleicht.
Sensations-Geschichte von Manila bewegt sogar Scholz
Ganz im Gegensatz zu der hochromantischen Sensations-Geschichte, auf die sogar Bundeskanzler Olaf Scholz während der G20-Gipfeltage in Neu-Delhi aufmerksam wurde. Nach der furiosen Bronzemedaille bei der EM im vergangenen Jahr zogen die Basketballer gegen alle Widerstände ihr Ding durch. Sie trotzten Verletzungen und schlechten Tagen und beklagten sich nicht über die fehlende Unterstützung aus der Heimat. Bis auf das Finale liefen die Spiele des DBB nur bei Magenta Sport. Erst im letzten Moment sprang das ZDF auf und holte den Sport und seine Helden ins Rampenlicht. Von Euphorie war abseits der Nische erst spät überhaupt etwas zu spüren.
Was der besonderen Leistung der Mannschaft nicht gerecht wurde. Denn nicht das historische Gold ist die große Erzählung dieses Teams, sondern die Art und Weise, wie sie sich als Kollektiv gegen teils deutlich überlegene Individualisten wehrte. Diese Überzeugung, dieses Urvertrauen in jeden Spieler, das machte die DBB-Auswahl aus. Während der Ball in der Crunchtime sonst oft in den Händen der Superstars landet, Dennis Schröder oder Franz Wagner wäre das bei den Deutschen, lief es beim DBB-Team anders. Nicht der nominell stärkste Mann sollte es richten, sondern jener mit dem heißesten Händchen auf dem Court. Keine Allüren, kein Platzhirsch-Gehabe, einfach nur ehrliche Freude, Euphorie, als Team etwas Großes geschaffen zu haben. Und wenn es mal lauten Streit gab, etwa zwischen dem polarisierenden Anführer Dennis Schröder und Bundestrainer Gordon Herbert, dann wurde das leise abmoderiert. Reibung wurde als Antrieb verwertet, nicht wie beim DFB, wo Reibung zu Spaltung führt. So wurde etwa gegen Japan keine Kraft aus Wortgefechten gezogen, sondern nur Frust und Lethargie.
"Basketball ist eine großartige Sportart. Ich wünsche mir, dass wir unseren Respekt kriegen - für das, was wir die letzten Jahre geschafft haben", sagte der MVP der Weltmeisterschaft, sagte Dennis Schröder, nach dem Spiel. Doch anders als beim DFB stand der fehlende, ob reale oder gefühlte, Respekt der deutschen Öffentlichkeit einem Erfolg an diesem historischen Sonntag nicht im Wege.
Quelle: ntv.de