Martínez hat's endlich geschafft Der klappernde Held verlässt den FC Bayern
05.05.2021, 19:12 Uhr
Noch ein letztes Mal Weißbier!
(Foto: imago images/Team 2)
Der FC Bayern verabschiedet einen der erfolgreichsten Spieler seiner Vereinsgeschichte. Nach neun Jahren ist für Javi Martínez in diesem Sommer Schluss beim Rekordmeister. Die Zukunft des Defensivallrounders ist offen. Die gesungenen Lobeshymnen laut.
Der 13. April dieses Jahres wäre für Javi Martínez noch einmal geeignet gewesen, um seiner beeindruckenden Heldengeschichte beim FC Bayern ein finales Kapitel zu gönnen. An diesem 13. April hätte der 32-Jährige seinen FC Bayern ins Halbfinale der Champions League köpfen können. Doch die neun Minuten Einsatzzeit, die ihm Trainer Hansi Flick im Rückspiel gegen Paris St. Germain gab, die reichten nicht aus, um das Aus noch abzuwenden. Ein Treffer des Stürmers Martínez, diese Rolle nahm er ein, das wäre ohnehin viel zu kitschig gewesen.
Allerdings hätte man sich auch nicht wundern müssen, wenn Martínez plötzlich wieder da gewesen wäre. Denn wann immer er in München gebraucht wurde, war er da. Neun Jahre hielt er seinen Körper stets dorthin, wo er Ungemach, und sei es noch so schmerzhaft, abwenden konnte. Immer wieder brachte er sich und seine Knochen dabei auch in eine Position, aus der er ein Tor erzielen konnte, 14 waren es bislang für die Münchner. In 266 Spielen. Sieben davon besorgte der Baske mit seinem wuchtigen Kopfball. Zuletzt am 24. September des vergangenen Jahres. Im europäischen Supercup traf er in der Verlängerung gegen den FC Sevilla zum Sieg. Ein Titel, sein 22. mit dem FC Bayern, noch mehr Tränen. Das kitschige Ende einer langen emotionalen und erfolgreichen Reise.
Javi Martínez, das war nach diesem Titel nicht unwahrscheinlich, würde aufhören. Zumindest mit seiner Arbeit in München. Es wäre der perfekte Abgang gewesen. Ein Abgang, der noch eine letzte Karrierestation in Bilbao eingeplant hätte: Bei Athletic, dem Klub, wo die große Laufbahn des Basken begann. Ein Herzensklub. Ebenso wie es der FC Bayern in den neun gemeinsamen Jahren geworden war. Doch Martínez machte weiter. Und brachte es auch in dieser Saison wieder auf 28 Einsätze - fast alle indes als Einwechselspieler. Lediglich dreimal spielte er über 90 Minuten. Zuletzt am 10. April gegen Union Berlin.
Letzte große Schlacht in Anfield
Für mehr reicht es nicht. Die großen Spiele mit dem großen Helden Martínez wurden weniger. Der Supercupsieg war sein letzter großer Moment, das Hinspiel im Achtelfinale in der Champions League beim FC Liverpool im Februar 2019 (0:0) seine letzte große Schlacht. Der unermüdlich und überall präsente Zenturio zermürbte das Team von Jürgen Klopp, das allerdings das Rückspiel in München und später auch den Titel gewann. Weil diese Momente so rar wurden, ist nun tatsächlich Schluss. Zumindest in München. Bilbao bleibt erneut eine Option.
Beim deutschen Rekordmeister singen sie zum Abschied große Hynmen auf ihren Wadlbeißer. "Javi war neun Jahre lang ein wichtiger Eckpfeiler unserer Mannschaft, die in dieser Zeit Historisches geleistet hat", sagte der künftige Vorstandschef Oliver Kahn. "Seine Erfolgsbilanz ist nahezu beispiellos", urteilte Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Martínez sei ein "Unterschiedsspieler". Die Wahrheit ist natürlich eine andere: Martínez war ein "Unterschiedsspieler". Ein Stoppschild im Mittelfeld, fair, aber robust und gnadenlos. Aber eben immer mehr nur noch Aushilfe.
Zum einen ist die junge, schnelle Konkurrenz längst an ihm vorbeigezogen. Im defensiven Mittelfeld, wo er vor allem in der Triple-Saison 2012/13 mit Bastian Schweinsteiger gemeinsam eine beeindruckende Bastion gegen die gegnerischen Attacken bildete, haben sich nun Joshua Kimmich und Leon Goretzka etabliert. Und das mittlerweile ähnlich beeindruckend. Und zum anderen haben die harte Arbeit von Martínez, der sich nie geschont hatte und in jedes noch so schmerzhafte Duell warf, und viele Verletzungen seinen Körper ausgezehrt. Die "Süddeutsche Zeitung" malte nach dem Supercup-Triumph im vergangenen Jahr, das treffende Bild, dass man mittlerweile wohl "selbst in vollen Stadien seine Knochen klappern zu hören" meinte. Voll, das sind die Stadien wegen Corona aber weiter nicht. Und so wird sein Abschied ein unwürdiger sein. Ein trauriger. Ein einsamer. Trotz seiner Mitspieler und Trainer.
Der Kämpfer unter den Freigeistern
Sein Körper, seine Physis, das waren seine Waffen - nebenbei konnte (kann) er natürlich auch gut Fußball spielen. Es waren unverzichtbare Waffen in einem titelgierigen Ensemble, das auf Weltniveau dribbelte (Franck Ribéry), verzauberte (Arjen Robben), irrlichterte (Thomas Müller) und bisweilen wundervoll dirigierte (Xabi Alonso). Für sie alle war Martínez der Mann, der ihnen ihren Freigeist ermöglichte. Die strapazierende Spielweise hat ihren Tribut gefordert. Statt Kampftagen gab es immer häufiger Krampftage. Tage, an denen Martínez nicht spielen konnte - 711 sind es laut transfermarkt.de.
Jeden einzelnen Tag hat er genossen, jeden einzelnen Zweikampf gerne bestritten, jedes noch so schmerzhafte Leiden für den Klub gerne ausgehalten. "Diese neun Jahre werde ich nie vergessen", erklärte er in seiner Abschiedsbotschaft. "Schon am ersten Tag habe ich das Mia san mia und das Besondere am FC Bayern gespürt. Muchas gracias, Dankeschön, Servus!" 40 Millionen Euro Ablöse ließen sich die Bayern im Sommer 2012 die Dienste des Mannes mit dem großen Kämpferherzen kosten - damals war der Profi von Athletic Bilbao der Rekordzugang der Bundesliga. "Es war eine schwierige Entscheidung", erinnerte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge an den Vorstoß in eine neue Transfer-Dimension. "Die Entscheidung war goldrichtig."
Martínez wurde in jedem Münchner Jahr deutscher Meister - die Fortsetzung dieser Serie will er am kommenden Wochenende perfekt machen. Dann ist der FC Bayern Gastgeber für Mönchengladbach. Martínez wird sicher nicht von Beginn anspielen. Aber womöglich wird er eingewechselt. Dann wird er seine klappernden Knochen wieder hinhalten. Und womöglich landet der Ball noch einmal auf seinem Kopf… Es wäre eine wirklich schöne Heldengeschichte.
Quelle: ntv.de