
Das war es.
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Auf bizarre Weise gelingt es den Teams der Serie A in dieser Woche, das Achtelfinale der Champions League zu verpassen. Es hagelt Platzverweise und andere Unglücke. Eines davon ist nun dazu geeignet, einen gesamten Verein zu zerlegen. Im Zentrum des Ärgers steht ein ehemaliger Bundesligaspieler.
Über dem italienischen Fußball sind Wolken aufgezogen, tiefdunkle Wolken. Aus ihnen regnet es heraus. Dicke, harte und kaum zu ertragende Tropfen des Zorns, vor denen es keinen Schutz gibt. Drei Klubs waren in dieser Woche angetreten, um sich über die Playoffs für das Achtelfinale der Champions League zu qualifizieren. Drei Klubs gingen als Favorit in die Rückspiele. Drei Klubs scheiterten gegen Vertreter aus Benelux.
Für Juventus endete der Weg gegen Eindhoven, für AC Mailand, denen Theo Hernandez mit einer Schwalbe und einem anschließenden Feldverweis alle Hoffnung raubte, gegen Feyenoord und für Atalanta Bergamo gegen Club Brügge. Weil Bologna bereits nach der Tabellenphase aus dem Wettbewerb verschwand, kann im europäischen Oberhaus nur noch Inter die Ehre der Serie A retten.
Eine Liga tiefer, in der Europa League, geht es heute für den Mats-Hummels-Klub AS Rom gegen den FC Porto (18.45 Uhr/RTL+ und im ntv.de-Liveticker) ums Überleben. Nach dem 1:1 im Hinspiel ist die nächste Enttäuschung nicht ausgeschlossen. Dann bliebe nur noch Lazio in der Europa und Florenz in der Conference League. Zu wenig für die Liga, die zuletzt ein so furioses Comeback in der europäischen Wahrnehmung gefeiert hatte.
Auch, weil Atalanta Bergamo im vergangenen Jahr etwas gelungen war, was keinem anderen Team gelingen wollte. Im Finale der Europa League spielten sie Bayer Leverkusen her und fügten dem deutschen Double-Gewinner die einzige Saison-Niederlage zu. Wie schmerzhaft das für das Team von Xabi Alonso war. Wie groß dieser Sieg war. Atalanta war neben Leverkusen Europas heißestes Team. Und Leverkusen hatten sie ja gerade besiegt.
In Leipzig am frühen Tiefpunkt der Karriere
Der Supertrainer an der Seitenlinie von Bayer war vom grauhaarigen Gian Piero Gasperini hergecoacht worden, auf dem Platz feierte der ehemalige Leipziger Ademola Lookman das größte Spiel seiner Laufbahn. Lookman war in der Bundesliga gescheitert. Wurde immer wieder nach England verliehen. Er spielte für Everton, Fulham, Leicester. Sein Marktwert rauschte in den Keller. Erst mit dem Wechsel nach Bergamo ging es wieder bergauf.
Beim 3:0 in Dublin erzielte Lookman alle drei Tore, wurde zum Spieler des Spiels gewählt und europaweit von den Medien in den Himmel gelobt. Sein Ruhm strahlte so hell, dass er noch Mitte Dezember 2024 zu Afrikas Fußballer des Jahres gekürt wurde. Die Trophäe holte sich der in London geborene, für die nigerianische Nationalmannschaft spielende 27-Jährige im traditionellen Boubou ab. "Vor vier Jahren war meine Karriere am Tiefpunkt, aber heute stehe ich hier als bester Spieler Afrikas. Lasst eure Träume nicht durch eure Misserfolge stoppen", sagte er.
Auf dem Höhepunkt beginnt der Absturz
Als Lookman am 16. Dezember 2024 also im Boubou auf der Bühne in Marrakesch stand und zu der Jugend Afrikas sprach, war sein Klub in der Serie A mit 37 Punkten an der Spitze der Tabelle und lauerte in der Champions League auf Ausrutscher der Konkurrenz. Der direkte Einzug in das Achtelfinale war trotz eines unglücklichen 2:3 gegen Real Madrid weiter möglich. In der letzten Minute der Nachspielzeit hatte der eingewechselte Mateo Retegui frei stehend das leere Tor verpasst.
Die Niederlage am 10. Dezember 2024 war die erste nach einer Serie von 14 ungeschlagenen Pflichtspielen in allen Wettbewerben. Die Pleite war umso schmerzhafter, als nach dem achten Spieltag der Königsklasse abgerechnet wurde. Bergamo fehlte der gegen Madrid durch Reteguis Fehlschuss vergebene Punkt zur direkten Qualifikation.
Überhaupt nur so hatte es für den in der Serie A auf Rang drei abgestürzten Klub zu dem Drama gegen Club Brügge kommen können. Nach dem 1:2 durch einen höchst umstrittenen Elfmeter in der vierten Minute in der Nachspielzeit des Hinspiels war Atalanta trotzdem guter Dinge ins Rückspiel gegangen. Auch, weil Lookman nach einer kleineren Knieverletzung wieder einsatzfähig war. Er wartete auf der Bank auf seine Chance.
Zwischen Himmel und Hölle liegen 16 Minuten
Als Lookman nach der Halbzeit auf den Platz lief, stand es 0:3. Alles, was gegen Atalanta hatte laufen können, war gegen Bergamo gelaufen. Sie hatten ihren Teil dazu beigetragen, wie der britische Autor Musa Okwonga anmerkte. "Was für ein lustiger Haufen Atalanta doch ist", schrieb der auf BlueSky. "Die laufen mit offenen Geldbörsen durch die Gegend und wundern sich dann darüber, dass die Gegner ihnen das Geld fürs Mittagsessen klauen."
Wenige Sekunden nach Wiederbeginn aber hatte Lookman ein wenig Geld für seine Farben zurückgeholt. In der ersten Minute der zweiten Halbzeit stand es 1:3. Das Comeback war noch nicht ganz gestartet, aber wenigstens möglich. Noch fehlten drei Tore für die Verlängerung. Wer drei Tore braucht, nimmt einen Elfmeter dankbar an. Niemand kann wissen, dass mit einem eigenen Elfmeter eine ganze Dynastie zusammenbricht.
Lookman schnappte sich in der 61. Minute den Ball, lief an und legte ihn in die Arme des 36-jährigen Simon Mignolet. Der ehemalige Torhüter des FC Liverpool steht seit 2019 in seiner Heimat im Tor und freute sich über den Kullerball. Eine leichte Übung. Die Aufholjagd war gestoppt. Eine Katastrophe. Der Zorn brach sich durch die Wolken. Er prasselte nun nieder. Erst in Form von Rafael Tolio, der wenige Minuten vor Schluss alles dafür tat, vom Platz zu fliegen. Nach einem Check des Brügge-Verteidigers Maxim de Cuyper wollte Toloi den erst abwerfen, rutschte dabei aus, stand auf, rannte de Cuyper hinterher, räumte den deutschen Schiedsrichter Felix Zwayer ab und erreichte dann wutschnaubend de Cuyper. Toloi schubste ihn zu Boden und stampfte dann von Zwayer mit Rot geehrt vom Platz.
Der bizarre Elfer-Zoff
Nach dem Spiel brach der Zorn aus Trainer Gasperini. Toloi müsse sich besser unter Kontrolle haben, schimpfte er und legte dann richtig los. Es ging gegen seinen Stürmer. "Lookman war nicht für den Elfmeter vorgesehen. Er ist einer der schlechtesten Elfmeterschützen, die ich je gesehen habe", schimpfte der. "Seine Bilanz im Training ist grauenhaft. Er verwandelt kaum einen. Retegui war auf dem Platz, [Charles] De Ketelaere auch. Aber Lookman war nach seinem Tor vollkommen euphorisiert und hat sich den Ball geschnappt. Das hat mir überhaupt nicht gefallen."
Das wiederum gefiel Lookman überhaupt nicht. Der Nigerianer schoss zurück und wie. "Es macht mich unfassbar traurig, dass ich an so einem Tag so ein Statement veröffentlichen muss", schrieb er auf Instagram. "Besonders weil wir all das, was wir erreicht haben, als Team erreicht haben, als Stadt erreicht haben."
"Dass ich jetzt auf diese Art und Weise herausgegriffen werde, schmerzt mich nicht nur, sondern ist komplett respektlos", wütete er und verfasste dann einen Abgesang auf seine Zeit in Bergamo. Ihm seien viele schlimme Dinge widerfahren, seit er sich vor beinahe drei Jahren dem Verein angeschlossen habe. Darüber gesprochen aber habe er nie. Weil er die Mannschaft immer beschützen wollte, habe er davon nie erzählt. Den Elfmeter habe er geschossen, weil er darum gebeten worden sei. Der seit 2016 für Atalanta tätige Gasperini, das konnte man zwischen den Zeilen lesen, würde in diesem Leben nicht mehr sein bester Freund werden. "Im Leben geht es um Herausforderungen und darum, Schmerz in Kraft umzuwandeln. So werde ich das weiter handhaben."
Wohl aber nicht bei Atalanta Bergamo, wie kurze Zeit später diverse Medien berichteten. Die Entscheidung sei schon vorher gefallen, schrieben sie. Es blieb zuerst unklar, ob es auch so kommen wird. Klar war nur, dass der Zorn alles zerstört hatte. "Atalanta war die europäischste aller Mannschaften", schrieb die "Gazzetta dello Sport" in ihrem Klagelied über den italienischen Fußball. "Doch sie schmilzt dahin wie Schokolade in der Augustsonne." Das Blatt beschwor das Ende von Gasperini und schrieb von einer "Sintflut", während der es schwerfalle, "den Regenbogen zu sehen".
So tiefdunkel also sind die Wolken, die über den italienischen Fußball aufgezogen sind, und über Bergamo haben sie sich gesammelt.
Quelle: ntv.de