Fußball

Italien-Rücktritt von Chiellini Die letzte Grätsche des Abwehr-Giganten

Giorgio Chiellini will im Juni in Wembley seine Nationalmannschaftskarriere beenden.

Giorgio Chiellini will im Juni in Wembley seine Nationalmannschaftskarriere beenden.

(Foto: dpa)

Giorgio Chiellini ist in Italien eine Legende. Nach der peinlich verpassten Weltmeisterschaft nimmt der Mann, der das Verteidigen liebt, nun Abschied von der Squadra Azzurra. Ob das auch das Ende seiner bemerkenswerten Karriere bedeutet, das lässt der 37-Jährige offen.

Sergio Ramos ist der Typ "böses Ende". Zweikämpfe mit der spanische Abwehrlegende sind nichts für Menschen, die dem physischen Schmerz eher kritisch begegnen. Viele Stars der Szene können ihre eigene Anekdote über eine Begegnung mit dem Raubein erzählen. An Geschichten mangelt es auch nicht über Duelle mit Giorgio Chiellini. Der Italiener ist ebenfalls ein Meister seines Fachs. Aber ein ganz anderer Typ. Weniger Krieger, mehr Künstler. Chiellini hat die harte Grätsche zum Kompliment gemacht. Zum Stilmittel. Sein Land hat davon profitiert. Auf dem Fundament Chiellini wurde der Weg zum überraschenden und begeisternden EM-Titel gebaut.

Es war Chiellinis letzter großer Dienst für die Squadra Azzurra, für die er bislang 116 Mal Dienst getan hatte. Eine finale Schicht soll noch hinzukommen. An der Stätte seines größten Triumphs tritt der 37 Jahre alte Kapitän im Juni ab: beim sogenannten "Finalissima" gegen Argentinien in Wembley, dort also, wo er im vergangenen Jahr Europameister geworden war. Er möchte, so bekannte er am Montagabend nach dem Sieg von Juventus Turin bei Sassuolo Calcio (2:1) zu seinem angekündigten Abschied, mit einer schönen Erinnerung gehen. Schöner als die jüngste Erinnerung an das bittere Aus in den WM-Playoffs dürfte der Abschied allemal ausfallen. Das peinliche 0:1 gegen Nordmazedonien steckte dem Abwehrboss tief in den geschundenen Knochen.

Der Körper hat hart gelitten

Chiellini, das wiederum eint ihn mit Ramos, hat sich und seinen Körper nie geschont. Mehrfach brach er sich bei seiner Lieblingsbeschäftigung die markante Nase, bei der WM 2014 wurde seine Schulter zum Opfer der Beißattacke von Uruguays Luis Suárez. Entspannen darf sich der Körper des Abwehr-Zenturio aber noch nicht. Denn der Rücktritt aus der Nationalmannschaft bedeutet nicht unbedingt das Ende seiner erfolgreichen Karriere. Ob er seinen 2023 auslaufenden Vertrag bei Juventus Turin noch erfüllen wird, entscheidet sich aber erst nach der Saison. Mit der "alten Dame" hat er fast alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Von 2012 bis 2020 neun Meistertitel sowie fünf Pokalsiege, trotz diverser Verletzungen bringt er es seit 2004 auf stolze 557 Pflichtspiele. Nur Europas (Klub-)Krone durfte er sich nie aufsetzen. Das unterscheidet ihn von Ramos, der es auf vier Erfolge in der Champions League bringt.

Chiellini, das war (und ist noch) ein Spieler, der zwischen auf und neben dem Platz unterscheiden konnte. Der seine Persönlichkeit den Gegebenheiten anpasste. Er galt stets als der Intellektuelle im Abwehrverbund der Squadra Azzura (und damit auch im Verein). Er ist Absolvent der Universität Turin, der Titel seiner Abschlussarbeit als Betriebswirt lautet: "Die Bilanzen von Fußballklubs am Beispiel von Juventus Turin." Stets an seiner (fußballerischen) Seite: Leonardo Bonucci. Die beiden wurden zu großen Helden. Zu Männern, die die harte Abwehrarbeit zur Kunstform erhoben haben. Und die in den entscheidenden Phasen immer vorangingen.

Bonucci und Chiellini, das war jahrelang das Synonym für perfekte Abwehr-Harmonie. Erlernt in der italienischen Nationalmannschaft und bei Juventus Turin. Bonucci, das ist der elegante Abwehrchef: robust im Duell, gut im Aufbau, mit starker Technik. Chiellini ist das nicht. Er ist kein Aufbauspieler, er ist ein Antreiber. Er hat keine starke Technik, die ist im besten Fall solide. Er ist nicht der Typ, der den Ball mit der Sohle umschmeichelt. Er dribbelt keinen Gegner aus, er duelliert ihn weg. Er ist hart und kompromisslos wie kein Zweiter. Bonucci ist der Organisator, Chiellini der Anführer. Der Mann für die Mentalität. Der Kapitän, der auch die kleinen Psychospielchen bestens beherrscht.

Perfektionist in den "mind games"

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Als Jordi Alba, der Anführer der Spanier, im vergangenen Jahr im EM-Halbfinale versucht hatte, das Elfmeterschießen auf die Seite der eigenen Fans zu ziehen, schritt der italienischen Zenturio ein. Die Sache war ja anders verabredet gewesen. Die Momente der Seitenwahl wurden noch am Abend zur Legende. Der lachende, feixende und klapsende Chiellini gegen den peinlich berührten Alba. Sieg in den "Mind Games", Sieg im Elfmeterschießen. Der italienische Kapitän wurde nicht nur wegen dieses Moments zum kämpfenden, leidenden, triumphierenden und charmanten Gesicht des EM-Turniers. Kurz vor dem Turnier hatte er bekannt, was ihm am Fußball mit Freude erfüllt. "Es macht mich glücklich, Zweikämpfe zu gewinnen. Wenn ich einen gefährlichen Schuss blocken oder ein Tor verhindern kann, versetzt mir das einen Adrenalinschub."

Aber wie lange noch? "Meine Liebe zu Juventus endet nicht, sie wird nie enden", schwärmte er. Er müsse nun "bis zum Ende der Saison alles abwägen" und mit seiner Familie darüber sprechen, was das Beste sei. Nach dem Finale der Coppa Italia am 11. Mai gegen Inter Mailand wolle er dann eine Entscheidung treffen. Das Spiel ist ein großes Highlight - es könnte Chiellinis letztes sein.

Quelle: ntv.de, mit sid

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