Brisante Übernahme durch Saudis Die neureichen Elstern aus Newcastle
09.10.2021, 19:47 Uhr
Was wohl Sir Bobby Robson von der Übernahme halten würde?
(Foto: imago images/PA Images)
Nach Paris St. Germain und Manchester City gehört nun auch Newcastle United einem reichen Golfstaat mit problematischer Menschenrechtslage. Die Fans bejubeln den Verkauf des Fußballklubs. Bei der Aussicht auf Triumphe und spektakuläre Transfers schwinden moralische Bedenken.
Wenn über die reichsten Vereine im Weltfußball gesprochen wird, dann muss neben Paris St. Germain und Manchester City ab sofort auch Newcastle United genannt werden. Die Premier League hat den Verkauf des Klubs an ein Konsortium genehmigt, hinter dem zu 80 Prozent der Staatsfonds Saudi-Arabiens steckt. Der Kaufpreis von umgerechnet rund 350 Millionen Euro ist Kleingeld für ein Investment-Vehikel, das nach Angaben der "New York Times" über Vermögenswerte von mehr als 400 Milliarden Euro verfügt. Bei den "Elstern", wie Newcastle United wegen der Vereinsfarben Schwarz und Weiß genannt wird, soll künftig zu besichtigen sein, was in Paris und Manchester schon geschehen ist. Nämlich die Verwandlung eines mäßig erfolgreichen Vereins in einen Giganten des nationalen und internationalen Geschäfts - mit den Millionen eines reichen Golfstaats.
Zwar beteuern alle Parteien, dass der Fonds unabhängig vom Staat Saudi-Arabiens operiere, dass also nicht der Staat selbst die Kontrolle bei Newcastle United übernehme. Doch diese Version kann man wohl nur glauben, wenn man sie dringend glauben will. Denn der Vorsitzende des Fonds ist die gleiche Person, die auch De-Facto-Machthaber in dem Land ist - Kronprinz Mohammed bin Salman. "Niemand, der etwas über den Nahen Osten weiß, wäre auch nur eine Sekunde lang davon überzeugt, dass hier nicht der Staat Saudi-Arabiens die Kontrolle hat", sagt der Journalist und Autor James Montague im Gespräch mit ntv.de.
Für das Engagement des Landes in der Premier League gibt es laut Menschenrechtsaktivisten wie Amnesty International nur einen Grund, und zwar den Versuch, das eigene, verheerende Image zu schönen. Der Fachbegriff dafür: Sportswashing. Saudi-Arabien werden schwere Menschenrechtsverletzungen, die Missachtung von Frauenrechten und der Rechte Homosexueller und die Unterdrückung von Kritikern vorgeworfen. Die CIA macht Kronprinz bin Salman persönlich verantwortlich für die Ermordung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi vor drei Jahren. Montague sagt: "Es geht den neuen Besitzern nicht um Newcastle, es geht ihnen nicht um Profite. Sie sehen bei Manchester City und PSG, wie man durch die Verbindung zu einem Fußballverein die eigene Reputation aufbessern kann."
Euphorie lässt Zweifel verschwinden
Die Newcastle-Fans scheinen sich nicht daran zu stören, dass ihr Verein für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Seitdem vor 18 Monaten zum ersten Mal eine potenzielle Übernahme durch die Saudis debattiert wurde, waren sie der Idee verfallen, schmückten ihre Twitter-Profile mit der Flagge Saudi-Arabiens oder attackierten in Sozialen Medien Kritiker des Deals. Als das Geschäft am Donnerstag amtlich war, versammelten sich Tausende Newcastle-Anhänger vor dem St. James' Park und feierten, als hätte die Mannschaft gerade die Meisterschaft gewonnen - oder zumindest Klub-Ikone Alan Shearer sein Comeback verkündet. Einige Fans hatten sich sogar als Scheichs verkleidet. Die neuen Besitzer sind für sie Erlöser.
Newcastle ist eine fußballverrückte Stadt, der St. James' Park gehört zu den stimmungsvollsten Stadien im Vereinigten Königreich, um die Jahrtausendwende spielten die "Elstern" zweimal in der Champions League. Unter dem in den vergangenen 14 Jahren amtierenden Eigentümer Mike Ashley wurde der Klub allerdings zum Inbegriff für sportliches Siechtum. Zweimal stieg Newcastle in dieser Zeit ab. Schlimmer, als nicht zu gewinnen, ist nur, es nicht einmal zu versuchen. Genau dieser Sünde hat sich Ashley nach allgemeiner Fan-Meinung schuldig gemacht. Das erklärt, warum es in Newcastle praktisch keine Vorbehalte gegen den Einstieg der Saudis gibt. "Die Übernahme gibt den Fans und der Stadt neues Leben und die Chance, wieder an ihren Klub zu glauben", jubelt der "Newcastle Chronicle".
Die Euphorie wird dadurch verstärkt, dass die neuen Besitzer die richtigen Signale senden. Amanda Staveley, eine britische Geschäftsfrau, die den Deal mit den Saudis arrangiert hat, spricht davon, dass man die Fans ernst nehmen werde, und dass auch Investitionen in Infrastruktur und die "Community" vorgesehen seien. Vorbild sind die Eigentümer von Manchester City aus Abu Dhabi um Scheich Mansour. Sie sind in Manchester auch deshalb universell beliebt, weil sie neben der sportlichen Transformation des Vereins auch Investitionen in ein neues Trainingsgelände und die Aufwertung heruntergekommener Stadtviertel zu verantworten haben.
Im Eiltempo zur Meisterschaft?
Es ist erst ein paar Monate her, dass England einen Fan-Aufstand erlebte, und zwar nach Ausrufung der Super League, die in Rekordzeit wieder in sich zusammen fiel. Anhänger der beteiligten Klubs gingen auf die Straße, das Publikum von Manchester United erzwang sogar die Absage des Heimspiels gegen den FC Liverpool. Viele Beobachter hatten den Eindruck, dass in England eine Bewegung für einen gerechten, basisnahen und demokratischen Fußball in der Entstehung sei. Doch die Protestbewegung hat sich schnell wieder zerstreut. Bei Manchester United wurde ein Großteil der Kundschaft durch die Heimkehr von Cristiano Ronaldo besänftigt. Und in Newcastle zeigt die Euphorie über die neuen Besitzer, dass es Fußball-Fans immer noch vor allem darum geht, dass ihr Verein erfolgreich ist.
Ob Newcastle künftig ähnlich guten Fußball spielt wie Paris St. Germain oder Manchester City, ist übrigens längst nicht klar. Verschiedene Fachleute sind skeptisch. So bezeichnet zum Beispiel der Nahost-Experte Nicholas McGeehan die Übernahme des Klubs durch die Saudis im Gespräch mit ntv.de als "kurzfristiges PR-Manöver" und sagt: "Ich wäre überrascht, wenn sie ihr Business mit dem gleichen langfristigen Denken und der gleichen Professionalität ausüben würden wie bei Manchester City." Dort dauerte es nach dem Einstieg von Scheich Mansour vier Jahre bis zur ersten Meisterschaft. Der Zeitrahmen für Newcastle United dafür beträgt laut Unternehmerin Staveley: fünf bis zehn Jahre.
Quelle: ntv.de